Rezension über:

Rimko van der Maar / Hans Meijer: Herman van Roijen (1905-1991). Een diplomat van klasse, Amsterdam: Boom & Sun 2013, 670 S., 43 s/w-Abb., ISBN 978-90-8953-236-7, EUR 29,90
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Rezension von:
Thomas Gijswijt
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Amit Das Gupta
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Gijswijt: Rezension von: Rimko van der Maar / Hans Meijer: Herman van Roijen (1905-1991). Een diplomat van klasse, Amsterdam: Boom & Sun 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 3 [15.03.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/03/24074.html


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Rimko van der Maar / Hans Meijer: Herman van Roijen (1905-1991)

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Jan Herman van Roijen (1905-1991) gilt als einer der wichtigsten niederländischen Diplomaten des 20. Jahrhunderts, obwohl er nur vier Monate Außenminister war. Seine Schlüsselrolle als Unterhändler in den Konflikten um die Dekolonisierung Indonesiens (1949) und West-Neuguineas (1961-62) und seine vierzehn Jahre als Botschafter in Washington (1950-64) sichern ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern. Es ist daher zu begrüßen, dass die niederländischen Historiker Rimko van der Maar (Diplomatiehistoriker an der Universität von Amsterdam) und Hans Meijer (Experte für indonesisch-niederländische Beziehungen an der Universität Groningen) jetzt die erste Biografie Van Roijens vorgelegt haben. Es gelingt den Autoren auf gut 500 Seiten ein facettenreiches, interessantes und intimes Bild des Diplomaten zu zeichnen.

Herman van Roijen entstammte einer niederländisch-amerikanischen Diplomatenfamilie. Der Vater Jan Hermanus van Roijen war unter anderem niederländischer Gesandter in Madrid und Rom, während seine Mutter Albertine Taylor Winthrop zu der berühmten Winthrop­Familie aus Neu-England gehörte. Der zweisprachige Sohn verbrachte seine Kindheit in Istanbul, Tokio, Madrid und Rom. Früh wurde ihm klar, dass er in die Fußspuren seines Vaters treten würde. Innerhalb des kleinen, elitären Kreises niederländischer Diplomaten galt er schon bald als Ausnahmetalent. 1937 wurde er im Alter von nur 33 Jahren zum "Chef Diplomatieke Zaken" im Außenministerium in Den Haag ernannt.

Während der deutschen Besatzung, blieb Van Roijen als faktischer Leiter des Ministeriums in den Haag - der Minister hatte sich nach London abgesetzt. Die Besatzungszeit war zweifellos die schwierigste Phase seines Lebens. Van Roijen wurde mehrmals verhaftet; 1944 beschloss er unterzutauchen und anschließend die riskante Flucht nach England zu wagen. Die zwei Kapitel, die sich mit dieser Periode beschäftigen, gehören zu den lesenswertesten des Buches und zeigen anhand von Tagebüchern und persönlicher Korrespondenz eindringlich, welche Gefahren Van Roijens Aktivitäten in diversen Kreisen des Widerstands mit sich brachten. Andererseits wird hier auch klar, dass Van Roijen seine Kontakte zu den wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes entscheidend ausweiten konnte. Dies erlaubte ihm später, als relativ unabhängiger, eigenständiger Diplomat und Unterhändler zu agieren.

Zuerst als stellvertretender Minister unter Eelco van Kleffens und dann ab April 1946 als Außenminister, zeigte sich Van Roijen schon früh als ein entschiedener Befürworter (atlantischer) Bündnispolitik - keine Selbstverständlichkeit für die traditionell neutralen Niederlande. In der wichtigen kolonialen Frage war Van Roijen sich der relativ schwachen Position des Königreiches bewusst. Im Gegensatz zu führenden katholisch-konservativen Politikern, die ein kompromissloses Vorgehen gegen die indonesische Unabhängigkeitsbewegung forderten, warnte Van Roijen immer wieder vor der drohenden internationalen Isolierung der Niederlande.

1947 wurde er zum Botschafter in Ottawa benannt und vertrat gleichzeitig sein Land bei den Vereinten Nationen. Die Reaktionen auf die niederländischen Militäreinsätze in Indonesien zeigten bald, wie richtig er mit seinen Warnungen gelegen hatte. Van Roijen benötigte all sein diplomatisches Geschick, um eine klare Verurteilung der niederländischen Aktionen in den Vereinten Nationen abzuwenden. Bewundert im eigenen Land für sein beherrschtes Auftreten in New York und zugleich im Ausland respektiert, war Van Roijen im Frühjahr 1949 der richtige Mann, um seitens der Niederlande mit Mohammed Roem als Vertreter Indonesiens die Verhandlungen zu führen, die zur Unabhängigkeit der Kolonie führten.

Van der Maar und Meier beschreiben sowohl Van Roijens Auftreten 1949 als auch seine Rolle als Unterhändler im West-Neuguinea-Konflikt Anfang der 1960er-Jahre bis ins kleinste Detail. Auch wenn sie dabei nicht zu grundsätzlich neuen Einsichten kommen, ist vor allem Van Roijens persönliche Sicht interessant. Seine Verhandlungsstrategie beruhte auf der Überzeugung, dass es eine Vertrauensbasis zwischen den Parteien geben müsse. Respekt, die Fähigkeit zuzuhören und Ehrlichkeit (natürlich ohne dabei immer alle Karten offenzulegen) waren ihm wichtig und trugen zu seinen diplomatischen Erfolgen bei. Außerdem hatte Van Roijen immer einen direkten Draht zu den politischen Entscheidungsträgern in Den Haag. So konnte er 1962 gegen den hartnäckigen Widerstand von Außenminister Joseph Luns eine vertretbare Lösung im West-Neuguinea Konflikt durchsetzen.

Diese Biografie Herman van Roijens überzeugt in fast allen Belangen: sie ist gut geschrieben, bietet eine gelungene Mischung aus Kontext und Lebensgeschichte und zeigt überzeugend, dass Herman van Roijen zu den Großen der niederländischen Diplomatie zählt. Enttäuschend ist allerdings die Darstellung der Zeit Van Roijens als Botschafter in Washington. Einiges deutet darauf hin, dass er aufgrund seiner Erfahrung und seiner Kontakte eine Art Vermittlerfunktion innerhalb des Atlantischen Bündnisses ausüben konnte, mal als Teilnehmer der Bilderberg Konferenzen, mal bei den unzähligen offiziellen und inoffiziellen Treffen und Feiern in Washington D.C. Diese Rolle Van Roijens bleibt - möglicherweise wegen der schwierigen Quellenlage - unterbelichtet. Abgesehen davon ist das Buch jedoch ohne Zweifel gelungen und dürfte sowohl für Diplomatiehistoriker als auch für diejenigen, die sich mit der Geschichte der Dekolonisierung beschäftigen, von großem Interesse sein.

Thomas Gijswijt