Christian Stachelbeck: Militärische Effektivität im Ersten Weltkrieg. Die 11. Bayerische Infanteriedivision 1915 bis 1918 (= Zeitalter der Weltkriege; Bd. 6), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010, 427 S., ISBN 978-3-506-76980-0, EUR 44,90
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Das Buch ist eine sorgfältig recherchierte Geschichte der 11. Bayerischen Infanteriedivision im 1. Weltkrieg. Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, es damit sein Bewenden zu lassen. Denn das umfangreichste, 200 Seiten lange, dritte Kapitel zeichnet die Geschicke dieser Division von 1915 bis 1918 an ihren verschiedenen Einsatzgebieten an der Ost- und Westfront detailliert nach. Die Quellengrundlage ist sehr gut und fest umrissen: Im Wesentlichen umfangreiche Aktenbestände des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, Abteilung Kriegsarchiv. Ergänzend kommen noch Bestände des Bundesarchivs Militärarchiv Freiburg im Breisgau hinzu sowie einige wenige Nachlässe.
Die gute Quellenlage prädestiniert die 11. Bayerische Infanteriedivision zu einer umfangreichen Monographie, umso mehr - folgt man dem Verfasser - als es keine vergleichbar gut auf unsere Zeit gekommenen Aktenbestände preußischer Divisionen gibt. Schon damit weist die Dissertation über die bayerische Verortung hinaus.
Sie wird jedoch auch in anderen Hinsichten zu einem wichtigen Baustein bei der Erforschung der Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges. Nicht nur, weil der Verfasser mit der 11. Bayerischen Infanteriedivision die mittlere militärische Führungsebene untersucht, die im Unterschied zur Geschichte der Heeresleitung und der Geschichte des gemeinen Soldaten weniger gut erforscht ist. Die zentrale Fragestellung ist es, welche die Dissertation in ganz besonderem Maße auszeichnet: Wie werden die Truppen an den verschiedenen Fronten dazu gebracht, auszuharren und zu kämpfen - sowohl an der weniger mörderischen Ostfront als auch unter härtesten Bedingungen in den von Granaten zerpflügten Schützengräben der Westfront. Modern gesprochen geht es um "Innere Führung" und Kampfmotivation im Ersten Weltkrieg.
Kampfmotivation war um so mehr erforderlich, als militärische Erfolge im Verlauf des Krieges immer mehr über eine untere Instanzen Handlungsspielräume lassende flexible Auftragstaktik zu erreichen waren, die sich freilich immer im Spannungsverhältnis zur planvollen Koordination von oben befand. Dieses Spannungsverhältnis zwischen flexibler Kampfführung von unten und Festhalten an traditionell favorisierter, durchgreifender Planung und Kontrolle von oben spielt sich genau auf der mittleren militärischen Führungsebene ab, die der Verfasser beispielhaft untersucht. Er thematisiert dieses Spannungsverhältnis nicht nur in dem diesem Problemkreis explizit gewidmeten Kapitel "Kriegführung und Soldat. Motivierungsstrategien und Kampfmotivation", sondern auch implizit in dem langen 2. Kapitel, das nur von herkömmlicher Divisionsgeschichte zu handeln scheint. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen: Die Kriegsführung auf mittlerer Ebene ist erstaunlich innovativ. Und wegen der bis dato in der militärgeschichtlichen Forschung so nicht bekannten Innovationsfähigkeit gelang der 11. Bayerischen Infanteriedivision im Zusammenwirken mit quasi modernen Grundsätzen der inneren Führung Erstaunliches - sie steht für den Verfasser dabei paradigmatisch für das gesamte deutsche Heer: Trotz in vielfacher Hinsicht unterlegener Ausgangsposition gelang es dem deutschen Heer, dem Gegner mehr Verluste zuzufügen, als von ihrer im Vergleich zu ihren Gegnern geringeren Ressourcenbasis zu erwarten gewesen wäre. Die deutsche militärische Kriegführung war effektiver. Und damit ist das Kernanliegen des Buches genannt: "Militärische Effektivität". Im Titel kommt dies schon zum Ausdruck.
Darüber hinaus untersucht der Verfasser das Wechselspiel zwischen Verteidigung, die im Schützengrabenkrieg in vielfacher Hinsicht in der vorteilhafteren Position war, und Angriffs-Kriegsführung, worauf das deutsche Heer traditionell ausgerichtet war. Und auch hier stellt er Lernprozesse und viele Neuerungen fest. Im Verlauf des Krieges habe sich immer mehr eine flexible und Mannschaftsressourcen schonende Kriegführung etabliert. Beides zusammen - die neuen Methoden der inneren Führung und Ressourcen schonende Innovationen - trugen dazu bei, die militärische Effektivität zu erhöhen. Freilich stießen innere Führung, Kampfmotivation und effektivere Kriegführung an ihre Grenzen, die Ende Juli und spätestens mit dem Schwarzen Tag des deutschen Heeres am 8. August 1918 deutlich zu Tage traten. Sie vermochten nichts mehr auszurichten gegenüber der durch den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten überwältigend gewordenen militärischen Überlegenheit des Gegners. Die typischen Schicksale einer erschöpften Division gibt der Verfasser ebenfalls wieder.
Die Arbeit zeichnet sich durch einen präzisen militärgeschichtlichen Zuschnitt aus. Die Einleitung setzt sich mustergültig mit dem bisher erreichten Forschungsstand auseinander. Jedoch bleiben andere als militärgeschichtliche Aspekte weitgehend unberücksichtigt, was man positiv - im Sinne einer Konzentration auf eine spezielle Fragestellung - und negativ vom Standpunkt der allgemeinen Geschichte sehen kann. Interdependenzen mit anderen Bereichen sind zu einem großen Teil ausgeblendet, seien es politische, sozialhistorische oder mentalitätsgeschichtliche Aspekte. Freilich: Die Kunst ist lang, eine Dissertation muss bemessen sein.
Die Arbeit bewegt sich primär auf der Ebene taktisch theoretischer Ausführungen und divisionsgeschichtlicher Ereignisse. Dies ist wohl auch den herangezogenen Aktenbeständen geschuldet. Individuelle Personen und Orte kommen überraschend wenig vor. Davon zeugen jeweils nur 2 ½ Seiten Personenverzeichnis und 2 ½ Seiten Ortsverzeichnis, beide sehr disparat gemischt. Ein zum Haupttext recht isolierter 30-seitiger Anhang enthält Frontverläufe, Sozialprofile der Mannschaften, Divisionsuntergliederungen und weist einmal mehr darauf hin, dass die Arbeit in weiten Teilen auch eine divisionsgeschichtliche ist.
Fazit: Nicht nur ein überaus sorgfältig recherchiertes Buch über die Geschichte der 11. Bayerischen Division, sondern auch - und das zeichnet das Buch als originell aus: eines über "Militärische Effektivität im Ersten Weltkrieg". Es gibt die vor und im Verlauf des Ersten Weltkrieg entstandenen militärtheoretischen Probleme wieder und berücksichtigt das Wechselspiel zwischen innerer Führung, Kampfmotivation, Knappheit der Mannschaftsressourcen und den daraus resultierenden militär-taktischen Innovationen, die alle zusammen zu einer erstaunlichen militärischen Effektivitätssteigerung beigetragen haben.
Manfred Hanisch