August Ludwig von Schlözer: Vorbereitung zur WeltGeschichte für Kinder. Ein Buch für Kinderlehrer. Hg. von Marko Demantowsky und Susanne Popp, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 267 S., 6 s/w-Abb., 8 Faksimiles, ISBN 978-3-525-35844-3, EUR 29,95
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War die deutsche Historiographiegeschichte als Selbstreflexion der Geschichtswissenschaft sehr lange darauf fixiert, das Neue und Moderne des 19. Jahrhunderts und damit die Zäsur um 1800 hervorzuheben [1], beschäftigt sie sich seit wenigstens zwei Jahrzehnten ebenso mit den Kontinuitäten, insbesondere zur Geschichtsschreibung der Aufklärung. Gewichtige Monographien von Daniel Fulda, Johannes Süßmann, Andreas Urs Sommer oder Erhard Wiersing stellten Entwicklungen vor, vorbereitet von nicht minder umfangreichen Arbeiten Horst Walter Blankes oder Hans-Jürgen Pandels. Eine aspektreiche Übersicht bieten bis heute die fünf Bände "Geschichtsdiskurs", die Wolfgang Küttler, Jörn Rüsen und Ernst Schulin in den 1990er Jahren herausgaben. Für die hier zu besprechende "Vorbereitung zur WeltGeschichte für Kinder" des Göttinger Professors August Ludwig von Schlözer kommt besonders der zweite Band dieser Reihe in Frage, der "Anfänge modernen historischen Denkens" beleuchtet (1994), die in der Aufklärung verortet werden.
Schlözers "Vorbereitung" erschien erstmals 1779, wurde zeitgenössisch breit rezipiert, erschien letztmals überarbeitet 1806, damals zugleich um einen zweiten, nur einmal gedruckten Teil erweitert und ist kinderbuchtypisch in Bibliotheken heute eher schlecht vertreten. Schon dies macht die Neuherausgabe sinnvoll, die Marko Demantowsky und Susanne Popp gemeinschaftlich verantworten und in den Kontext des neuen Interesses an der Globalgeschichte als moderner Universalgeschichte stellen. Ihre Einleitung weist auf Schlözers ureigenes pädagogisches Projekt hin, die Erziehung seiner Tochter Dorothea, Adressatin seines Werks, die 1787 einen philosophischen Doktorhut erhielt.
Die Herausgeber historisieren Schlözers Darstellung als Übergang vom Aggregat früherer Weltgeschichte [2] hin zum System, das hier (noch?) anthropologisch und ethnographisch gewendet erscheint, was als kulturgeschichtlich charakterisiert wird. Dieser Aspekt erweist sich bei der Lektüre im Übrigen als treffender als der gewiss unvermeidliche Hinweis auf den sich ausprägenden Kollektivsingular Geschichte (Koselleck): Mit Recht verweisen die Herausgeber darauf, dass ein System zu postulieren, nicht bedeutet, faktisch eines darzustellen (9). Der Vergleich mit dem nahezu gleichzeitig [3] erschienenen "Lehrbuch der allgemeinen Weltgeschichte zum Gebrauche katholischer Schulen", das einen klassischen, heute anschlussfähigen Lehrbuchtext liefert, zeigt, dass man sich auch dort - theoretisch - vornahm, "die ganze Geschichte des menschlichen Geschlechts [zu] übersehen" (16), sozusagen ein katholischer Kollektivsingular.
Natürlich kann Schlözers Arbeit nur bedingt mit den zeitgenössisch und heute verbreiteten Schulbüchern, die mit einem Klassenunterricht rechneten, verglichen werden. Sein Werk war für die Hand der Hauslehrer bestimmt, die daraus ihren Zöglingen die Geschichte vortrugen. Die dahinter stehende Erziehungsform des Einzelunterrichts basiert viel stärker auf Konversation, was für die Konzeption nicht ohne Konsequenzen bleibt: Die vielen sachlichen Anspielungen im laufenden Text setzen einen Dialog voraus.
Die Einführung arbeitet Schlözers also eher inhaltliche Konzeption heraus, dessen "System" eine Vorbereitung zur Geschichte, aber nicht diese selbst darstellte, und verweist auf modernere Weltgeschichten für Kinder. Besonders überlegt und hervorzuheben sind die reichen sachlichen Erläuterungen, deren Notwendigkeit nach dem Gesagten evident ist. Auf der Basis von zeitgenössischen Nachschlagewerken wie dem "Krünitz" (Oekonomische Encyklopaedie), mittlerweile vielfach im Volltext im WWW zugänglich, wird der Horizont Schlözers und der von ihm imaginierten Hauslehrer erkennbar, der Text in der Zeit verständlich. Außerdem wird der Handapparat Schlözers nachgewiesen. Ein kurzes bio-bibliographisches Nachwort (259-266), für das Horst-Walter Blanke gewonnen werden konnte, rundet den mit einigen zeitgenössischen Illustrationen angereicherten Band ab und orientiert über Schlözers wissenschaftshistorischen Standort.
Schlözers Text ist nach der letzten (bzw. einzigen: Teil 2) Ausgabe von 1806 transkribiert worden, die alte Paginierung wurde eingefügt; Varianten zu den früheren Ausgaben werden nicht dargestellt, was angesichts der fortschreitenden Digitalisierung ein müßiges Unterfangen gewesen wäre: Die Bayerische Staatsbibliothek hat mittlerweile die Erstausgabe faksimiliert ins Netz gestellt. Man wird allerdings über eine auf digitale Medien eingeschränkte Suche im Karlsruher virtuellen Katalog nicht direkt fündig (hier nur eine lateinische Ausgabe und die von 1806, Vorlage des Texts); die Herausgeber haben angekündigt, ergänzendes Material zu digitalisieren.
Wie schon angedeutet, enthält Schlözers "Vorbereitung" keine Geschichte, sondern vielmehr gilt sein Interesse der Sozialgenese, später als Geschichtssoziologie und weniger als Kulturgeschichte betrieben. [4] Die Gesellschaftlichkeit des Menschen wird in ihren grundlegenden Begriffen kindgerecht materialisiert, aber damit "kommt" er natürlich nur bis zur Sintflut, an der die Menschen in die eigentliche Geschichtlichkeit eintreten und die aus zwei Perspektiven erzählt wird (AT und Berosus). Die Kategorien, die der Darstellung der Geschichte dienen und von manchen Geschichtsdidaktikern heute als historische Sachkompetenzen bezeichnet werden [5], wie Umwelt, Wirtschaft, Politik, Kultur mit ihren Unterbegriffen, werden vor dem Hintergrund der biblischen Schöpfungserzählung eingeführt und in vielen Geschichten erläutert. Sein besonderes Interesse gilt den naturräumlichen Grundlagen menschlicher Existenz, Berührungspunkt zu modernen Globalgeschichten, hier indes der klassischen Geschichtsdidaktik geschuldet, die als Prolegomena der Geschichte die Lehre der Welt und ihrer Geographie betrieb.
Mit der Erdkunde begann schon lange vor Schlözer der Geschichtsunterricht. Auch die Geschichten der Erfindungen sind generell nicht neu (Polydor Vergilius), scheinen aber im Geschichtsunterricht zuvor nicht prinzipiell behandelt worden zu sein. [6] Alle genannten Sachkategorien hielten sich recht lange im Unterricht, meist als Vortrab zur Geschichte der Vorzeit oder in diese integriert, z. B. bei dem Schweizer Schulbuchautor Emil Spieß: "Welt und Heimat im Lauf der Zeiten geschildert", Einsiedeln 1939-1940.
Gottes Schöpfungsakt begründet für Schlözer die Gleichheit aller Menschen, die durch seinen starken Europa- und Gegenwartszentrismus eine starke Spannung zur real erlebten oder vermuteten Unterschiedlichkeit aufbaut. Diese entlädt sich in starkem Fortschrittsglauben sowie impliziter und expliziter Kritik an politischen und religiösen Zeitumständen, stets gewahr, deswegen Vorwürfe parieren zu müssen (vgl. die Ausführungen über "echte" Ketzer, 72f., vgl. 90, 119). Fortschritt ist Bildung, und für die Bildung stehen die Erfindungen, die zumeist in den letzten 600 Jahren erfolgt seien (128). Diesen Zeitraum zurückgehend, findet man allerdings Thomas von Aquins Konzept des profectus cognitionis. [7]
Dass Fortschritt zu denken und Fortschritt zur Grundlage eines historiographischen Konzepts zu machen zweierlei sind, deutet sich an und lenkt dazu über, Schlözers Text als Zeugnis seiner Zeit einzuschätzen. Europa ist der führende Erdteil und jeder Rückschritt unmöglich, doch die Begründung dafür bleibt er schuldig (134). Dabei ist dieser Kontinent offenbar selbst inhomogen, ambivalent: Aus dem Süden kennt man die Inquisition, allerlei Seltsames und insbesondere das Dolce far niente, dem Göttinger Professor besonders suspekt (64, 128). Die Ambivalenz seines Fortschritts erlebte Schlözer 1806 ganz unmittelbar: Das eigentlich als "Glück" (83) zu bezeichnende Aufhören der Wahlmonarchie in Deutschland (so im gegenüber 1779 neu eingefügten § 39a) ist doch, ein paar Seiten später, einem "Abgrund von Schande, Schmach und Elend" gewichen: Die deutsche Geschichte ist zu Ende (129). Ebenso unbestimmt ist das Verhältnis seiner Universalgeschichte zum Alten Testament, ganz konkret: Ist die Bibel Geschichtsschreibung oder gänzlich zu historisierender Text? Gelesen als Dokument steht Schlözers "Vorbereitung" damit unmittelbar vor Hegel, der als erster darlegte, wie der Fortschritt als unumkehrbar gedacht werden kann. Hier liegt also ein überaus sprechendes Dokument des Übergangs vor, das die beiden Herausgeber neu zugänglich gemacht und dabei gezeigt haben, wie sinnvoll man eine solche Edition in die durch neue Medien veränderte Wissensgesellschaft integrieren kann - in deren Geschichte Schlözer unzweifelhaft gehört.
Anmerkungen:
[1] Kurt Flasch: Historische Philosophie. Beschreibung einer Denkart (Philosophie hat Geschichte 1), Frankfurt am Main 2003; ders. Theorie der Philosophiehistorie (Philosophie hat Geschichte 2), Frankfurt am Main 2005, hier Bd. 2, 280.
[2] Vgl. z. B. Markus Völkel: Aufstieg und Fall der protestantischen Universalgeschichte, in: Storia della Storiografia 39 (2001), 67-73.
[3] Mainz und Würzburg 1777.
[4] Rezensiert von Harry Elmer Barnes: Soziologie der Geschichte. Theorien zur Entwicklungsgeschichte der menschlichen Gesellschaft, Wien - Stuttgart 1951.
[5] Kritisch dazu Hans-Jürgen Pandel: Historisches Erzählen. Narrativität im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2010, 12f.
[6] Nicht bei Anselm Desing: Historica Auxilia, Regensburg 1734.
[7] Flasch (1), 189-196; (2) 407.
Stefan Benz