Damian Kaufmann: Die romanischen Backsteindorfkirchen in der Altmark und im Jerichower Land. Studien zur Kleinkirchenarchitektur an der Mittelelbe und im südlichen Ostseeraum (= Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte; Bd. 19), Kiel: Verlag Ludwig 2010, 510 S., ISBN 978-3-86935-018-9, EUR 34,90
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Die Erforschung des ländlichen Pfarrkirchenbaus (populär wird meist von Dorfkirchen gesprochen) war lange Zeit eines der ungeliebten Stiefkinder der Kunstgeschichte. Lediglich die Kunstdenkmälerinventare des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nahmen sich dieser Denkmalgruppe in größerem Umfang an. Erst seit den 1990er-Jahren und intensiver während der letzten Dekade lässt sich ein verstärktes Forschungsinteresse erkennen, das sich aber merkwürdigerweise nur auf die Gebiete der östlichen Bundesländer (plus Schleswig-Holstein) beschränkt. Inzwischen sind umfangreiche Untersuchungen erschienen zu den Landkirchen in Holstein, Mecklenburg, der Magdeburger Börde, im Fleming, Saaleraum, in Thüringen, im Barnim und der Mark Brandenburg.
In diese Reihe gehört auch die am Institut für Kunstgeschichte der Universität Kiel als Dissertation angenommene Arbeit von Damian Kaufmann. Der Autor behandelt eine zahlenmäßig eher kleine Gruppe von gut 30 romanischen Landkirchen aus Backstein an der Mittelelbe (Altmark und Jerichower Land). Er geht dabei methodisch durchdacht und befundorientiert vor, indem zunächst die formalen Merkmale systematisch geordnet und besprochen werden (Grundrisstypologien, äußerer und innerer Wandaufriss, Dekorelemente etc.). Aufgrund der festgestellten typologischen und technischen Gemeinsamkeiten werden regionale Kleingruppen zusammengehörender Bauten gebildet und in einen weiteren Kontext mit benachbarten Architekturregionen gestellt. Erst nach der gründlichen formalen Analyse stellt der Autor weitergehende kunsthistorische Fragen nach dem möglichen Einfluss der Bauherrschaft auf die architektonische Gestalt oder der vermeintlichen Wehrfunktion der mächtigen Westtürme. Wie üblich bei solchen Arbeiten wird der analytische Teil durch einen Katalog aller Objekte im Untersuchungsgebiet ergänzt. Für die Katalogartikel hat der Autor die Grundrisse der Objekte nach einheitlichem Schema umgezeichnet und die Bauphasen kenntlich gemacht. Insgesamt finden sich in dem Band fast 400 schwarz-weiße Abbildungen von meist guter Qualität, deren Format jedoch manchmal zu klein geraten ist.
Es handelt sich um eine gründliche, solide und faktenreiche Arbeit architekturgeschichtlicher Grundlagenforschung. Ausgangspunkt ist die vollständige Objekterfassung (Katalog) und eine darauf aufbauende, in die Einzelheiten gehende Formalanalyse des Baubestands. Eine solche Arbeitsmethode ist sehr arbeits- und zeitintensiv, da sie eine ausgedehnte Reise- und Dokumentationstätigkeit erfordert. Erst durch diese Vorgehensweise erwirbt sich der Forscher eine intime Detailkenntnis und ein Gefühl für 'seine' Bauten, was für die anschließende Bestandsanalyse unerlässlich ist. Diese intime Objektkenntnis spürt man bei den Ausführungen Kaufmanns, der kleinste Differenzen bei der technischen oder dekorativen Ausgestaltung der Kirchen bemerkt und entwicklungsgeschichtlich einzuordnen versteht.
Im Ergebnis präsentiert der Autor eine Kleinregion, deren romanische Backsteinkirchen durchaus eigenständige Merkmale zeigen, die sich von den benachbarten Kunstlandschaften erkennbar unterscheiden. Die wesentlichen Vorgaben für die Erscheinungsform der Landkirchen stammen dabei von zwei großen Vorbildbauten der Region, der Prämonstratenser-Stiftskirche in Jerichow und der Benediktinerinnenkirche Arendsee. Kaufmann erkennt hier ein Zentrum-Peripherie-Modell, bei dem die Homogenität der Architektur in der näheren Umgebung des Zentrums (Jerichow) am stärksten ausgeprägt ist. Weiterhin bemerkt Kaufmann, dass der Elbverlauf als Trennlinie fungiert, denn das linkselbische Gebiet der Wische zeigt, im Vergleich mit der Jerichower Umgebung, ein durchaus eigenes Gepräge mit einer geringeren Homogenität der Architektur.
Ob die unterschiedlichen Rechtsverhältnisse oder die Diözesangrenzen mitverantwortlich für diese Unterschiede sind, wird vom Autor zwar als möglich angedacht, aber letztendlich offen gelassen. Dieser vorsichtige Umgang mit Theorien zur Ursachenforschung für die formalen Architekturerscheinungen ist positiv zu werten. In einer Zeit, in der gerne ausufernd über programmatische oder politisch-propagandistische Inhalte von Bauformen spekuliert wird, ist die nüchterne und vorsichtige Herangehensweise eines Grundlagenforschers eine wohltuende Oase der Sachlichkeit.
In ausführlichen Überblicksdarstellungen bespricht der Autor die romanische Kleinkirchenarchitektur der benachbarten Regionen: Holstein und Mecklenburg, Elbe-Elster-Gebiete und Niederlausitz, Dänemark sowie die friesisch-groningische Nordseeküste. Auch wenn die Ausführungen Kaufmanns nur auf der Betrachtung ausgewählter Bauten beruhen, so sind seine Beobachtungen und Einordnungen sehr fundiert und basieren auf einer intensiven Reisetätigkeit des Autors vor Ort. Insgesamt kommt der Autor zum Ergebnis, dass sich die romanische Backsteinarchitektur des Untersuchungsgebiets von den Nachbarregionen erkennbar unterscheidet und daher eine eigene kleine Architekturlandschaft ausbildet. Auffällig ist dabei eine äußerst konservative Haltung in der Altmark und im Jerichower Land, denn stilistische Neuerungen wurden im Vergleich zu den benachbarten Gebieten viel zögerlicher und verspätet angenommen.
Mit der vorliegenden Arbeit steht der Forschung ein weiteres Puzzlestück für die flächenmäßige Erfassung der ländlichen Architektur des Mittelalters im Norden und Osten Deutschlands zur Verfügung. Es ist zu hoffen, dass die immer kleiner werdenden Lücken in den kommenden Jahren durch weitere Regionalstudien gefüllt werden können. Danach wäre die Zeit reif, auf Grundlage der flächendeckend vorliegenden Einzelstudien auch übergreifende großräumige Analysen zur Entwicklung der ländlichen Sakralarchitektur durchführen zu können.
Zwei kritische Hinweise seien zu der ansonsten sehr überzeugenden Arbeit doch noch erlaubt. Erstens möchte der Rezensent davor warnen, Patronat und Bauherrschaft automatisch gleichzusetzen. Gerade in Ostsiedlungsregionen mit Kleinparochien (jedes Dorf mit eigener Pfarrkirche), sollte die Möglichkeit, dass die Bauerngemeinden für den Kirchbau verantwortlich waren, ernsthafter in Erwägung gezogen werden. Hier besteht noch Diskussionsbedarf.
Die zweite Bemerkung betrifft die Präsentation der Forschungsergebnisse. Die vom Autor sehr detailliert durchgeführte Formenanalyse und die darauf basierenden vergleichenden Betrachtungen sind für den Leser, der über keine so eingehende Objekt- und Ortskenntnis verfügt, häufig nicht leicht nachvollziehbar. Die Einteilung von Gruppen und Untergruppen regionaler Bautypen sowie deren Interferenzen sollte daher nicht ausschließlich über die textliche Beschreibung vermittelt werden, sondern bedarf der grafischen Darstellung durch Verbreitungskarten.
Christofer Herrmann