Wolfram Kaiser / Antonio Varsori (eds.): European Union History. Themes and Debates, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010, 268 S., ISBN 978-0-230-23270-9, GBP 19,99
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Anliegen der Herausgeber dieses Buches war es, eine nationale Forschungstrends sowie ältere und neueste Arbeiten umfassende Bestandsaufnahme der mittlerweile weitverzweigten geschichtswissenschaftlichen Integrationsforschung vorzulegen. Seit ihren Anfängen in den 1970er Jahren hat sie mehrere Stadien durchlaufen. Inzwischen, so glauben jedenfalls die Herausgeber unter Rückgriff auf eine These Katja Seidels, einer Autorin des Bandes, habe sie eine "third phase of 'refinement'"(2) erreicht und nicht nur die Konzentration auf die Untersuchung nationaler Europapolitiken überwunden, sondern auch verstärkt die Entwicklung des europäischen Institutionengefüges und europäischer Politikfelder oder die Rolle transnational agierender Parteien und Interessenverbände in den Blick genommen. Dass die Autorin und die Autoren zur Halbzeit des Buchprojekts Gelegenheit erhielten, erste Entwürfe der Beiträge vorzustellen und zu diskutieren, erhöhte die Kohärenz des Bandes beträchtlich und sollte deshalb durchaus Schule machen.
Die Herausgeber - Professor für "European Studies" in Portsmouth der eine, für "History of International Relations" in Padua der andere - haben die zehn Beiträge nach drei Schwerpunkten gegliedert: Zunächst zeichnen Varsori, Seidel und Kaiser nach, wie sich die Integrationsgeschichtschreibung etablierte und positionierte. Welche Tendenzen sie dabei entdeckt haben, verraten bereits die Überschriften ihrer Beiträge: "from normative impetus to professionalization", "from pioneer work to refinement" und "from isolation to centrality". Zwar kann man den meisten ihrer Befunde und Monita, etwa Kaisers Klagen über die mangelhafte Offenheit und Neugier gegenüber der allgemeinen Europageschichtsschreibung oder Nachbardisziplinen wie der Politikwissenschaft und der Soziologie nur beipflichten. Und selbstverständlich gerät bei der Suche nach generellen, charakteristischen Trends Gegenläufiges und Widersprüchliches leicht in den Hintergrund. Doch der älteren Integrationsgeschichtsschreibung Professionalität und kritische Reflektion mehr oder weniger absprechen zu wollen, wird ihr kaum gerecht. Immerhin war es bereits Alan Milward in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, der sich beispielweise über hagiographische Arbeiten über die "Heiligen" der europäischen Einigung wie Schuman und Monnet lustig machte.
Beiträge über unterschiedliche Zugriffe auf die Geschichte der europäischen Integration machen den zweiten thematischen Schwerpunkt aus. Daniele Pasquinucci beschäftigt sich mit der "europaföderalistisch" inspirierten Forschung, die insbesondere in den Anfängen der Europahistoriographie und in Italien recht einflussreich war bzw. noch ist. Michael Gehler analysiert anhand der Beispiele Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Dänemark "different ways in which historiography has conceptualized, researched and narrated national policy towards European integration" (86). N. Piers Ludlow schließlich konstatiert zu Recht eine gewisse Zurückhaltung einschlägig arbeitender Historiker und Historikerinnen gegenüber der Erforschung der europäischen Institutionen, die schon seit längerem nicht mehr mit unzugänglichen Archiven gerechtfertigt werden könne. Erst genauere Kenntnisse über die Arbeit dieser Institutionen erlaubten nämlich Rückschlüsse auf den Einfluss "europäischer" Politik auf die Politik der einzelnen Mitgliedsländer. Allerdings müsse diese Art der Geschichtsschreibung darauf achten, dass "the gap between the 'integration story' and the more general debate about how the whole continent has fared since 1945" (126) nicht noch breiter werde.
Den dritten Schwerpunkt bilden Analysen verschiedener wichtiger Dimensionen der Einigungsgeschichte: die Rolle wirtschaftlicher Faktoren und Akteure (Morten Rasmussen), die Frage der Herausbildung einer "europäischen Gesellschaft" (Lorenzo Mechi), die Rolle der USA im Einigungsprozess (Mark Gilbert) und das Verhältnis zwischen nationalen Außenpolitiken und einer im Entstehen begriffenen EU-Außenpolitik (Giuliano Garavini).
Die inhaltliche Konzeption des Bandes vermag durchaus zu überzeugen, auch wenn man beispielsweise einen Beitrag über die wenigen Fortschritte und vielen Rückschläge bei der militärischen Integration der EG/EU vermisst. Auch fällt auf, dass englischsprachige Literatur und der EWG/EG/EU-Entwicklungsstrang in den zehn Forschungsberichten eindeutig dominieren. Die wichtigsten Themen und Kontroversen der Integrationsgeschichtsschreibung werden jedoch kompetent präsentiert und zusammengefasst. Das Buch eignet sich, nicht zuletzt wegen der mehr als 30 Seiten umfassenden Bibliographie, hervorragend sowohl für "Einsteiger" in die Europaforschung als auch für "Fortgeschrittene". Es bietet Orientierung und macht auf Probleme und Defizite der bisherigen Integrationsgeschichtsschreibung aufmerksam: ein rundum gelungenes und höchst hilfreiches Buch.
Werner Bührer