Phil-young Kim: Ein deutsches Reich auf katholischem Fundament. Einstellungen zur deutschen Nation in der strengkirchlichen katholischen Presse 1848 - 1850 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 1079), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, 363 S., ISBN 978-3-631-61400-6, EUR 56,80
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Ralf Zerback: Robert Blum. Eine Biografie, Leipzig: Mark Lehmstedt 2007
Nikolaus Back: Dorf und Revolution. Die Ereignisse von 1848/49 im ländlichen Württemberg, Ostfildern: Thorbecke 2010
"Audiatur et altera pars" - diesen Grundsatz aus der Rechtssprache sollte jede Geschichtsschreibung als methodische Prämisse beherrschen, doch versperren die Standortbezogenheit und Generationsblindheit dem Betrachter oft den Blick. Solches gilt für die Rolle des politischen Katholizismus in der Revolutionsforschung zu 1848/49. 'Reaktionär', 'obstruktiv', 'ultramontan', 'partikularistisch', der nationalen Einigung fremd gegenüber stehend: so lauten die unterstellten, selten noch offen ausgesprochenen Urteile. Dieter Langewiesche hat dazu die Formel von der "Konfessionsblindheit in der deutschen Nationalismusforschung" geprägt; pointierter formuliert zielt das auf den Alleinvertretungsanspruch der borussischen Geschichtskonstruktion. Es war also angebracht, in einer unbefangenen Diskursanalyse überhaupt erst einmal zu bilanzieren, wie "die Katholiken" sich in der politischen Öffentlichkeit der Revolution positioniert hatten. Die vorliegende, von Langewiesche angeregte und betreute Dissertation unternimmt das erstmals in systematischer Weise. Dieses weite Feld arbeitspraktisch zu meistern setzt voraus, in den Quellen plausibel auszuwählen. Phil-young Kim entscheidet sich dafür, die "katholischen Einstellungen zur deutschen Nation anhand der katholischen Presse der Jahre 1848-1850" zu untersuchen (14) - allein vom Material her eine gewaltige Leistung. Sie analysiert die strengkirchlich-ultramontanen Zeitungen und Zeitschriften aus Rhein-Hessen, der preußischen Rheinprovinz, Bayern, Württemberg, Baden, Schlesien und - das ist sehr wichtig! - auch aus Österreich. Man könnte einwenden, ob die Aussagen der katholischen Publizisten - einer kirchenpolitischen Avantgarde - überhaupt die Meinung "der" Katholiken im Allgemeinen einfangen können. Gewiss ist die Frage nach der Ausbreitung und Tiefenwirkung von Einstellungen berechtigt, sie erschöpfend zu beantworten methodisch kaum möglich. Doch Kim verlässt sich nicht ausschließlich auf die Spiegel-Ebene der Presse, sondern bezieht die publizistischen Äußerungen des lebhaften katholischen Vereins- und Versammlungswesens mit ein, insbesondere die Verhandlungen der Generalversammlungen der katholischen Vereine, das Protokoll der ersten Bischofskonferenz, die Verhandlungen zahlreicher Regionalkonferenzen (deren Wortlaut in der Presse dokumentiert wird) und nicht zuletzt die tief in die Bevölkerung hinab reichenden Willensbekundungen der Katholiken in Form vieler tausend von Petitionen.
Der einführende Abschnitt über die Revolutionsrezeption in der katholischen Presse formuliert etwas irreführend, denn Rezeption bedeutet Adaption, tatsächlich gemeint sind jedoch der Umgang und die Auseinandersetzung mit "der Revolution". Hierzu gibt Kim einen instruktiven Überblick zur katholischen Presse in Deutschland, ausgehend von den ersten Periodika "Der Katholik" (1821) und den "Historisch-politischen Blättern" (1838); doch erst die Revolution bedeutete "einen großen Entwicklungssprung" (27-39, Zitat 39), denn auch die kirchentreuen Katholiken profitierten von den Errungenschaften der Moderne: der Pressefreiheit und dem Ende des auch von ihnen so bezeichneten 'Polizeistaats', indem sie erstmals über eigene politischen Tageszeitungen verfügten. Die strenggläubigen Katholiken verneinten das Prinzip der Revolution, akzeptierten aber den durch die Revolution entstandenen neuen 'Rechtsboden'. Grundsätzlich verharrten sie in Ambivalenz, da sie von der neuen Freiheit profitierten, der Revolution aber Vernichtung alles Bestehenden, zumal der Religion, die Ablehnung jeglicher Autorität, die Unvernunft der Mehrheitsentscheidung und die Knechtung der Kirche aus falsch verstandener Aufklärung zuschrieben. Die kirchentreuen Katholiken erblickten im Christentum ein Mittel gegen Revolution und rückten demgegenüber die Reformation ebenso wie den protestantischen Geist in die Nähe der Revolution. Für sie bedeutete die Revolution zugleich Freiheit vom bürokratischen Staat, aber nicht die Trennung, denn die staatliche Finanzierung des geistlichen Personals und der Kirchengebäude sowie den Einfluss auf Schule, Universitäten und im öffentlichen Leben wollte man nicht verlieren.
Der Abschnitt Nationaler Staat breitet katholische Grundpositionen aus, wie der neue Staat zu konstruieren sei. Der Leser findet hier bereits Vermutetes bestätigt, aber nun zwingend und breitflächig dokumentiert und als richtungsweisende Mehrheitsbotschaft nachgewiesen. Die Frankfurter Nationalversammlung wird vorbehaltlos anerkannt. Das war zuletzt deshalb möglich, weil mit der noch weitgehend in der Bedeutung unterschätzten Wahl des österreichischen Erzherzogs Johann zum Reichsverweser zugleich ein Signal für die Akzeptanz der Habsburgermonarchie beim Einigungswerk gesetzt worden war. Die Affinität zum Habsburgerreich schränkte die Optionen der nationalen Einigung ein: für eine konstitutionelle Monarchie, gegen die großdeutsche Einigung der Reichsverfassung, welche die Monarchie verwaltungsmäßig geteilt hätte, gegen den Radowitzplan und das Erfurter Einigungsprojekt, aber für das Siebzigmillionenreich Schwarzenbergs, das die Integration der Gesamtmonarchie implizierte. Demgegenüber erschien die preußische Unionspolitik als 'Partikularismus'. Selbst der Gagernsche Plan eines Engeren und Weiteren Bundes fand nur bei einer Minderheit Gnade. Letztlich verblieb nur die Wiederherstellung des Deutschen Bundes bei Ablehnung des Frankfurter Einigungswerkes, weil die Prämisse der Zugehörigkeit 'Österreichs' nicht verhandelbar war. Analog zum Schwarzenbergplan mahnte man den Beitritt zum Zollverein an, das hieß zu einem Wirtschaftsraum von der Nordsee bis zur Adria.
Mit dem Abschnitt über das Reich betritt der Leser Neuland, denn nun wird ihm überzeugend vor Augen gestellt, wie lebendig noch die Erinnerung an das Heilige Römische Reich und dessen deutsches Kaisertum in katholischen Kreisen war. Die Mehrheit plädierte gar für dessen Wiederherstellung, wie es noch auf der Mainzer Generalversammlung der katholischen Vereine im Oktober geschah. Bemerkenswert ist die Ambivalenz unter den Glaubensbrüdern, verstanden doch die österreichischen Katholiken unter der Reichseinigung eher die Herstellung eines "Völkerbundes", den ein "übernationelles" Interesse prägte und dem der "Rechtsstaat" als übergeordnetes Ziel diente, wie es die Wiener Kirchenzeitung propagierte. Die überwiegende Mehrheit der ultramontanen deutschen Katholiken erstrebte demgegenüber ein "deutschnationales Reich" mit gemischten Nationalitäten (147 f.).
Das spannendste, aufregendste und nach wissenschaftlichem Ertrag im Rahmen der Nationalismusforschung innovativste Kapitel ist dasjenige über die Nation. Nach einer Darlegung, dass auch bei den kirchentreuen Katholiken der Volksbegriff mehrdeutig gewesen sei (ethnisch-kulturell, staatsbürgerlich, sozial), analysiert Kim die von den Katholiken wahrgenommene Problematik des modernen Nationalismusbegriffs. Die genauere Vertrautheit mit der Habsburgermonarchie lehrte die Katholiken eine Distanz, wie sie während des nationaltrunkenen Jahres nur selten möglich war und bisher auch kaum dokumentiert wurde. Die Historisch-politischen Blätter mahnten, der Bestand der Nationalität sei zwar ein "Rechtstitel", stehe aber keineswegs über allen Rechten (191). Es sei "ein revolutionärer Gedanke, dass >Alles, was eine Sprache spricht (richtiger: schreibt), in seiner Gesamtheit ein Volk sei.< Dieser revolutionäre Gedanke verursache den wechselseitigen >Hass< der Nachbarvölker: >Die Revolution trieb wechselweise den Nachbarn an, den Nachbarn zu hassen, bloß weil der eine des Andern Muttersprache nicht versteht.<" (191). Sprache und Abstammung "auf den Länderbesitz angewendet", also die Identität von "Nationalität und Territorialbesitz" würden Europa in einen "hundertjährigen Krieg" stürzen (196). Diese Beobachtungen waren von so fundamentaler, zeituntypischer Hellsichtigkeit, dass sie jedem zur näheren Lektüre empfohlen seien. Das bindende Element der 'Vaterlandsliebe' und aller Staatsgenossen werde - mit Verweis auf die vorbildlichen Engländer - nicht in der Nationalität, sondern in der Verfassung erkannt. Das gipfelte in dem Diktum: "Recht ist mehr als Nationalität, und Treue mehr als Blutsverwandtschaft." (197). Die Ablehnung der Sprache als Kriterium zur Abgrenzung der Nationen untermauerte man mit den bekannten damaligen Beispielen: neben der Habsburgermonarchie und Preußen auch Belgien, Großbritannien, die Schweiz, selbst Frankreich und Spanien. Das Nationalitätsprinzip drohe den Bestand vieler Staaten zu erschüttern oder zu vernichten und "einen Racenkrieg" auszulösen (203). Die geopolitische Alternative hieß für die romtreuen Katholiken eine transnationale Föderation, in welcher das deutsche Element das Zentrum darstellte. Dieses Gebilde würde - ganz entsprechend der von Günter Wollstein identifizierten Kohäsionstheorie - die seit dem Mittelalter entfremdeten Gebiete "wie der Magnet die Eisenfeilspäne" anziehen (202), also auch die Niederlande, Belgien, die Schweiz, das Elsaß mit Lothringen, große Teile Italiens usw. Unversehens erhielt diese Argumentation eine bedenkliche kulturmissionarische, imperiale Dimension. Kim vertieft die Analyse noch konkretisierend, indem sie die Haltung der Katholiken zu den zentralen nationalen Grenzfragen der deutschen Einigung durchmustert, ergänzt um die komplementären Feindbilder, unter denen eine massive Judenfeindlichkeit einschließlich der Rede von den 'Gottesmördern' das verhängnisvollste Gewicht hatte. Die Analyse der Rhetorik erweist zugleich, wie die Katholiken die für sie eigentlich kontaminierten Begriffe wie 'Partikularismus', 'Kommunismus', 'Gleichheit', 'Volkssouveränität' oder 'Ultramontanismus' umdeuteten, um im öffentlichen Meinungskampf die Deutungshoheit zu erringen, vergeblich, wie die Geschichte zeigt. Phil-young Kim führt letztlich in eine bisher kaum wahr genommene Deutungswelt ein, deren innere Logik und nationale Verbindlichkeit sie vorzuführen vermag. Sie füllt damit in beeindruckender Weise eine elementare Kenntnislücke und zeigt überdies, dass die Heutigen bei den damaligen Protagonisten oder ihren Antipoden kaum Identifikationen zur Traditionsbildung erwerben, dem zwiespältigen Revolutionsleben aber - frei nach Jakob Burckhardt - 'Weisheit für immer' entnehmen können.
Wolfram Siemann