Rebecca Denz: Bundistinnen. Frauen im Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund ("Bund") dargestellt anhand der jiddischen Biographiensammlung "Doires Bundistn" (= Pri ha-Pardes; 5), Potsdam: Universitätsverlag Potsdam 2009, 169 S., ISBN 978-3-940793-58-4, EUR 10,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund (Bund) war als jüdische sozialistische Partei in den vergangenen Jahren Thema zahlreicher Studien, ohne dass die innerbundistische Selbstdarstellung en detail untersucht worden wäre. Die jiddischsprachige Biografien-Sammlung Doires Bundistn [1] (Generationen von Bundisten) gehört hierbei zu den am häufigsten herangezogenen Quellen. Sie versammelt 570 unterschiedlich gehaltvolle Lebensbeschreibungen von insgesamt 600 Mitgliedern des Bund; darunter 45 biografische Skizzen von Bundistinnen. Aufgenommen wurden in die Sammlung Bundmitglieder, über die bis zum Erscheinen der Sammlung kaum oder nichts publiziert worden war; die Intention des Herausgebers Jacob Scholem Hertz war es, der bundistischen Opfer der Shoah zu gedenken. Trotz ihrer Bedeutung für die Geschichtsschreibung zum Bund ist sie bislang noch nicht kritisch als Quelle zur innerbundistischen Historiografie untersucht worden.
Die vorliegende schmale Studie zu den in den Doires Bundistn enthaltenen Biografien von Bundistinnen greift die genannten Desiderate auf. Anhand von deren Lebenswegen wird einerseits die Rolle von Frauen im Bund untersucht, andererseits aber versucht, diesen Teil der bundistischen Parteigeschichtsschreibung zu dekonstruieren. Nach einer knappen Einführung, in der der Herausgeber, die Doires Bundistn und die darin enthaltenen Frauen-Biografien charakterisiert werden, untergliedert Rebecca Denz ihre Studie in zwei Hauptkapitel gemäß dem bundistischen Selbstverständnis und der Schwerpunktverschiebung der Tätigkeiten des Bund: Zunächst werden die Frauen im illegalen "Russischen Bund" (1897-1919) und anschließend im legalen "Polnischen Bund" (1918-1939) dargestellt, um über diese Gegenüberstellung zu zeigen, wie die unterschiedlichen lebensweltlichen Kontexte die Tätigkeiten für die Partei und die Lebensgestaltung der Bundistinnen beeinflussten. Tabellen zu den Verfassern der Biografien und eine statistische, soziologisch inspirierte Auswertung der Doires Bundistn enthalten vertiefende Informationen. Die ausführlichen jiddischsprachigen Zitate veranschaulichen dem dieser Sprache kundigen Leser die Argumentation der Verfasserin. Die Lesbarkeit leidet darunter insofern, als sie lediglich im Anhang in deutscher Sprache übersetzt wiedergegeben werden. Eine ausführliche, zwölf Seiten umfassende englischsprachige Zusammenfassung macht die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit auch Interessenten ohne deutsche Sprachkenntnisse zugänglich.
Denz kommt zu einigen Ergebnissen, die die bisherige Forschung nicht bestätigen: Die unterschiedlichen Phasen vergleichend stellt sie fest, dass sich der veränderte Status der Partei insbesondere auf die Tätigkeiten der Frauen auswirkte. Im "Russischen Bund" führten Frauen vor allem illegale Handlungen wie Schmuggeln oder Verteilen von Flugblättern aus, während sich ihre Tätigkeiten im "Polnischen Bund" auf Bereiche wie Öffentlichkeitsarbeit beschränkten. Zudem war es ihnen erstmals möglich, ihr "bundistisches Leben" mit dem Erwerbsleben zu verbinden, indem sie für den Bund als Bibliothekarin oder im Gesundheitswesen tätig waren. So sind laut Doires Bundistn im "Polnischen Bund" mehr Frauen in Führungspositionen gewesen als im "Russischen Bund" - jedoch ist diese Sammlung von Biografien eben nicht repräsentativ für die Mitgliederstruktur des Bundes.
Hier liegt ein methodisches Problem der Studie: Die Verfasserin stellt selbst - in deutlicher Weise jedoch leider erst in der Zusammenfassung - fest, dass die Sammlung im Gegensatz zu den Beteuerungen des Herausgebers keinen repräsentativen Querschnitt aller aktiven Bundistinnen darstellt, wobei diese problematisierende Feststellung sich weder im Titel der Studie noch in den einleitenden Fragestellungen explizit wiederfindet. Daher gibt die Studie weniger in Form einer kollektiven Biografie über die weiblichen Mitglieder einen Einblick in den Bund, wie es der Titel suggeriert, sondern sie stellt anhand der Analyse von Einzelbiografien einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion der innerbundistischen Geschichtsschreibung dar. Es fehlt daher letztlich eine tiefer gehende, quellenkritisch und historiografiegeschichtlich angelegte Diskussion zur Bedeutung der Doires Bundistn. Schade nur, dass die Verfasserin auf diesen, in der Einleitung als eine Leitfrage formulierten Aspekt immer nur am Rande eingeht und nicht explizit thematisiert - die Studie hätte dadurch gewonnen.
Anmerkung:
[1] Jacob Sholem Hertz (ed.): Doires bundistn. Generations of Bundists. New York 1956-1968.
Heidi Hein-Kircher