Jan Friedrich Richter: Hans Brüggemann (= Denkmäler Deutscher Kunst), Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2011, 267 S., 4 Kt., 197 s/w-Abb., ISBN 978-3-87157-234-0, EUR 79,00
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Hans Brüggemann zählt zu den wenigen namentlich bekannten Vertretern der nordischen spätgotischen Kunst. Als Hauptwerk des Künstlers gilt der nach seinem ursprünglichen Aufstellungsort benannte Bordesholmer Altar, der sich heute im Dom zu Schleswig befindet. Obwohl dies nicht anhand gesicherter Quellen belegt werden kann, bildet der Altar den Kernpunkt weiterer Zuschreibungen, die in verschiedenen Einzeluntersuchungen vorgenommen wurden. Eine Gesamtdarstellung des Œuvres Brüggemanns fehlt allerdings bis heute. Diese Forschungslücke wird nun durch die breit angelegte Monographie von Jan Friedrich Richter geschlossen, die 2011 im Deutschen Verlag für Kunstwissenschaft erschienen ist. Sie ist das Ergebnis mehrjähriger Forschungen, wobei der Autor den Altar auch in eingerüstetem Zustand untersuchen konnte.
Auf einen knappen Quellenbericht folgen alle Werke, die Brüggemann bis heute zugeschrieben wurden. Auch wenn Richter darüber hinaus keine neuen Zuweisungen vornehmen kann, erfährt das Material durch ihn eine gründliche Neuuntersuchung.
Er beginnt mit dem Bordesholmer Altar, den er ausführlich im historischen Kontext verortet. Eine Beschreibung, eine Untersuchung des Altartyps sowie eine Erörterung der Polychromie schließen sich an. Bei der Suche nach den künstlerischen Wurzeln ermittelt Richter als Meister Ludwig Jupan, in dessen Werkstatt in Kalkar Brüggemanns Schaffen begonnen haben soll, eine These, die der Autor am Ende des Buches wieder aufgreift. Eine neue Interpretation erfährt die Ikonographie des Altars. Entgegen der gängigen Forschungsmeinung, der zufolge das Werk "lediglich" ein monumentaler Kreuzigungsaltar und somit nicht mehr als ein gutes Beispiel für eine geschnitzte Umsetzung des in Dürers graphischen Vorlagen verbreiteten biblischen Textes sei, kann Richter neue Sinnbezüge aufzeigen. Er hebt die Rolle der beiden frei vor dem Altar stehenden Figuren hervor, die wesentliche Bestandteile des Darstellungsprogramms sind. Diese identifiziert er Wilhelm W. Meyer [1] folgend als Salomon und Sybille und erläutert die komplexen theologischen Sinnbezüge, wonach die zentrale Aussage die Versinnbildlichung dieser Vision sei. Der von Ingeborg Kähler geprägte, in der Forschung aber umstrittene Deutungsansatz, der die Stiftung des Altars in einem politisch-theologischen Kontext und letztlich als ein Zeugnis der Devotio Moderna sieht, bleibt dabei jedoch unberücksichtigt. Nach der ikonographischen Analyse liefert er eine Rekonstruktion des ursprünglichen Aufstellungsortes des Altars.
Ein ähnlicher Aufbau, bestehend aus Forschungs- und Aufstellungsgeschichte, Beschreibung, ikonographischer Erläuterung, stilistischer Zuweisung, zeitlicher Einordung sowie eigener Vorschläge für die Identifizierung des Auftraggebers, wird auch bei der Untersuchung der sieben übrigen Werke eingehalten. Diese Struktur ermöglicht dem Leser, sich ein genaues Bild über das Schaffen des Künstlers zu machen. Beim Husumer Sakramentshaus und dem Kreuzigungsretabel aus Brügge, die beide zerstört sind, wäre vielleicht eine Rekonstruktion wünschenswert. Zu Recht vorsichtig formuliert Richter seine Ergebnisse bei der Triumphkreuzgruppe aus Ystad und bei der Frage der Eigenhändigkeit der Bordesholmer Grablege, wobei hier seine auf wenigen motivischen Parallelen basierende Zuschreibungen nicht ganz überzeugen. Eine ausführliche Behandlung erfährt das in der Forschung als Werk Brüggemanns noch immer umstrittene Goschhof-Retabel. Sehr gelungen ist dabei die Erklärung der äußerst eigentümlichen und komplexen Ikonographie des Altars. Hierbei folgt der Autor der bereits von Wolfgang Scheffler und Bernd Bünsche geäußerten These, [2] wonach die Darstellung aus der Sybillenlegende abzuleiten sei. Richter versucht, diese These weiter zu festigen, wofür er die literarischen Vorlagen gründlich analysiert. Auf Grund von Stilvergleichen spricht er sich für eine Eigenhändigkeit Brüggemanns aus.
Im folgenden Kapitel geht Richter der Frage nach, wie und weshalb sich Brüggemanns Werkstatt in Husum auflöste. Da er Brüggemann als reinen Hofkünstler Friedrich von Schleswig-Holsteins ansieht, verbindet er das abrupte Ende deren Tätigkeit mit der Thronbesteigung des Königs in Dänemark. Mitunter erarbeitet er die Biographie des Künstlers anhand historischer Ereignisse, ein aufgrund der spärlichen Quellenlage notwendiges, jedoch nicht ganz ungefährliches Vorhaben. Hypothetisch erscheint zudem die in diesem Teil der Arbeit besprochene Rekonstruktion des quellenmäßig Brüggemann einzig sicher zuzuschreibenden Werkes, des Altars in Walsrode.
Im Kapitel "Arbeiten frei gewordener Gesellen" vertritt der Autor die These, dass Brüggemanns Gehilfen sich nach Auflösung der Husumer Werkstatt auf Werkstätten in der näheren Umgebung verteilt haben. Hier bildet er mithilfe der Stilkritik vier verschiedene, nach Kunstlandschaften geordnete Gruppen und bespricht die Arbeiten, die von ihm als Nachfolgewerke der Husumer Werkstatt angesehen werden.
Im abschließenden Kapitel geht Richter Stilfragen nach und untersucht die künstlerische Herkunft Brüggemanns. Hier greift er seine eingangs formulierte These auf, nach der Brüggemann Geselle in der Werkstatt des Ludwig Jupan in Kalkar gewesen sei. Er stellt die Theorie auf, dass Brüggemann auf seinem Weg nach Schleswig-Holstein die wichtigsten Kunstzentren am Niederrhein berührte und sucht nach stilistischen Parallelen zu den Hauptvertretern dieser Schulen, wobei der Einfluss des Meisters von Osnabrück in seiner künstlerischen Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt haben soll. Entgegen der Forschungsmeinung ist Richter der Auffassung, dass der Künstler trotz zahlreicher motivischer und stilistischer Entsprechungen nicht zwingend in den Niederlanden gewesen sein muss, vielmehr seien die Parallelen auf die allgemeine Verbreitung der niederländischen Formensprache am Anfang des 16. Jahrhunderts zurückzuführen. Er betont die Vorbildhaftigkeit des graphischen Werks von Dürer und sucht akribisch nach weiteren Vorbildern, wobei besonders der Vergleich des Bordesholmer Altaraufbaus mit zeitgenössischen Orgelbauten erhellend ist. Im Schlussteil stellt der Autor fest, dass Hans Brüggemann letztlich weder im Wort noch im Bild zu fassen ist [3] wodurch er seine Aussagen mit einem Schlag relativiert.
Der wissenschaftliche Katalog im Anhang mit ausführlichen technischen Befunden umfasst 28 Werke und stellt sämtliche Arbeiten zusammen, die dem Künstler und seinen Gesellen zugeschrieben wurden. Aufgeführt werden sie nach alphabethischer Reihenfolge der Standorte - etwas benutzerfreundlicher wäre es jedoch gewesen, wenn der Autor sich an der für den Textteil gewählten Reihenfolge orientiert hätte.
Im Quellenanhang sind die bisher bekannten schriftlichen Quellen in chronologischer Reihenfolge abgedruckt. Der großzügige Abbildungsteil umfasst 119 Seiten. Die Werke sind relativ großformatig und zumeist mit ergänzenden Detailaufnahmen in guter Qualität wiedergegeben. Das Buch wird ergänzt durch Übersichtskarten, ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein gut benutzbares Register.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Richter die nicht gerade leichte Aufgabe, das Œuvre eines in den Quellen kaum fassbaren Künstlers zusammenzustellen, gut bewältigt. Der methodische Weg, den der Autor eingeschlagen hat, erweist sich dabei als richtig: Neue Ergebnisse können aus Mangel an schriftlichen Nachrichten letztlich nur aus einer umfassenden stilistischen Untersuchung gewonnen werden. Das Buch ist klar und gut verständlich geschrieben. Die Thesen der unterschiedlichen Forschungsmeinungen sowie Zu- und Abschreibungen werden detailliert diskutiert. Das Buch regt den Leser an, die Werke Brüggemanns mit einem frischen Blick zu betrachten.
Anmerkungen:
[1] Wilhelm W. Meyer: Die Nebenfiguren am Brüggemannschen Altar in Schleswig, in: Schleswiger Nachrichten vom 17. Dezember 1949.
[2] Bernd Bünsche: Der Goschhof-Altar in Schleswig - ein Werk des Hans Brüggemann. (Phil. Diss. Berlin 2004), Kiel 2005, 222-225 und Wolfgang Scheffler: Christliche Grabdenkmäler in Schleswig-Holstein, in: Eintracht macht stark. Jahrbuch für die schleswig-holsteinischen landwirtschaftlichen Genossenschaften, Jg. 7 (1931), 81-87.
[3] Seite 95.
Enikö Zsellér