Katarzyna Stoklosa: Polen und die deutsche Ostpolitik 1945-1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 606 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-30000-8, EUR 59,95
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jens Hüttmann: DDR-Geschichte und ihre Forscher. Akteure und Konjunkturen der bundesdeutschen DDR-Forschung, Berlin: Metropol 2008
Franz-Josef Meiers: Außen- und Sicherheitspolitik im geteilten Deutschland. Eine Verflechtungsgeschichte, Berlin: BeBra Verlag 2023
Stefan Berger / Norman LaPorte: Friendly Enemies. Britain and the GDR, 1949-1990, New York / Oxford: Berghahn Books 2010
Während im deutsch-französischen Verhältnis die Erbfeindschaft im Verlauf der 1950er und frühen 1960er Jahren einer "entente élémentaire" Platz machte, normalisierte sich das deutsch-polnische Verhältnis erst in den 1990er Jahren. Die Forschungslage ist höchst ungleichgewichtig: Die deutsch-französischen Nachkriegsbeziehungen können inzwischen als sehr gut erforscht gelten, während im Hinblick auf die deutsch-polnischen Beziehungen trotz wesentlicher Fortschritte seit 1990 noch Nachholbedarf herrscht. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass Katarzyna Stokłosa ihre Habilitationsschrift dem Thema "Polen und die deutsche Ostpolitik" widmet. Diese ist in mehrfacher Hinsicht umfassend angelegt: Sie behandelt, unter Konzentration auf die Neue Ostpolitik, den ganzen Zeitraum von 1945 bis 1990, sie betrachtet die Beziehungen beider deutscher Staaten zu dem polnischen Nachbarstaat, und sie bettet diese in den internationalen Rahmen ein. Dazu hat Stokłosa neben dem gedruckten Material nicht nur westdeutsche, ostdeutsche und polnische, sondern auch russische, britische und amerikanische Archivquellen herangezogen. In den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellt sie die Frage, wie es trotz der historisch erheblich belasteten deutsch-polnischen Beziehungen "dennoch zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen kam" (11). Methodisch hat sie einen "multiperspektivische[n], implizit komparatistische[n] Zugriff" (33) gewählt, mit dem sie nicht nur die politisch-diplomatischen, sondern auch die gesellschaftlichen Beziehungen sowie die wechselseitigen Perzeptionen in den Blick nehmen will.
Die Studie folgt der Chronologie: Nach einem den Jahren 1945 bis 1956 gewidmeten Kapitel, das sowohl die innere Entwicklung der beiden deutschen Staaten und Polens als auch die Belastungen des bilateralen Verhältnisses behandelt, wird die Zeit zwischen 1957 und 1969 als "Vorgeschichte der Ostpolitik" geschildert. Darin geht es nicht nur um das "mühsame" westdeutsch-polnische Verhältnis unter Adenauer (95) und dessen Neuausrichtung unter Außenminister Gerhard Schröder, sondern auch um Initiativen der SPD sowie der evangelischen und katholischen Kirche und deren insgesamt eher verhaltene Rezeption in Polen.
Den Startschuss für die westdeutsch-polnischen Verhandlungen gab indes PVAP-Chef Władysław Gomułka, als er, ohne Rücksprache mit Moskau oder Ost-Berlin, am 17. Mai 1969 der Bundesregierung Gespräche über einen Grenzvertrag anbot und, abweichend von der vorgegebenen Linie des Ostblocks, keine Grenzanerkennung als Vorbedingung forderte. Unter den von Stokłosa genannten Gründen für dieses Angebot fehlt indes der wichtigste: Gomułka befürchtete, bei den beginnenden Ost-West-Gesprächen ins Hintertreffen zu geraten.
Eingehend werden im Anschluss daran die westdeutsch-polnischen Verhandlungen, der Abschluss des Warschauer Vertrags sowie dessen Ratifizierung behandelt und dabei nicht nur die Bundesrepublik, Polen und die DDR, sondern auch die Haltung der beiden Supermächte sowie anderer europäischen Staaten - einschließlich des Vatikans - in die Darstellung einbezogen. Auf diese Weise wird auch auf bisher unbekannte Aspekte dieses Prozesses aufmerksam gemacht, unter anderem auf den (vergeblichen) polnischen Versuch, bei den Verhandlungen die Unterstützung der USA zu erhalten. Dabei rächt sich freilich die Entscheidung, die Verhandlungen über die Grenzfrage separat zu behandeln; denn letztlich bleibt unklar, warum der Warschauer Vertrag trotz der zahlreichen, immer wieder hervorgehobenen Probleme am 7. Dezember 1970 unterzeichnet werden konnte. Dies war, worauf leider nur am Rande eingegangen wird, vor allem auf das sehr weitgehende Entgegenkommen der Bundesrepublik zurückzuführen, die nicht nur akzeptierte, dass in dem Vertrag die Grenzanerkennung vor dem Gewaltverzicht rangierte, sondern auch hinnahm, dass die Vertragsverhandlungen nicht auf die Ausreise von Mitgliedern der deutschen Minderheit ausgedehnt wurden. Bonn gab sich mit einer einseitigen polnischen "Information" zufrieden, in der die Aussiedlung von einigen 10 000 Personen zugesichert wurde. Als Brandt sich daher im August 1972 bei Breschnew darüber beschwerte, dass Polen mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zögere, und sich über die mangelnde polnische Bereitschaft beklagte, weitere Deutschstämmige ausreisen zu lassen, bedeutete dies nicht, wie Stokłosa schreibt, "dass die Bundesregierung der Sowjetunion mehr vertraute als Polen" (313). Hintergrund des Schreibens war vielmehr, dass Polen seine Verpflichtungen nicht einhielt und Brandt hoffte, über Moskau zum Ziel zu gelangen.
Freilich blieben die westdeutsch-polnischen Beziehungen vor allem wegen dieser Frage gespannt. Da dieser Hintergrund nicht hinreichend erklärt wird, bleibt auch unklar, warum 1974/75 die bilateralen Gespräche wieder in Gang kamen und zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Edward Gierek am Rande der KSZE in Helsinki zu einem Abschluss geführt werden konnten: Erst jetzt sagte Polen die Ausreise von 120 000 bis 150 000 Personen gegen die Zahlung einer Pauschale von 1,3 Mrd. DM zur Abgeltung aller Ansprüche im Bereich der Renten- und Unfallversicherung und einen KfW-Kredit von einer weiteren Mrd. DM verbindlich zu. All dies wäre ohne die Ungleichgewichtigkeit des Warschauer Vertrags, die Polen einen Hebel in die Hand gab, um die Bundesrepublik zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen, nicht möglich gewesen. Solche resümierenden Betrachtungen sind in der Studie von Stokłosa kaum zu finden.
Wenngleich der Schwerpunkt auf den westdeutsch-polnischen Beziehungen liegt, wird auch das ostdeutsch-polnische Verhältnis immer wieder behandelt. Jedoch stehen die Abschnitte relativ isoliert in der Darstellung und sind mit den entsprechenden Passagen zum Verhältnis Warschau-Bonn nicht verklammert. Das wird beispielsweise im Zusammenhang mit dem Abkommen zwischen Polen und der DDR vom 25. November 1971 deutlich, das ostdeutschen und polnischen Bürgern ermöglichte, ab dem 1. Januar 1972 ohne Pass und Visum in das jeweilige Nachbarland zu reisen. Die Grenzöffnung und ihre Auswirkungen werden zwar thematisiert, nicht aber ihr Zustandekommen. Daher wird nicht erwähnt, dass dieser Schritt auch als Ausgleich für die deutsch-deutsche Grenzöffnung gedacht war: Da die DDR-Führung Reisen von Ostdeutschen in die Bundesrepublik nur sehr begrenzt zulassen wollte, hoffte sie, durch die Öffnung der Grenze nach Polen (und zur ČSSR) einen gewissen Ersatz zu schaffen. Auch in diesen Abschnitten finden sich jedoch durchaus interessante Einzelheiten, wie z. B. das Zitat aus einem Papier des polnischen Außenministeriums vom August 1973, in dem es hieß: "Unser ganzes Konzept der Integration mit der DDR ergab sich vor allem aus unseren Ängsten vor der Wiedervereinigung Deutschlands. " Jedoch müsse dieses Konzept nun ergänzt werden, indem auch die polnische "Präsenz in der BRD" ausgebaut werde (350).
In den 1980er Jahren beherrschten die Themen Solidarność und Kriegsrecht die deutsch-polnischen Beziehungen. Während Stokłosa das Verhältnis der beiden Staaten zur polnischen Gewerkschaftsbewegung und zum dortigen Regime grundsätzlich zutreffend darstellt, verpasst sie die Chance, hier auf die gesellschaftlichen Beziehungen näher einzugehen. Denn die überwältigende westdeutsche Hilfsbereitschaft für die Not leidenden Polen bewirkte nach bisherigen Erkenntnissen einen Einstellungswandel in der polnischen Gesellschaft gegenüber den Deutschen in der Bundesrepublik, während das Verhältnis zu den Ostdeutschen aufgrund der Politik Ost-Berlins beeinträchtigt wurde. Eine Arbeit, die gerade auch die transnationalen Beziehungen in den Blick nehmen will, hätte hier intensiver nachforschen müssen.
Auch wenn Stokłosa "von einer selbstverständlichen Interdependenz von Außenpolitik und Gesellschaftsgeschichte" ausgeht (25), ist im Text selbst wenig davon zu spüren. Die Arbeit enthält zwar längere, durchaus interessante Ausführungen zur inneren Entwicklung Polens, in denen vor allem die polnische Forschung rezipiert wird; jedoch wird die Relevanz dieser Abschnitte für die deutsch-polnischen Beziehungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene nicht verdeutlicht.
Insgesamt handelt es sich um eine äußerst materialreiche Studie, in der kaleidoskopartig zahlreiche Aspekte der polnischen Nachkriegsgeschichte sowie der deutsch-polnischen Beziehungen berührt werden. Jedoch bleibt vieles unverbunden nebeneinander stehen; Stokłosa verharrt vielfach im Deskriptiven. Nur am Ende der umfangreichen Studie fasst sie ihre Ergebnisse sehr knapp zusammen. Das ist symptomatisch für eine Arbeit, die von einem analytischeren Zugriff stark profitiert hätte.
Hermann Wentker