Rezension über:

Benjamin Grob-Fitzgibbon: Imperial Endgame. Britain's Dirty Wars and the End of Empire (= Britain and the World), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2011, XV + 478 S., ISBN 978-0-230-24873-1, GBP 16,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Gerhard Altmann
Korb
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Altmann: Rezension von: Benjamin Grob-Fitzgibbon: Imperial Endgame. Britain's Dirty Wars and the End of Empire, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 6 [15.06.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/06/21193.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Benjamin Grob-Fitzgibbon: Imperial Endgame

Textgröße: A A A

"Wie viel schwieriger es doch ist, ein Empire loszuwerden, als es zu erwerben." [1] Harold Macmillans Stoßseufzer spricht Bände über den Prozess der Dekolonisation, der das Ende der europäischen Vormacht in der Welt markierte. Hatte die Labour-Regierung unter Clement Attlee die überseeischen Territorien noch hoffnungsfroh unter die Kuratel des britischen Wohlfahrtsstaats gestellt, befand sich Macmillan bereits im Strudel des disimperialism, als er Anfang 1957 die Regierungsgeschäfte übernahm. Und als der alerte Tory-Politiker 1960 als erster amtierender Premierminister überhaupt Afrika besuchte, tat er dies mit so viel Aplomb, dass er fortan selbst als treibende Kraft der Dekolonisation galt. Denn indem er vor den Abgeordneten des südafrikanischen Parlaments den "Wind des Wandels" beschwor, machte er unmissverständlich klar, dass sich das Vereinigte Königreich nicht gegen den säkularen Wandel in den Nord-Süd-Beziehungen stemmen würde.

Dies bedeutete freilich nicht, dass die Regierung in London klein beigab, wenn sie sich durch Befreiungsbewegungen in ihren Kolonien herausgefordert sah. Ganz im Gegenteil. Benjamin Grob-Fitzgibbon zeichnet jene blutige Spur nach, welche die britische Aufstandsbekämpfung in den anderthalb Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hinterließ. Sein Hauptaugenmerk richtet er dabei auf die Konflikte in Palästina, Malaya und Kenia. Weitere Krisenherde, die er mit stupender archivalischer Akribie ins Visier nimmt, sind Zypern, Suez und Aden. Grob-Fitzgibbon erkennt im Vorgehen der britischen Regierungen nach 1945 eine kohärente Strategie, die darauf abzielte, die kolonialen Territorien am Tag ihrer Unabhängigkeit sowohl im Commonwealth als auch im westlichen Lager begrüßen zu können.

Dass beide Ziele mitnichten zwei Seiten derselben Medaille waren, zeigte die Eskalation der Gewalt im Heiligen Land. Der jüdisch-arabische Konflikt, in dem die britische Besatzungsmacht zusehends selbst zur Zielscheibe von Terroristen wurde, rief die US-amerikanische Außenpolitik auf dem Plan. Der britische Außenminister Bevin drängte deshalb darauf, den Ansichten Washingtons mehr Beachtung zu schenken, als dem Kolonialamt in London lieb war. Die Imperative des Kalten Kriegs banden mithin die Hände der britischen Kolonialstrategen. Im Lauf des Jahres 1947 gab London schließlich entnervt die Suche nach einer politischen Lösung für den, aufgrund widersprüchlicher Zusagen an die Kontrahenten, seit drei Jahrzehnten schwelenden Konflikt auf. Der Teufelskreis aus Terroranschlägen, Vergeltungsmaßnahmen und antisemitischen Ausschreitungen in Großbritannien sollte durchbrochen werden, indem London die Verantwortung für Palästina kurzerhand an die UNO abtrat, deren Teilungsbeschluss von 1947 jedoch auf wütende Ablehnung seitens der Araber stieß.

Befriedigender verlief aus Londons Warte die Aufstandsbekämpfung in Malaya, dessen einzelne Territorien 1948 unter dem Dach einer Föderation vereint wurden. Dagegen erhoben sich die von ethnischen Chinesen dominierten Kommunisten Malayas. Den Verantwortlichen in Großbritannien wurde rasch klar, dass ein rein militärisches Vorgehen gegen die Insurgenten keine dauerhaften Erfolge zeitigen würde. Was Grob-Fitzgibbon an Positionspapieren zusammengetragen hat, liest sich über weite Strecken wie ein modernes Anti-Terror-Handbuch, das auch im 21. Jahrhundert an den Brennpunkten der Neuen Kriege mit Gewinn studiert werden könnte. So empfahl General Stockwell, das Militär solle der Polizei und den zivilen Behörden mehr Respekt entgegenbringen, um die Aufstandsbekämpfung auf ein solides Fundament zu stellen. Außerdem komme es darauf an, das Gros der Bevölkerung aus der Schusslinie der Terroristen zu bringen, um deren Nachschubwege abzuschneiden. Mit der Ankunft von General Briggs in Kuala Lumpur im Frühjahr 1950 wurden diese Empfehlungen in die Tat umgesetzt. Briggs ging zudem neue Wege in der Beschaffung von Informationen und konnte auf die Malayan Scouts zurückgreifen, die das Vorbild für alle weiteren Spezialkräfte im Kampf gegen Aufständische abgaben. Hatte der Kalte Krieg die britische Palästinastrategie durchkreuzt, so verlieh er in Gestalt des Koreakriegs dem britischen Kampf im Dschungel von Malaya Auftrieb. Denn zum einen konnten die Briten die Jagd auf chinesische Kommunisten nahtlos in die amerikanische Fernostpolitik einpassen. Zum anderen trieb der Krieg auf der koreanischen Halbinsel weltweit die Rohstoffpreise in die Höhe, was dem Export von Kautschuk und Zinn aus Malaya atemberaubende Margen bescherte.

Der Machtwechsel in London brachte 1951 Oliver Lyttelton ins Kolonialamt. Grob-Fitzgibbon porträtiert den Tory-Minister als Glücksfall für die Aufstandsbekämpfung in Malaya: Lyttelton habe im Zweifelsfall den Männern vor Ort das letzte Wort konzediert. Zudem machte er sich auf einer für britische Kolonialminister präzedenzlosen Mission selbst ein Bild von den Zuständen in Malaya und forderte verstärkte Anstrengungen im Schulwesen, um die Malaien für eine Zukunft ohne britische Vormundschaft zu rüsten. Nach der Rückkehr ins Mutterland schrieb Lyttelton seinen Kabinettskollegen ins Stammbuch, dass der Imperialismus im Stil des 19. Jahrhunderts der Vergangenheit angehöre. In Feldmarschall Templer fand Lyttelton einen kongenialen Militär, dessen "Hearts and minds"-Ansatz die Bevölkerung Malayas schließlich zum wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Kommunisten machte und Malaya den Weg in die befriedete Unabhängigkeit ebnete.

"Fear of the unexplainable" (246) verdunkelte indes selbst Lytteltons Einschätzung der Lage in Kenia, wo 1951 der Mau-Mau-Aufstand ausgebrochen war. Von den Verantwortlichen vor Ort und westlichen Medien als Ausgeburt magisch-sadistischer Praktiken gebrandmarkt, wurde bei der Bekämpfung der Aufständischen von der Ethnie der Kikuyu keinerlei Anstalten gemacht, deren "hearts and minds" zu gewinnen. Entsprechend harsch fielen die Maßnahmen der Sicherheitskräfte aus. Wurden in Malaya 226 Aufständische hingerichtet, so waren es in Kenia 1090. Und Ende 1955 gab die britische Regierung erstmals die Erlaubnis, Rädelsführer des Aufstands gezielt zu töten.

Anthony Edens waghalsiger Suezkrieg 1956, der die Uhren im Nahen Osten zurückdrehen sollte, endete in einem Debakel. Dieser "dirtiest of all Britain's dirty wars" (349) verhalf Macmillan nach 10 Downing Street. Macmillan gewann an Statur, als er - wie Lyttelton in dessen besseren Momenten - der Realität ins Gesicht blickte und nach den zunächst dilettantisch vertuschten Todesfällen im kenianischen Lager Hola 1959 eine beschleunigte Dekolonisation betrieb, nicht zuletzt um, wie er sich 1960 in Kapstadt ausdrückte, den britischen Way of life zu bewahren. Die Aufstandsbekämpfung der zurückliegenden Jahre konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der zügige Abschied vom Empire nun im wohlerwogenen Eigeninteresse Großbritanniens lag und jegliche Verzögerung die Stellung Londons in der Welt kompromittieren musste.

Grob-Fitzgibbon übertreibt, wenn er seine Befunde als Novum der Kolonialgeschichtsschreibung deklariert. Die einschlägigen Arbeiten von Caroline Elkins und David Anderson zu Kenia, die Grob-Fitzgibbon selbst anführt, sowie Robert Neillands' Studie "A Fighting Retreat" sind nur die bekanntesten Titel, die sich ausgiebig der Aufstandsbekämpfung im Zeitalter des disimperialism widmen. [2] Unabhängig davon jedoch gelingt Grob-Fitzgibbon eine lesenswerte Analyse des britischen Kampfs gegen Insurgenten in Übersee. Mit feinem Gespür für die Chronologie der Ereignisse, die Koinzidenzen ebenso wie Ungleichzeitigkeiten zutage fördert, und dank prägnanter Vignetten der Hauptakteure thematisiert er umsichtig ein Phänomen, das die internationale Gemeinschaft bis heute in Atem hält.


Anmerkungen:

[1] Harold Macmillan: At the End of the Day. 1961-1963, London: Macmillan 1973, 259.

[2] Carolin Elkins: Imperial Reckoning. The Untold Story of Britain's Gulag in Kenya, New York 2005; David Anderson: Histories of the Hanged. The Dirty War in Kenya and the End of Empire, New York 2005; Robin Neillands: A Fighting Retreat: The British Empire 1947-1997, London 1996.

Gerhard Altmann