Joachim Kemper / Georg Vogeler (Hgg.): Digitale Urkundenpräsentationen. Beiträge zum Workshop in München, 16. Juni 2010 (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik; 6), Norderstedt: Books on Demand 2011, XI + 100 S., ISBN 978-3-8423-6184-3, EUR 19,90
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Der vorliegende Tagungsband Digitale Urkundenpräsentationen. Laufende Projekte und aktuelle Entwicklungen umfasst, bis auf eine Ausnahme, die Vorträge des am 16. Juni 2010 in München abgehaltenen Workshops, der den Abschluss des DFG-Projektes "Aufbau eines internetbasierten Portals für größere Bestände digitalisierter Urkunden des süddeutschen Raumes", kurz genannt "Urkundenportal" bildete. Das nunmehr seit einigen Jahren sehr aktuelle Thema der Digitalisierung schriftlicher Quellen, in diesem Fall speziell mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Urkunden, wird in den insgesamt acht Beiträgen sowohl aus theoretischer Sicht als auch aus jener der archivischen Praxis beleuchtet. Dabei werden laufende oder bereits abgeschlossene Digitalisierungsprojekte vorgestellt.
Die Einführung von Joachim Kemper und Georg Vogeler gibt dazu einen kurzen Überblick und zieht zugleich ein Resümee über Anforderungen und Durchführbarkeit von Digitalisierungsprojekten. Die Voraussetzungen dafür sind heute bereits vergleichsweise niedrig, auch mit sehr geringem technischem Aufwand lässt sich Urkundenmaterial digital zugänglich machen. Es stellt sich jedoch die Frage der personellen Ressourcen bei einer "Massendigitalisierung" und der damit verbundenen Beschreibung der Quellen.
Der erste Beitrag von Joachim Kemper und Katharina Wolff bietet einen Überblick über Digitalisierungsprojekte der Staatlichen Archive Bayerns und eine Rückschau auf das für den Workshop Impuls gebende, erfolgreiche Projekt des "Urkundenportals". Neben einem Praxisbericht mit einer Darstellung der einzelnen Arbeitsschritte wird auch auf die nicht zu unterschätzende Öffentlichkeitsarbeit eingegangen, die, ganz gezielt über das wissenschaftliche Publikum hinausgehend, nicht nur Aufmerksamkeit in der interessierten Öffentlichkeit hervorrief, sondern damit auch Finanzierungsmöglichkeiten für weitere Digitalisierungen eröffnete.
Francesco Roberg beleuchtet theoretische Fragen zur Digitalisierung aus Sicht des Archivars und auch der Diplomatik. Den Anspruch Regesten in der Qualität jener der Regesta Imperii zu erstellen kann ein Archiv sicher nicht erfüllen. Aber auch die bei der Retrokonversion alter Druckwerke oftmals erfolgte quasi Neuregestierung bereits bearbeiteter Urkunden hält der Autor nicht für Ziel führend, da sie besonders zeitaufwendig ist und nur unwesentlich neue Erkenntnisse bringt. Eine komplette wissenschaftliche Untersuchung der Urkunde kann nicht Aufgabe des Archivs sein, und ist aus ökonomischer Sicht nicht leistbar. Als bemerkenswerten Aspekt zeigt er auf, dass sich Urkunden durch ihre leichte digitale Abbildbarkeit besonders dafür eignen, das Alleinstellungsmerkmal von Archiven (im Gegensatz zu Bibliotheken) offensiv zu präsentieren. Der Autor weist auf das im nächsten Beitrag vorgestellte Projekt, die Online-Edition der Urkunden der Reichsabtei Fulda, als beispielgebend hin. Steffen Arndt und Sebastian Zwies stellen dieses Unternehmen vor, das vor allem in seiner zeitlichen Bandbreite herausragend ist. Von der ältesten Urkunde 751 bis zum Jahr 1837 wurde ein Umfang von über 2.400 Urkunden zugänglich gemacht. Hochauflösende Abbildungen der gesamten Urkunden und die Erschließung mittels Vollregest machen den ungemein bedeutenden Bestand nun wissenschaftlich in bisher nicht möglicher Form benutzbar. Den Nutzen einer solchen Online-Edition durchwegs begrüßend, stellt aber eben der hier präsentierte relativ hohe Personalaufwand im archivischen Alltag (zwei Vollzeitstellen zu 27 Monaten) gerade jenes Hindernis der Online-Editionen dar, auf das Roberg im vorangehenden Beitrag ausdrücklich hingewiesen hat.
Csaba Reisz liefert einen Überblick über die Entwicklung der "Collectio Diplomatica Hungarica", einer im 19. Jahrhundert begonnen Urkundensammlung, für die ab den 1930er-Jahren Mikrofilme der Urkundenabbildungen angefertigt wurden und denen später Fotovergrößerungen folgten. Bereits 1970 wurde zusätzlich eine Datenbank konzipiert. Das Unternehmen zeigt eine durchgehende Entwicklung, die den jeweils technischen Möglichkeiten angepasst wurde. Ebenso auf bereits Vorhandenem baut das LBA-online auf. Das von Sebastian Müller vorgestellte Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden Marburgs wurde bereits 1928 mit der Zielsetzung einer fotografischen Sammlung von Urkunden, die vor 1250 ausgestellt wurden, begründet. Die heute etwa 46.000 Negative wurden zur dauerhaften Archivierung und Verfügbarkeit gescannt und sind im Internet als Foto-Positive und als -Negative anzusehen. Die Datenbank mit den wesentlichen Informationen zu den Urkunden wurde bereits 1980 angelegt, technisch und inhaltlich weiterentwickelt und ist nun Kleio-basiert im Online-Archiv abrufbar.
Thomas Just bietet einen kurzen Überblick über die Entwicklung von Monasterium.net für den österreichischen Raum. Auch das Österreichische Staatsarchiv präsentiert sein digitales Urkundenangebot heute über dieses Portal. Einige Urkundengruppen konnten bereits digitalisiert werden. Für die große Masse mangelt es jedoch noch an Metadaten zur Beschreibung der Digitalisate. Das hinlänglich bekannte Problem der mangelnden personellen Ressourcen, die wohl nahezu jedes Archiv bei der Erschließungsarbeit betreffen, wird hier wieder ausführlich beschrieben, und veranschaulicht, dass die zukünftige Digitalisierung von Akten, die der Autor als unabdingbar sieht, noch größeren Umfang erreichen wird.
Georg Vogeler wirft in seinem Beitrag einen theoretischen Blick auf die Frage der Erschließung und zeigt das Problem der Abgrenzung zwischen archivischer und diplomatischer Erschließung von Urkunden. Er gibt einen Überblick über die verschiedenen Ansätze und Tiefen der Beschreibung bei bereits digitalisierten Urkundenbeständen diverser Archive, die dabei auch auf die Möglichkeit der kollaborativen Urkundenerschließung zurückgreifen, wie dies etwa beim Monasterium-Projekt (MOM-CA) gehandhabt wird. Aus ebendieser Praxis der Kooperation zwischen Archiven und wissenschaftlichen Institutionen bei der Bearbeitung von Urkunden berichtet schließlich Maria Magdalena Rückert. Das Projekt "Virtuelles Deutsches Urkundennetzwerk" hat als Zielsetzung die Kooperation zwischen Archiven und Forschungseinrichtungen. Auf Basis von Monasterium.net sowie anderer einschlägiger Urkundendigitalisierungsprojekte soll mit Hilfe des bereits bestehenden Materials ein virtuelles Urkundennetzwerk errichtet werden.
Abschließend lässt sich feststellen, dass der vorliegende Band einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze in der Digitalisierung von Urkunden bietet. Jedes Projekt zeigt seine eigenen Möglichkeiten bei der wissenschaftlichen Bearbeitung der Urkunden, die sich zumeist nach vorhandenen Vorarbeiten und Materialen sowie nach personellen Ressourcen richten. Nahezu alle Unternehmungen fließen in Monasterium.net zusammen, dies unterstreicht wieder einmal die Bedeutung des erfolgreichen Portals. Neben theoretischen Überlegungen sind vor allem die praxisnahen Aspekte der Beiträge als positiv hervorzuheben, die auch interessante Einblicke in die Möglichkeiten zur Kooperation einzelner Institutionen zeigen. Eine größere Sorgfalt bei der Verwendung der Fachtermini - betreffend Erschließung, Regesten oder Edition - wäre jedoch bei einigen Beiträgen wünschenswert. Dass der Band neben der Papierform zugleich als Online-Publikation veröffentlicht wurde, erscheint bei diesem Thema schon beinahe selbstverständlich.
Susanne Fritsch-Rübsamen