Georg Vogeler: Rechtstitel und Herrschaftssymbol. Studien zum Umgang der Empfänger in Italien mit Verfügungen Friedrichs II. (1194-1250) (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 138), Berlin: De Gruyter 2019, 497 S., ISBN 978-3-11-064539-2, EUR 129,95
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Constant J. Mews / Anna Welch (eds.): Poverty and Devotion in Mendicant Cultures, 1200-1450, London / New York: Routledge 2016
Benjamin Schönfeld: Die Urkunden der Gegenpäpste. Zur Normierung der römischen Kanzleigewohnheiten im 11. und beginnenden 12. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018
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Seit den Anfängen der wissenschaftlichen Geschichtsforschung zählen Herrscherdiplome -besonders in der deutschsprachigen Forschung - zu den beliebtesten Untersuchungsgegenständen der Mediävistik. Neben wichtigen Kontinuitäten ist in den Arbeiten der letzten vier bis fünf Jahrzehnte auch eine Vielzahl an neuen Zugängen festzustellen, die für eine Erweiterung des Spektrums der an Königs- und Kaiserurkunden gestellten Forschungsfragen gesorgt haben. Galten Herrscherdiplome lange Zeit in erster Linie als Ausdruck herrscherlichen Willens, der "Politik" sowie der "Propaganda" und als Produkte einer hierarchisch und behördenmäßig organisierten Kanzlei, rückten seit den 1980er Jahren immer stärker kulturgeschichtliche Fragen und Zugriffe in den Vordergrund. Der Herrscherurkunde wird mit anderen Worten zunehmend eine große Aussagekraft zugewiesen, denn sie wird nicht nur im Rahmen diplomatischer, rechts- und verfassungsgeschichtlicher Abhandlungen ausgewertet, sondern auch aus medialer, kommunikationspraktischer und -theoretischer, ästhetisch-kunsthistorischer sowie bildungsgeschichtlicher Perspektive betrachtet. Mit diesen Neuerungen ist eine stärkere Würdigung der von der älteren Forschung eher vernachlässigten Empfängerperspektive einhergegangen.
An diese Ansätze knüpft die vorliegende, 2016 abgeschlossene Münchener Habilitation an, die dem Umgang der italienischen Empfänger mit urkundlichen Verfügungen Friedrichs II. gewidmet ist. Den theoretischen Rahmen der Studie bilden die beiden Konzepte von Herrschaft und Kommunikation, die im Sinne jüngerer soziologischer, sprachtheoretischer sowie historischer Studien verwendet werden - erwähnt seien stellvertretend die Namen von Görich, Lüdtke, Stollberg-Rilinger und Grice. Auf epistemologischer Ebene ist ein Schlüsselbegriff der vorliegenden Arbeit derjenige der "Kommunikationsmaxime", worunter in Anlehnung an Paul Grices Studien zur Sprachakttheorie die Gesamtheit der Annahmen und Regeln verstanden wird, die es den Empfängern ermöglichten, den Herrscherurkunden Sinn zu geben (15). Die urkundliche Kommunikation sei damit nicht mehr nur Propaganda, sondern eine Situation, in der Menschen auf einen Anspruch reagieren und diesen Anspruch unter Umständen modifizieren bzw. mitgestalten können.
Die Monographie ist in zwei spiegelbildlich konzipierte Hauptteile gegliedert, wobei zwei unterschiedliche Makroregionen in den Blick genommen werden, die sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter der Herrschaft Friedrichs II. befanden: das unteritalienische Regnum Siciliae und das Regnum Italicum, wozu auch manche strittigen Gebiete im mittelitalienischen Raum gezählt werden. Die ersten Kapitel beider Hauptteile (I.1 und II.2) rücken die Aussagen über Herrscherurkunden in normativen Texten, rhetorischen Handbüchern und juristischen Traktaten in den Fokus und stellen in Bezug auf das Regnum Italicum eine größere Vielfalt an über Urkunden diskutierenden Materialien fest (Ars dictaminis, Ars notariae, römisch-kanonisches Recht), die jedoch mit auffälligen Unsicherheiten bezüglich der Interpretation von Formularen und graphischen Zeichen verbunden gewesen sei.
Den Erwirkungsumständen und dem Privilegierungsakt ist das zweite Kapitel beider Hauptteile gewidmet (I.2 und II.2). Im Königreich Sizilien lasse sich eine Entwicklung beobachten, die von einer gewissen Vielfalt an Wegen der Petition in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts hin zu einer Standardisierung und Bürokratisierung der Impetrationspraxis am Ende des Untersuchungszeitraumes führte, wovon die Bestimmungen der Kanzleiordnung von 1244 Zeugnis ablegen. Ein Spezifikum des oberitalienischen Raumes in puncto Bittgesuche sieht der Verfasser in dem größeren Einsatz von Schriftlichkeit, der sowohl in den schriftlichen Petitionen als auch in den Protokollen des Privilegierungsakts zum Ausdruck kommt. Sowohl im Süden als auch im Norden hingen die dispositiven Teile der Urkunden weitgehend von den Angaben der Bittsteller ab, was immer wieder für kommunikationstechnische Probleme sorgte und zu Revokationen führen konnte. Dessen waren sich die Empfänger offenbar bewusst - die symbolische Dimension der Privilegierung sei jedoch dadurch nicht beeinflusst gewesen.
Während der Privilegierungsakt und die Diplomaushändigung in beiden Regna im 13. Jahrhundert keine zeremonielle Funktion mehr eingenommen zu haben scheinen, spielte die symbolische Kommunikation im Rahmen der Bekanntmachung und Umsetzung der Urkunde in partibus nach wie vor eine gewichtige Rolle, wie die beiden Kapitel I.3 und II.3 nahelegen. Sowohl im Mezzogiorno als auch in Reichsitalien sei es mehrfach zu einer Veröffentlichung der kaiserlichen Verfügungen im Rahmen eines zeremoniellen Zusammenhanges gekommen. Den wesentlichen Unterschied erkennt der Verfasser in dem Ansatz der für die Umsetzung zuständigen Akteure: Der Vorgang sei im Regnum Siciliae weitgehend eine Angelegenheit von Verwaltungsfunktionären gewesen, die dabei erhebliche Spielräume hatten und die Ausführung des Auftrags zum Ausbau der eigenen Machtstellung vor Ort oder am Hof nutzen konnten. Im Regnum Italicum sei die Veröffentlichung der Urkunde in die notarielle Praxis der representatio litterarum eingebunden gewesen, wobei auch in diesem Raum um die Mitte des 13. Jahrhunderts ein zunehmender Einsatz von unteritalienischen Funktionären festzustellen sei.
Die Kap. I.4 und II.4 befassen sich mit der Abschreibpraxis, die im nördlichen Teil der Halbinsel umfangreiche Spuren hinterlassen hat. Dienten notarielle Abschriften auf losen Pergamentblättern hauptsächlich der Absicherung gegen eventuelle Verluste und Beschädigungen, boten die im 13. Jahrhundert weit verbreiteten libri iurium zusätzlich die Möglichkeit, die Stadt nicht nur als Träger von Herrschaftsrechten, sondern auch als Kommunikationspartner der höchsten weltlichen Autorität zu inszenieren. Hinsichtlich der in den Kap. I.5 und II.5 behandelten Umsetzung des Rechtsinhaltes erscheint vor allem die Feststellung wichtig, dass in den oberitalienischen Kommunen im Fall von Rechtsstreitigkeiten das kaiserliche Diplom nur ein Beweismittel unter vielen war - in der zeitgenössischen Rechtstheorie war z. B. die vox viva der Zeugen der vox mortua der Urkunden vorzuziehen. Doch selbst im Süden konnten Inquisitionsverfahren vor Ort zu einer Realisierung der urkundlich festgehaltenen Rechte führen, die von den Empfängervorstellungen abwich.
Die beiden Kap. I.6 und II.6 behandeln zu guter Letzt die Thematisierung von Kaiserurkunden in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung und stellen hierbei ein den beiden Regna gemeinsames Desinteresse der Autoren von Geschichtswerken an der Ausfertigung und Übergabe von Diplomen fest. Zu den wenigen Ausnahmen zählt der Notar und kaiserliche Funktionär Richard von S. Germano, der in seine Chronik mehrere Urkundentexte aufnahm. Am Ende beider Hauptteile wird ein kurzes Resümee angeboten (I.7 und II.7). Ein ausführliches Fazit (387-405) rekapituliert die Ergebnisse der Studie und problematisiert deren Folgen für die diplomatische Forschung. Betont werden hier u.a. die vielen Gemeinsamkeiten auf der Ebene der symbolischen Kommunikation zwischen Regnum Italicum und Regnum Siciliae sowie der Umstand, dass die "Kanzlei" des Staufers weit mehr als ein propagandistischer Sprachrohr des Herrschers war. Ein nur bis 2016 aktualisiertes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister beschließen den Band.
Die Untersuchung beeindruckt durch die Bandbreite der behandelten Themen, das Ausmaß des ihr zugrundeliegenden Quellenkorpus und die Fülle an Informationen. Doch birgt dieser "flächendeckende" Ansatz, der ohne Zweifel auch als Mehrwert angesehen werden kann, auch einen Nachteil in sich, denn die Studie bewegt sich auf diese Weise größtenteils auf einer deskriptiven Ebene und behandelt bis auf wenige Ausnahmen - wie z.B. das Ende der Intervenientenpraxis und die Durchsetzung neuer Kanzleiregeln - kaum strukturelle Veränderungen oder soziale bzw. lokale Spezifika im Umgang der Empfänger mit den Diplomen Friedrichs II. Mit anderen Worten: Der historische Wandel, den die urkundliche Kommunikation mit dem Herrscher zwischen 1194 und 1250 in seinen Formen und Funktionen erfuhr, tritt - dies ist zumindest der Eindruck des Rezensenten - aus der Vielzahl an Details zu wenig hervor. Diese kleine kritische Anmerkung schmälert jedoch keineswegs den Wert einer sicherlich bedeutenden Studie, der u.a. das Verdienst zukommt, die Diplomatik (und, indirekt, auch die Editorik) für einen auf den Kommunikationskontext aufmerksameren Umgang mit dokumentarischen Quellen einmal mehr sensibilisiert zu haben. Wenn die Empfänger der Diplome Friedrichs II. darin mehr als ein Kopfregest sahen - so könnte die provokante Botschaft der Arbeit lauten -, warum müssen die moderne Mediävistik und Diplomatik damit anders umgehen?
Étienne Doublier