Lawrence S. Wittner: Working for Peace and Justice. Memoirs of an Activist Intellectual (= Legacies of War), Knoxville: University of Tennessee Press 2012, XVI + 270 S., 27 s/w-Abb., ISBN 978-1-5723-3857-9, USD 29,95
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Der von Benjamin Ziemann bereits vor 10 Jahren konstatierte Umbruch in der historischen Friedensforschung hin zu einer sich ausdifferenzierenden Sozialwissenschaft hat neue Forschungsfelder, u.a. in den cultural studies, eröffnet. Ein wesentliches Moment allerdings bestimmt nach wie vor die wissenschaftliche Auseinandersetzung: Offen ist noch immer, inwieweit die Friedensbewegung als Massenbewegung die Perzeption der Gefahr, die von Atomwaffen ausgeht, verändert hat und somit die politischen Entscheidungen zur Abrüstung erst angestoßen hat, d. h., die Frage nach der wirkungsgeschichtlichen Einordnung der Friedensbewegung, besonders seit dem Beginn der atomaren Hochrüstung.
Die Friedensbewegung der 1970er und beginnenden 1980er Jahre ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß publizistischer Präsenz und wissenschaftlicher Selbstreflektion. Das eröffnet auch die Chance, dass dies durch die Ego-Dokumente der Zeitzeugen fortgesetzt und ergänzt werden kann.
Nun hat der amerikanische Historiker und zeitweise Präsident der amerikanischen Gesellschaft für "Peace History" Lawrence S. Wittner seine Memoiren veröffentlicht. Wittner vereinigt politisches Engagement mit wissenschaftlichem Schreiben und seiner Tätigkeit als Hochschullehrer. Sein Hauptwerk, eine dreibändige Geschichte der Protestbewegung gegen die Atomrüstung [1], gilt als eine der wichtigsten ereignisgeschichtlichen Darstellungen der Protestbewegung gegen die Nuklearrüstung. Seine Lebensbeschreibung versteht er nach eigenen Aussagen als ein Zeugnis, dass "intellectual activism and social movement activism can lead to a very interesting life".[2] Zu fragen ist, ob die Lektüre ein ähnliches interessantes Erlebnis ist, ob und in welcher Weise es als Zeugnis der mentalen und intellektuellen Selbstverordnung zu lesen ist und wie der Autor die Frage nach der Wirkmächtigkeit der Protestbewegungen zu beantworten versucht. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Memoiren geben darauf keine zufriedenstellenden Antworten. Wittner verschenkt die Möglichkeit einer Zeitzeugenschaft, die über einen Ereignisrekurs hinausgehen würde und Raum gäbe für Neubewertungen, Ambivalenzen und wirkungsgeschichtliche Erkenntnisse.
Sein Familienhintergrund, den er skizzenhaft, aber sehr anschaulich im ersten Kapitel beschreibt, ist der des osteuropäischen Judentums. Beide Großväter kamen mit den Einwanderungs- und Fluchtwellen vor den zaristischen Progromen Ende des 19. Jahrhunderts in die USA und bauten sich in New York eine Existenz auf.
Wittners Werdegang ist eine Aufstiegs- und Erfolgsgeschichte, die ihm durch das expandierende Bildungssystem der USA nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht wurde. In Brooklyn während des Zweiten Weltkriegs geboren, hatte sein Vater bereits eine akademische Ausbildung, er war Rechtsanwalt. Dennoch war, wie Wittner überzeugend darstellt, seine Kindheit und Jugend durch einen sehr bescheidenen Lebensstil gekennzeichnet. Bereits innerhalb einer Generation hatte sich die Familie vollständig assimiliert, was auch bedeutet, dass die religiöse Erziehung des Autors sich auf den Besuch einer jüdischen Vorschule beschränkte und seine Weigerung, sich im Alter von 13 Jahren auf die Bar Mitzwa vorzubereiten, bei seinem Vater offensichtlich auf wenig Widerstand stieß.
Sein Studium an der Columbia University wird zum intellektuellen und politischen Erweckungserlebnis. Hier erhielt er den Impuls zum politischen Aktivismus, den er in der Rückschau mit seinen ideengeschichtlichen Studien und seiner Suche nach intellektuellen Vorbildern in Verbindung bringt. Hier entwickelte er seinen Fortschrittsoptimismus, der ihn offensichtlich bis heute trägt. Zugleich wandte er sich der Bürgerrechtsbewegung zu und begann mit der Teilnahme an den Protesten gegen die amerikanischen atomaren Testversuche Anfang der 1960er Jahre das Engagement in seinem späteren Betätigungs- und Forschungsfeld. Nach einem Graduiertenstudium an der University of Wisconsin schloss er an der Columbia University mit einer Dissertation über die Friedensbewegung in den USA ab. [3] Sie war sein erster Beitrag zur Geschichtsschreibung des Protestes und der sozialen Bewegungen in den USA. Er zieht dabei eine (personelle) Kontinuitätslinie von den ersten direkten Aktionen bis zu den Massendemonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Diese Art und Weise der dokumentarischen Gegenerzählung sollte auch die weiteren Publikationen Wittners charakterisieren. Von Rezensenten wurde ihm daher wiederholt vorgeworfen, dass er in einem dichotomischen Gegenüber von Bewegung bzw. Volk und offizieller Politik verharrte und der politische Impetus auch sein wissenschaftliches Arbeiten konturierte.
Dieses Grundmuster durchzieht seine Autobiografie, in der er seinen identitären Selbstentwurf als Dissident gegen den amerikanischen Mainstream entwirft und verteidigt. Es wird auch zum Maßstab seiner privaten Beziehungen. So führt er das Scheitern seiner ersten Ehe auf unterschiedliche und nicht zu vereinbarende gesellschaftspolitische Grundhaltungen zurück.
Seinen Werdegang als akademischer Lehrer beginnt er am Hampton Institute in Hampton, Virginia, einem überwiegend von African Americans besuchten, in der Zeit der Sklavenbefreiung begründeten College. Konfrontiert mit einem konservativen, Establishment-orientierten schwarzen Lehrkörper und einer separatistischen, von den "Schwarzen Panthern" beeinflussten Studentenschaft, setzt er sich zum ersten Mal mit den Folgen des offenen Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft auseinander vor dem zeitgeschichtlichen Horizont der Ermordung Martin Luther Kings und seiner Bespitzelung durch das FBI. Auch seine weitere akademische Karriere - er erreichte schließlich eine Festanstellung in Albany, New York, an der dortigen State University (SUNY) - wird in vielen Einzelheiten geschildert. Seine zunehmenden internationalen Aktivitäten, u.a. unterrichtete er ein Jahr in Japan, verhindern allerdings nicht, dass er der US-amerikanischen Perspektive verhaftet bleibt.
Die episodenhafte, mit vielen privaten Anekdoten angereicherte Schilderung macht die Lektüre zu einer mühsamen Angelegenheit. Wittners außerordentlich großes Wissen und seine Erfahrung in der amerikanischen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung werden nicht zu einer spannungsreichen Erzählung zusammengeführt, sondern sie sind beziehungslos aneinandergereiht. Das ist außerordentlich zu bedauern, da seine Lebensbeschreibung durchaus als ein Diskussionsbeitrag zur Wirkungsgeschichte des sozialen Protestes der letzten Jahrzehnte hätte dienen können.
Anmerkungen:
[1] Lawrence S. Wittner: The Struggle Against the Bomb. Band 1: One World or None, Stanford 1993; Lawrence S. Wittner: The Struggle Against the Bomb. Band 2: Resisting the Bomb, Stanford 1997; Lawrence S. Wittner: The Struggle Against the Bomb. Band 3: Toward Nuclear Abolition, Stanford 2003.
[2] Lawrence S. Wittner: How I Happened to Write My Memoirs. http://www.huffingtonpost.com/lawrence-wittner/working-for-peace-and-justice_b_1339677.html (8. Aug. 2012)
[3] Lawrence S. Wittner: Rebels against War: The American Peace Movement 1941-1960, New York 1969. (2. Aufl. Rebels against War. The American Peace Movement 1933-1983. Philadelphia 1984)
Marianne Zepp