Rezension über:

Lawrence S. Wittner: Confronting the Bomb. A Short History of the World Nuclear Disarmament Movement (= Stanford Nuclear Age Series), Stanford, CA: Stanford University Press 2009, XVI + 254 S., ISBN 978-0-8047-5632-7, USD 18,96
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Rezension von:
Jost Dülffer
Universität zu Köln
Empfohlene Zitierweise:
Jost Dülffer: Rezension von: Lawrence S. Wittner: Confronting the Bomb. A Short History of the World Nuclear Disarmament Movement, Stanford, CA: Stanford University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/07/18010.html


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Lawrence S. Wittner: Confronting the Bomb

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Eine kurze Geschichte kann man dieses Paperback (es gibt auch ein Hardcover) vor allem nennen, weil Lawrence S. Wittner zwischen 1993 und 2003 drei dicke Bände zum Thema vorgelegt hat, die insgesamt fast 1800 Druckseiten umfassen und von einer Forschungsarbeit sondergleichen zeugen. [1] Das ist auch immer wieder hervorgehoben worden: Ein Werk mit einer so dichten Datenbasis, das aus Jahrzehnte langer Arbeit entstand, wird es so schnell nicht wieder geben. [2]

Die Forschungsleistung ist deshalb so groß, weil der Verfasser wenn schon nicht alle Staaten, so doch alle Kontinente einbezieht und damit in seiner Darstellung immer wieder einen Überblick über die verschiedenen Organisationen und Personen gibt, die in unterschiedlicher Form dem Nuklearprotest anhingen, inklusive der NGOs. Diesen insgesamt fairen und nüchternen Darlegungen zu Zielen und Organisationsformen des Nuklearprotestes, dessen Kern in Friedensbewegungen lag, stellt Wittner die Regierungspolitiken der Rüstung entgegen. Der Band ist insgesamt einleuchtend gekürzt und gut gemacht. Leider hat die Kurzfassung keinerlei Anmerkungen, auch nicht für Zitate, ebenso kein Literatur- oder Quellenverzeichnis. Das 27-seitige Register macht das Buch aber auch so zu einem brauchbaren Nachschlagewerk.

Wittner sieht den Atomprotest unmittelbar mit den Bombenabwürfen von 1945 beginnen, ja bereits zuvor bei einigen beteiligten Wissenschaftlern angedeutet. Das sei so für die nächsten fünf bis sechs Jahre gegangen, dann sei er abgeflaut, aber ab Mitte der 1950er Jahre wieder angewachsen, um in einer neuen Mobilisierung der 1960er Jahre immerhin den Atomteststopp und andere Abkommen als Sieg verbuchen zu können. Das Kapitel "A "Third Wave" umfasst die Jahre 1971 bis 1980, hat seinen Schwerpunkt aber auf dem Beginn der "Nachrüstung". "Peace begins to Break Out" und "Disarmament Triumphant" umfassen die 1980er Jahre, bis seit den frühen 1990er Jahren wieder eine Flaute eingesetzt habe, das Wettrüsten sei wieder aufgenommen worden.

Analytische Erklärungen für diese drei oder vier Wellen sind Wittners Sache nicht. Entscheidend für seinen Ansatz ist vielmehr eine im Prinzip dichotomische Sicht auf die Ereignisse: Atomprotestler hätten jeweils den menschenvernichtenden Atomkrieg gefürchtet, Politiker wiederum darauf reagiert. Diese Politiker vertrauten auf Nationalstaaten, militärische Sicherheit und Abschreckung. Genau das sei der große Fehler, der "von unten" beseitigt werden sollte und immer noch soll. Dass auch Politiker, selbst und gerade bei den Atommächten die Sorgen über die gefährlichen Vernichtungspotenziale vielfach teilten, dennoch aus ihrer Sicht auf das klassische Sicherheitsdilemma Wege der atomaren Rüstung gingen, ist nicht die Perspektive. Für Wittner zählt die angeblich realistische Sicht der Gesinnungsethiker aus den Bewegungen.

Wichtig ist ihm vor allem zu zeigen, dass der Protest Bedeutung hatte; die Regierungsvertreter setzten sich mit ihm auseinander, wenn er mächtig genug war. Entweder suchten sie im Vorfeld alle derartigen Regungen zu unterdrücken oder sie gaben dem Druck der nationalen und vor allem internationalen Bewegungen nach. Post hoc, ergo propter hoc, lautet hier die immer aus dieser Sicht dargelegte Beweisführung. Ein Beispiel: Ronald Reagan, Caspar Weinberger und vor allem Alexander Haig seien mit einem Programm angetreten, das bei Letzterem fast einen Atomkrieg entfesselt hatte (Beleg im Text: Nancy Reagans Erinnerungen). Dann aber sei die "Revolt of the Doves" überall in Gang gekommen, "external pressures [...] modified the administration's strategic nuclear weapons policy." (175) Friedensbewegungen spielen eine Rolle, das sei konzediert. Aber welche im Einzelnen, wüsste man gern genauer.

Und warum schwächelten solche Protestbewegungen? Unterdrückung ist das eine. Zum anderen gaben sie sich zu früh mit zu kleinen Erfolgen zufrieden, wie vor allem nach der zweiten Phase und wie wohl auch für die Jahre ab 1993 angenommen wird. Wenn das so ist, dann hatten auch die Atomprotestler nicht die einzige richtige Strategie gegen den Menschheitstod, sondern es gab viel mehr Nuancen, aktuelle Anlässe oder begleitende Umstände. Da allein der Nuklearprotest interessiert, kommen die "1968er" oder die Antivietnambewegung als solche eher marginal vor.

Positiv ist hervorzuheben, dass die Sowjetunion, das sogenannte "sozialistische Friedenslager" in seiner Abhängigkeit von Staat und Partei recht kritisch gesehen und so immer wieder eingeordnet wird. Sein entschlossenes Urteil über gute Protestler und viele uneinsichtige Regierungen hat Wittner in seinem Paperback im Vergleich zum dreibändigen Werk manchmal zurückgenommen. Hier spielen Letztere an vielen Punkten nun auch eine Rolle - so zumal beim Umdenken Gorbatschows u.a. unter dem Einfluss westlichen Friedensdenkens. "In retrospect, it is clear that both Reagan and Gorbachev played important roles in bringing about the INF nuclear disarmament... But Gorbachev deserves the lion's share..." (192)

Im Schlusskapitel stehen dann aber wieder die siegesgewissen Versicherungen: "This study indicates that nuclear arms control and disarmament measures have resulted primarily from the efforts of a worldwide nuclear disarmament campaign, the biggest mass movement in modern history." (211) Die Aufgabe für die Zukunft: "Adopting a long-term strategy of taming the war-making nation-state through the creation of an effective international security system does not eliminate the need for pursuing a short-term strategy of fostering nuclear arms control und disarmament." (224) Der Wahlkampf Barack Obamas wird zum Schluss noch gestreift.

Die Analyse Wittners greift wohl nach wie vor ein wenig zu kurz. Aber nur seinem Engagement als Aktivist ist es wohl zu verdanken, dass eine so gewaltige Forschungsleistung über den weltweiten Nuklearprotest zustande kommen konnte. Dafür ist ihm der Dank der Friedensforscher, und nicht nur dieser, auch hierzulande sicher.


Anmerkungen:

[1] Lawrence S. Wittner: The Struggle Against the Bomb, Vol. I.: One World or None. A History of the World Nuclear Disarmament Movement, Trough 1954; Ders.: The Struggle Against the Bomb, Vol. II.: Resisting the Bomb. A History of the World Nuclear Disarmament Movement, 1954-1970; Ders., The Struggle Against the Bomb, Vol. III.: Toward Nuclear Abolition. A History of the World Nuclear Disarmament Movement. 1974 to the Present, Stanford 1993-2003.

[2] Vgl. dazu den H-Peace Roundtable vom 20. Mai 2004, URL: http://www.h-net.org/logsearch/?phrase=roundtable&type=keyword&list=h-peace&hitlimit=25&field=&nojg=on&smonth=04&syear=2004&emonth=04&eyear=2004&order=relevance (16. Mai 2010) oder meine Rezensionen in HZ 260 (1995), 987f.; 268 (1999), 539-541; 280 (2005), 548f.

Jost Dülffer