Beat Kümin: Drinking Matters. Public Houses and Social Exchange in Early Modern Central Europe (= Early Modern History. Society and Culture), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007, xx + 283 S., ISBN 978-0-230-55408-5, GBP 55,00
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Christian Hochmuth: Globale Güter - lokale Aneignung. Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 17), Konstanz: UVK 2008, 274 S., 9 Abb., ISBN 978-3-86764-082-4, EUR 34,00
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Jörg Driesner: Bürgerliche Wohnkultur im Ostseeraum. Stralsund, Kopenhagen und Riga in der Frühen Neuzeit (= Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien; Bd. 18), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012, 214 S., 7 s/w- Abb., ISBN 978-3-412-20559-1, EUR 34,90
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Corina Heß: Danziger Wohnkultur in der Frühen Neuzeit. Untersuchungen zu Nachlassinventaren des 17. und 18. Jahrhunderts, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007
Nadezda Shevchenko: Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007
Aus konsumgeschichtlicher Sicht ist der frühneuzeitliche deutschsprachige Raum nach wie vor nur wenig erschlossen, doch nimmt das Interesse an Konsum und materieller Kultur seit einigen Jahren beständig zu. Die Spannbreite möglicher Themen ist groß und reicht von Kleidung und Schmuck über die materielle Ausstattung des frühneuzeitlichen Haushalts und den Konsum von Gebrauchtwaren bis hin zu Nahrungs- und Genussmitteln und den Orten kommerzieller Gastlichkeit.
Anders als beispielsweise in der angelsächsischen Forschung haben sich Konsum und materielle Kultur jedoch noch kaum als eigenständiges Gebiet der deutschsprachigen Frühneuzeitforschung etabliert, weshalb nicht selten andere Themengebiete und Fragestellungen den Ausgangspunkt bilden. So wurden die hier zu besprechenden Studien von Beat Kümin und Christian Hochmuth wesentlich von einer raumbezogenen Forschung angeregt, deren Interesse am frühneuzeitlichen öffentlichen Raum sich auch auf Wirts- und Kaffeehäuser erstreckte. Transfergeschichtliche Fragen inspirierten dagegen die im Greifswalder Graduiertenkolleg 'Kontaktzone Mare Baltikum' entstandene Untersuchung von Jörg Driesner.
Alle drei Bücher gehen auf Qualifikationsschriften zurück, die zwischen 2005 und 2007 abgeschlossen wurden. Sie entstanden also noch vor der Veröffentlichung von Jan de Vries' Buch 'The Industrious Revolution', das seit seinem Erscheinen im Jahr 2008 der konsumhistorischen Erforschung der Frühen Neuzeit auch im deutschsprachigen Raum zu größerer Aufmerksamkeit verholfen hat. [1] De Vries bringt darin eine um 1650 einsetzende Entstehung einer neuen Konsumkultur mit einer Zunahme marktorientierter Arbeit des gesamten frühneuzeitlichen Haushalts in Verbindung. Spezialisierte Arbeit und differenzierter Konsum hätten demnach einen sich wechselseitig verstärkenden Prozess in Gang gebracht, der sich nach und nach in weiten Teilen Westeuropas und des kolonialen Amerika vollzogen habe.
An einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser These kommen neuere Studien kaum vorbei. Wenngleich de Vries seine Überlegungen schon 1994 in einem Aufsatz veröffentlicht hat [2], ist es Kümin und Hochmuth kaum vorzuwerfen, dass sie ihre eigenen Forschungen nicht zu de Vries' These in Beziehung setzen. Bedauerlich aber ist, dass die zwar bereits 2006 fertiggestellte, aber erst jetzt im Druck erschienene Dissertation von Jörg Driesner die Diskussion um die 'Industrious Revolution' ebenso wenig aufgreift. Dies wird nicht zuletzt pragmatische Gründe haben, doch scheint die fehlende Berücksichtigung einer international debattierten These auch symptomatisch für das fragmentierte deutschsprachige Forschungsfeld zu sein, dem der Anschluss an die internationale konsumgeschichtliche Diskussion noch nicht hinreichend gelungen ist.
Ebenso symptomatisch ist es, dass neue Impulse für die konsumgeschichtliche Erforschung des deutschsprachigen Raums oft gerade nicht aus der deutschsprachigen Forschung hervorgehen. Das trifft etwa auf die Arbeiten B. Ann Tlustys, Ulinka Rublacks oder Sheilagh Ogilvies zu [3], und in gewisser Weise bestätigt auch Beat Kümin diesen Trend, lehrt er doch bereits seit 2001 in Warwick. Folgerichtig veröffentlichte er seine 2005 in Bern eingereichte Habilitationsschrift über schweizerische und bayerische Wirtshäuser 2007 auch nicht in deutscher, sondern in englischer Sprache.
Die drei hier zu besprechenden Bücher enthalten jeweils eine Fülle an interessanten Einzelergebnissen, auf die in dieser Sammelbesprechung jedoch nicht eingegangen werden kann. Stattdessen sollen im Folgenden diejenigen Aspekte angesprochen werden, die für die Erforschung von Konsum und materieller Kultur in der Frühen Neuzeit von übergeordnetem Interesse sind. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass sich alle drei Studien mehr oder weniger explizit in der 'neuen' Kulturgeschichte verorten, womit sie zugleich deutlich machen, wie weitgefasst deren Forschungsgebiet verstanden werden kann. Während Kümin auf breiter (und zuweilen etwas willkürlich ausgewählter) Quellenbasis ein Panorama des frühneuzeitlichen Wirtshauses entwirft und dabei besonders auf die soziale Konstruktion von Räumen eingeht, fragt Hochmuth am Beispiel der Residenzstadt Dresden nach Aneignungsprozessen außereuropäischer Genussmittel, welche er vorrangig als ein Ordnen von Wissensbeständen und Handlungsfeldern begreift. Driesner wiederum versteht seine auf Inventaren basierende Untersuchung als einen Beitrag zur materiellen Kulturforschung, bei der er sich von der Frage des Kulturtransfers leiten lässt.
Den besonderen Reiz der Studien macht dabei aus, dass sich aus den behandelten Themen die Kombination kulturgeschichtlicher Ansätze mit sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen geradezu von selbst ergibt. So liefert Kümin in seinen ersten drei Kapiteln Grundlegendes zu den verschiedenen Typen der Gasthäuser, ihrer Verbreitung und baulichen Gestaltung, zu ihren Betreibern, Umsätzen und Dienstleistungen. Die von ihm dazu erstellten Statistiken und Diagramme machen schon auf den ersten Blick deutlich, dass es hier gewissermaßen um die 'harten Fakten' geht, die eben auch für eine kulturgeschichtlich orientierte Studie unerlässlich sind. Bei Hochmuth spielen Zahlenreihen hingegen kaum eine Rolle, doch kommt auch seine Untersuchung nicht ohne die Angabe von Importzahlen, gängigen Preisen oder der Anzahl von Kaffeehäusern aus. Darüber hinaus bietet seine Studie zahlreiche Informationen zum frühneuzeitlichen Einzelhandel, zum Gastgewerbe und Manufakturwesen in einer Stadt, die bislang kaum als Handelsstadt wahrgenommen worden ist.
Während bei Hochmuth der kulturgeschichtliche Blick auf wirtschaftliche Entwicklungen konsequent durchgehalten wird, neigt Driesners Untersuchung dazu, sich im Zahlenmaterial zu verlieren. Die quantitative Analyse seines beeindruckend großen, aber einseitigen Quellencorpus - Driesner hat im Wesentlichen 928 Inventare aus Kopenhagen, Stralsund und Riga ausgewertet - steht eindeutig im Vordergrund der Untersuchung. Dies geht zu Lasten weiterführender Fragen, die an das Quellenmaterial hätten gerichtet werden können. So fallen Driesners Ausführungen zur Objekt- und Raumnutzung recht kurz aus, weshalb sich die soziale Bedeutung der untersuchten Wohnkulturen nur ansatzweise erschließt.
Damit verweist Driesners Buch zugleich auf eine der größten Herausforderungen alltags- und konsumgeschichtlicher Forschung: Wie kann das oft spröde Quellenmaterial zum Sprechen gebracht und an übergreifende Fragestellungen angebunden werden? Gelingt dies nicht, haben es Ergebnisse wie die, dass in frühneuzeitlichen Haushalten die Zahl der Tische mit der Zahl der Stühle korrelierte (Driesner, 77), schwer, von der Mehrheit der historischen Forschung ernstgenommen zu werden. Vermutlich im Wissen um diese Gefahr hat Beat Kümin die Flucht nach vorn angetreten und seine Erkenntnisse zum frühneuzeitlichen Wirtshaus mit zentralen historiographischen Narrativen konfrontiert, nämlich mit Staatsbildung, Sozialdisziplinierung und der Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit. In allen drei Fällen erlauben ihm seine Ergebnisse eine Relativierung dieser modernisierungstheoretisch beeinflussten Deutungen, die sich damit letztendlich als ungeeignete Interpretationsschemata erweisen: "The single most persistent weakness of modernization concepts is their unduly static and monolithic view of early modern conditions" (Kümin, 189).
Diese Einschätzung ist auch für Kümins Beurteilung des frühneuzeitlichen Konsums folgenreich, denn hier kommt er zu dem Schluss, dass der allseits angenommene fundamentale Wandel um 1800 in erster Linie auf die eingeschränkte Sicht der älteren Forschung zurückzuführen ist: "An emphasis on fundamental change in the decades around 1800 often precludes a differentiated view of time-honoured institutions like the public house" (Kümin, 99). Gerade am Beispiel des Wirtshauses zeige sich aber, dass auch in früherer Zeit "humbler men and women" über Ressourcen verfügt hätten, die ihnen "the acquisition of products over and above the bare necessities" erlaubten (Kümin, 99). So weise alles darauf hin, dass "market exchange routinely involved members of the lower sort"(Kümin, 99). In all dem ist Kümin uneingeschränkt zuzustimmen, lediglich eine intensivere Auseinandersetzung mit der These einer "consumer revolution" (Kümin, 99) wäre wünschenswert gewesen, denn auch sie geht wesentlich auf modernisierungstheoretische Vorstellungen zurück.
Wenngleich sich Hochmuth und Driesner nicht so dezidiert mit der Frage auseinandersetzen, wie weit der Konsum ärmerer Bevölkerungsschichten reichte, weisen einige ihrer Ergebnisse in ähnliche Richtung wie die Erkenntnisse Kümins. So stellt Hochmuth nicht nur fest, dass Tabak bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Massenkonsumgut war, sondern auch, dass sich in Dresden im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein differenziertes Gastgewerbe entwickelte, das mit unterschiedlichen Etablissements unterschiedliche Kundenschichten ansprach. Die ärmere Bevölkerung hatte nicht etwa keine, sondern eigens auf sie zugeschnittene Kaffeeschenken.
Unter Driesners Ergebnissen ist vor allem der Befund hervorzuheben, dass sich innerhalb des Untersuchungszeitraums von 1600 bis 1800 in allen drei untersuchten Städten eine kontinuierliche Differenzierung des Hausrats sowie eine Steigerung seines Gesamtwerts zeigt. Die Wertsteigerung ist dabei auf einen zahlenmäßigen Anstieg der Habseligkeiten zurückzuführen, während die Bedeutung einzelner, besonders wertvoller Einrichtungsgegenstände immer mehr zurücktritt. Die Haushalte bargen also mehr, aber dafür weniger kostspieligen Hausrat. Driesner interpretiert dies zu Recht als Kennzeichen einer veränderten Konsumkultur, auch wenn dabei offen bleibt, ob "der Wunsch nach besonders ausgefallenen und teuren Stücken im privaten Besitz nachließ" oder ob "durch die immer stärker werdende Nachfrage nach den verschiedenen Konsumgütern auch die Preise der einzelnen Einrichtungsgegenstände fielen" (Driesner, 156).
Die Ausdifferenzierung der Wohnkultur sieht Driesner wesentlich durch die städtischen Oberschichten bestimmt, die als erste die an den westeuropäischen Fürstenhöfen entwickelten Trends übernahmen. Den Inventaren der unteren Bevölkerungsschichten weist er deshalb von vornherein einen geringeren Nutzen für seine Fragestellung zu. Erkennbar schließt Driesner damit an die so genannte Trickle-Down-Theorie an, der zufolge sich die Diffusion von Konsumgütern von den oberen in die unteren Gesellschaftsschichten vollzog. Wenngleich diese unter anderem auf Thorstein Veblen und Norbert Elias zurückgehende Theorie von der soziologischen Forschung mittlerweile mit großen Fragezeichen versehen wird, hat sie sich in der Konsumgeschichte als ein so wirkmächtiges Interpretationsmuster erwiesen, dass oft gar nicht in Erwägung gezogen wird, ob Innovationen oder alternative Konsumpraktiken nicht auch außerhalb der Eliten entwickelt worden sein könnten.
Verbunden wird die Annahme eines Trickle-Down zumeist mit dem von Pierre Bourdieu in die Debatte eingebrachten Konzept der Distinktion, die wiederum in Hochmuths Arbeit eine zentrale Rolle spielt, weil er den "Mechanismen sozialer Distinktion" (Hochmuth, 16) einen "ordnenden Charakter" (Hochmuth, 17) zuschreibt. Drohe Konsum seine Exklusivität und damit seine Eignung als Distinktionsmittel zu verlieren, müsse die dadurch in Gefahr geratene soziale Ordnung wieder hergestellt werden. So einleuchtend dieses Modell zunächst klingt, so schwer ist es, im Einzelfall nachzuweisen, ob und wie diese ordnungsstiftende Funktion zwischen den historischen Akteuren zum Tragen kam. Distinktion erscheint somit als ubiquitäres, aber nicht hinreichend konkretisiertes Deutungsmuster (z.B. Hochmuth, 137, 144).
Sowohl Driesner als auch Hochmuth laufen dadurch Gefahr, die Komplexität der sozialen Praxis Konsum zu reduzieren. Konsumiert wurde keineswegs nur, um demonstrativ und unter Imitation des gesellschaftlich jeweils höher Stehenden bzw. unter Abgrenzung zum gesellschaftlich niedriger Stehenden den eigenen Status darzustellen. Vielmehr, und darauf wird gerade unter Bezug auf den Begriff der Aneignung verwiesen, ist Konsum mit einer beständigen, kontextgebundenen Umdeutung von Objekten und Praktiken durch die Akteure verbunden. [4] Im frühneuzeitlichen Riga einen Spiegel aufzuhängen oder im residenzstädtischen Dresden eine Tasse Kaffee zu trinken, konnte also unendlich viele Bedeutungen haben, denen nur durch eine mikrohistorische Analyse auf die Schliche zu kommen ist. Es ist bedauerlich, dass Hochmuth in seiner sonst so überzeugenden Studie diesem Aspekt nicht größere Beachtung geschenkt hat.
Trotz solcher und anderer, hier gar nicht zur Sprache gebrachter Einwände steht außer Frage, dass jede der in Thematik und Herangehensweise doch recht unterschiedlichen Untersuchungen einen wichtigen Beitrag dazu leistet, Konsum und materielle Kultur der Frühen Neuzeit auch innerhalb des deutschsprachigen Raums zu erschließen. Dafür stellen die Studien zweifellos wichtige Bausteine dar. Schon allein deswegen sind den - übrigens durchweg gut lesbaren - Büchern viele aufgeschlossene Leser zu wünschen.
Anmerkungen:
[1] Jan de Vries: The Industrious Revolution. Consumer Behavior and the Household Economy, 1650 to the Present, Cambridge 2008.
[2] Jan de Vries: The Industrial Revolution and the Industrious Revolution, in: The Journal of Economic History 54 (1994), 249-270.
[3] B. Ann Tlusty: Bacchus and Civic Order. The Culture of Drink in Early Modern Germany, Charlottesville 2001; Ulinka Rublack: Dressing Up. Cultural Identity in Renaissance Europe, Oxford 2010. Sheilagh Ogilvie leitet seit 2008 das ESRC Research Project 'Human Well-Being and the "Industrious Revolution": Consumption, Gender and Social Capital in a German Developing Economy, 1600-1900' (2008-2012).
[4] Vgl. dazu u.a. Hans Peter Hahn: Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2005.
Julia A. Schmidt-Funke