Lars Peters: Romances of War. Die Erinnerung an die Revolutions- und Napoleonischen Kriege in Großbritannien und Irland 1815-1945 (= Die Revolutions- und Napoleonischen Kriege in der europäischen Erinnerung), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, 348 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-77410-1, EUR 49,90
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Die Dissertation von Lars Peters bildet den Auftakt der neuen Schöningh-Reihe "Die Revolutions- und Napoleonischen Kriege in der europäischen Erinnerung". Die Serie soll sich insbesondere mit "kulturellen Gedächtnissen", "regionalen und nationalen Identitäten", "Erinnerungspolitik" sowie "Märkten und Medien" (11) befassen. Eben diese Aspekte untersucht Peters für Großbritannien im Zeitraum von 1815 bis 1945. Methodisch beruft sich der Verfasser auf die "Annäherung zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft" in Folge der "linguistischen Wende" und möchte eine "kulturwissenschaftliche Erinnerungsforschung" betreiben (25). Die Arbeit stützt sich daher in erster Linie auf die britische Belletristik zum Thema der "French Wars".
Die Darstellung informiert den Leser zunächst über die Rahmenbedingungen, welche die Entstehung der Romane maßgeblich beeinflussten: Die Mechanismen des britischen Buchmarktes. Peters erläutert eindrücklich dessen Klassencharakter im 19. Jahrhundert mit billiger "penny fiction" im Kontrast zum teuren, "dreibändigen Roman". Wichtig sei die Monopolisierung des Marktes gewesen. Vor allem Charles Mudie habe mit seinen "Circulating Libraries" zwischen 1852 und 1890 ein "Quasi-Monopol" und "maßgeblichen Einfluss auf Erscheinungsform" sowie die Inhalte von Romanen besessen, welche er gemäß dem Geschmack "seiner Zielgruppe in der Mittel- und Oberschicht" (52) ausgewählt habe.
Anhand zahlreicher Tabellen und Grafiken erläutert Peters die "Konjunkturen der Erinnerung". Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hätte es eine Hochphase der britischen Romanproduktion zu den Napoleonischen Kriegen gegeben, infolge der Hungersnot in Irland sowie des Krimkriegs habe das Interesse der Leser dann nachgelassen. Nach dem Ableben der Zeitzeugen und dem Übergang vom kommunikativen zum kollektiven Gedächtnis in den 1880er-Jahren sei die Buchproduktion zur Thematik wieder gestiegen. Der Erste Weltkrieg habe dann das Interesse an den "French Wars" erneut und dauerhaft gesenkt.
Inhaltlich ergibt Peters statistische Auswertung die Dominanz von fünf Erinnerungsräumen: "Britische Inseln, Kontinentaleuropa, außereuropäische Länder/Übersee", "Irland, Iberische Halbinsel" (82). Die entsprechenden Romaninhalte stellt er im zweiten, deskriptiven Teil seiner Arbeit vor. Anhand ausgewählter Werke zeigt er die dominanten "Meister"- und die von ihnen verdrängten "Gegenerzählungen".
Als wichtigsten "Erinnerungsraum" macht er - für Großbritannien wenig überraschend - den Seekrieg aus. Über Autoren, Gattungsmerkmale und Hauptinhalte der entsprechenden Bücher erfährt der Leser viele interessante Details. So hätten nach 1815 vor allem ehemalige Kapitäne der Royal Navy ihre Erlebnisse als Schriftsteller vermarktet. Über die daraus entstandenen Bücher sei die "militärische Sphäre auf der sprachlichen Ebene in die zivile Sphäre" eingedrungen, was das "Geistesleben" der "britischen Nation" (87) massiv beeinflusst habe. Gattungstechnisch handle es sich um eine Mischung aus "Pikaro"- und "Bildungsroman". An ersteren erinnere die für Seekriegswerke typische "additive Reihung" von Einzelepisoden, an letzteren die Entwicklung der jeweiligen Hauptfigur hin zu einem "vorbildlichen, verantwortungsbewussten Mitglied der britischen Klassengesellschaft" (89). Das Bild der französischen Gegenspieler war laut Peters ambivalent: "Kriegerische Leistungen" der Franzosen hätten viele Autoren durchaus anerkannt, die "Ideale der Revolution" hingegen verachtet (101) und ihnen "ein britisches Wertesystem" entgegengesetzt, insbesondere die Vorstellung einer "pyramidenartigen Klassengesellschaft" (103). Besonders interessant ist die Darstellung der inhaltlichen Konjunkturen. So hätte der Autor Frederick Marryat 1829 in "Frank Mildmay" die Härten und Grausamkeiten des Marinelebens noch ungeschönt geschildert und damit wenig Erfolg gehabt. Sein 1836 erschienener Roman "Midshipman Easy" habe hingegen ein "idealisiertes Abbild der Navy" (96) präsentiert und sei positiv aufgenommen worden. Diese Idealisierung habe ihren Höhepunkt in der zweiten Hochphase des Seekriegsromans um die Jahrhundertwende erreicht, als sich vor allem die Jugendliteratur des Themas annahm. Die entsprechenden Werke hatten, so Peters, "mit den Realitäten zur See hundert Jahre zuvor nichts mehr zu tun" (112). Die Protagonisten verteidigten nun als "christliche Krieger" kompromisslos "britische Tugenden wie Sportlichkeit, Kaufmannsgeist, Protestantismus" (92). Letztlich sei die Erinnerung an den Seekrieg gegen Napoleon eine wichtige Grundlage gewesen für die Entwicklung und Propagierung des "Wertekanons des chauvinistischen, imperialen Großbritanniens" der Jahrhundertwende (112).
Wie uneingeschränkt sich die britische Gesellschaft mit ihrer Marine identifizierte, zeigt Peters auch anhand des Erinnerungsraums "Heimat England". Dort habe sich der Krieg zwischen 1792 und 1815 vor allem in der rücksichtslosen Zwangsrekrutierung von Matrosen manifestiert, dem sogenannten "Impressment". Die in den unteren Gesellschaftsschichten populären "Broadsides" (Balladen) hätten dies jedoch nicht als "Unterdrückung der Arbeiterklasse" verurteilt, sondern die Marine trotz aller Härten gefeiert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts macht Peters allerdings auch kritischere Darstellungen der Zwangsrekrutierungen aus.
Neben den Taten der Royal Navy interessierte die britische Öffentlichkeit zwischen 1815 und 1945 vor allem der Krieg gegen Napoleon in Spanien. In der staatlich geförderten Erinnerungskultur seien die dortigen Kämpfe zum "Initiationserlebnis einer geeinten britischen Nation" geworden (144). Insbesondere schottische Soldaten erschienen in diesem Kontext als "stolzer Teil" derselben (133). Erneut verweist Peters aber auch auf "Gegenerzählungen" wie Christian Isobel Johnstones Buch "Clan-Albin" von 1815. In Irland habe es sogar überhaupt keine "Konsolidierung" einer "Meistererzählung" gegeben (202). Englandtreue Loyalisten, Protestanten, Katholiken und Republikaner hätten die von Frankreich unterstützte, irische Rebellion von 1798 höchst unterschiedlich erinnert. Wohl gerade vor diesem Hintergrund warnt Peters davor, im Falle Großbritanniens allzu "eindeutig" von einer "durch den Krieg gegen Frankreich geeinten Nation" zu sprechen (209).
Die in der Studie hervorgehobene Disparität der britischen Erinnerungslandschaft mit ihren regionalen Unterschieden - "Meister"- und "Gegenerzählungen" - führt zu einer gewissen Fragmentierung der Darstellung selbst, deren verschiedene Themenbereiche nur lose ineinandergreifen. Eine griffige Kernaussage über die britische Erinnerungskultur bleibt Peters - wohl zwangsläufig - schuldig. Die Fülle interessanter Detailinformationen ermöglicht es dem Leser nichtsdestotrotz, sich ein interessantes Panoramabild der britischen Erinnerungskultur und des damit verbundenen Nationalismus zu bilden. Letztlich sieht der Autor die Napoleonischen Kriege als "europäischen Erinnerungsort" (217) und seine Arbeit als Baustein einer gesamteuropäischen Analyse. Man darf gespannt sein, ob die neue Reihe diese realisieren kann.
Sebastian Dörfler