Marco Kreutzmann: Die höheren Beamten des Deutschen Zollvereins. Eine bürokratische Funktionselite zwischen einzelstaatlichen Interessen und zwischenstaatlicher Integration (1834-1871) (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 86), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 404 S., ISBN 978-3-525-36005-7, EUR 59,99
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Markus Mösslang / Chris Manias / Torsten Riotte (eds.): British Envoys to Germany 1816-1866. Volume IV: 1851-1866, Cambridge: Cambridge University Press 2010
Markus Mösslang / Torsten Riotte / Hagen Schulz (eds.): British Envoys to Germany 1816-1866. Volume III: 1848-1850, Cambridge: Cambridge University Press 2006
Jürgen Müller (Bearb.): Der Deutsche Bund in der nationalen Herausforderung 1859-1862, München: Oldenbourg 2012
Die "Zollvereinslegende", die einen geraden kleindeutschen Weg vom Zollverein zum Nationalstaat unter zielstrebiger preußischer Regie annahm, ist zwar seit langem widerlegt, doch damit ist die Frage, wie der Zollverein konkret gewirkt hat und welche Bedeutung ihm im komplexen Prozess der Nationsbildung zukam, keineswegs beantwortet. Sie wird in dieser Jenaer Studie, die aus einem von Hans-Werner Hahn, dem die Zollvereinsforschung wichtige Studien verdankt, geleiteten Forschungsprojekt hervorgegangen ist, in neuer Weise gestellt. Untersucht werden 244 höhere Beamte, die im Untersuchungszeitraum als Generalkonferenzbevollmächtigte, Zollvereinsbevollmächtigte und Stationskontrolleure für den Zollverein tätig waren. Sie standen im Dienst ihres jeweiligen Staates, erfüllten jedoch Aufgaben des Zollvereins, der zwar über gemeinsame Einrichtungen, nicht aber über eine zentrale Verwaltung verfügte. In dieser Verwaltungselite bildete sich ein Kern heraus, der kontinuierlich für den Zollverein tätig war. Wer waren diese Männer? Entwickelten sie als Funktionselite einen esprit de corps, der sie von anderen Beamtengruppen abhob? Wie standen die einzelstaatlichen Regierungen und Verwaltungen zu ihnen? Entwickelten sie im Dienstverkehr untereinander eine spezifische Verwaltungskultur, die auf den Zollverein ausgerichtet war? Welche Rolle kam ihnen in den Krisenphasen zu, in denen nicht sicher war, ob der Zollverein fortgeführt werden konnte? Und schließlich: Waren sie nationalpolitisch aktiv? Diesen Fragen geht der Autor auf breiter Quellengrundlage nach. Ein umfangreicher Anhang (237-368) bietet Kurzbiographien und 20 Tabellen, in denen Herkunft und Berufswege nach unterschiedlichen Kriterien zusammengestellt sind. Diese Daten bieten eine Fundgrube für die Forschung.
Die Antworten, die der Autor auf die genannten Fragen gibt, sind eindeutig und werden stets präzise belegt: Im Dienste des Zollvereins bildete sich eine Funktionselite heraus, die ungeachtet aller Konflikte, die in ihrem Aufgabenfeld angesichts der divergierenden einzelstaatlichen Interessen nicht zu vermeiden waren, ein Selbstverständnis als Zollvereinsbeamte entwickelte, das sie von anderen Beamtengruppen abhob. Sie waren meist wirtschaftsliberal orientiert, etliche von ihnen unterhielten enge Kontakte zum Wirtschaftsbürgertum und seinen Organisationen, und sie bauten Netzwerke auf, in denen der Zollverein zum Synonym für Deutschland wurde. Österreich gehörte mehr und mehr nicht dazu. Es war, wie es einer dieser Zollvereinsbeamten 1852 formuliert hatte, "für den Verkehr der anderen deutschen Staaten ein völliges Fremdland" (220) geworden. Diese Sicht ist nicht von Preußen erzwungen worden wie auch generell - das wird hier nochmals deutlich - nicht von einer langfristigen politischen Instrumentalisierung des Zollvereins durch Preußen gesprochen werden kann. Man wird eher von einem zoll- und handelspolitischen Selbstausschluss Österreichs sprechen dürfen.
Die Zollvereinsbeamten kumulierten ein Fachwissen, auf das keine Regierung verzichten konnte. Das äußerte sich u.a. in den Ordensverleihungen, die Kreutzmann analysiert. An ihnen lässt sich erkennen, wie die Beamten im Dienste des Zollvereins zu einer Gruppe zusammenwuchsen und sich wechselseitig schätzten. In ihrem Handeln entfalteten sie eine Eigendynamik, die wesentlich dazu beitrug, dass der Zollverein die verschiedenen Krisenphasen, die Kreutzmann genau untersucht, überstand. Die Beamten entwarfen zollpolitische Handlungsprogramme, deren Logik sich die einzelstaatlichen Regierungen nicht verweigern konnten. Die Konflikte, das zeigt Kreutzmann detailliert, verliefen keineswegs nur zwischen den einzelstaatlichen Regierungen und Bürokratien, sondern auch zwischen diesen und ihren jeweiligen Beamten im Dienste des Zollvereins. Gegen das Fachwissen dieser Experten, die sich für den Zollverein engagierten, kam die Opposition innerhalb der Regierungen nicht an. Im Dienste des Zollvereins war eine Akteursgruppe entstanden, die den zollpolitischen Einigungsprozess vorantrieb.
Die Nation spielte in der zollpolitischen Argumentation der Zollvereinsbeamten "praktisch keine Rolle" (234). Und dennoch war ihr berufliches Wirken für den Prozess der deutschen Nationsbildung bedeutsam. Unmittelbar sichtbar wurde das in den Revolutionsjahren 1848/49, als zahlreiche von ihnen als Sachverständige ihrer Regierungen in den Beratungen im volkswirtschaftlichen Ausschuss der Nationalversammlung und im Reichshandelsministerium daran beteiligt waren, ein gemeinsames Zollsystem für den deutschen Nationalstaat zu entwerfen. Vor allem aber trugen sie erheblich dazu bei, dass die wirtschaftliche Ebene der Nationsbildung, die von der jüngeren Forschung stark vernachlässigt worden ist, im Zollverein fundiert blieb. Im Rückblick haben Liberale diese Aktivitäten der Zollvereinsbeamten genutzt, in deren Wirken einen Weg zum deutschen Nationalstaat zu entdecken, der nicht über die Kriege unter preußischer Führung lief. Das gehört zur damaligen Debatte, wem die Führungsrolle im nationalstaatlichen Gründungsprozess zukomme. Als Realitätsbeschreibung darf das nicht gelesen werden. Warum jedoch jenseits der alten Frontstellungen die Frage nach der nationalpolitischen Bedeutung des Zollvereins neu aufgenommen werden sollte, zeigt Kreutzmann in seiner Studie überzeugend.
Anmerkung der Redaktion:
In der ursprünglich publizierten Fassung wurde die Studie irrtümlich als Dissertationsschrift bezeichnet. Wir bedauern diesen Fehler.
Dieter Langewiesche