Nitin Sinha: Communication and Colonialism in Eastern India. Bihar, 1760s-1880s (= Anthem Modern South Asian History), London: Anthem Press 2012, XXXVIII + 272 S., ISBN 978-0-857-28448-8, GBP 60,00
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Nitin Sinhas Arbeit widmet sich dem für die Organisation imperialer Herrschaft wichtigen Thema der Mobilität und versteht sich als Beitrag zu einer Geschichte des sozialen Raumes als Transport- und Kommunikationsgeschichte. Im Kern geht es - so entwickelt sich nach und nach der rote Faden des Buches - um die Produktion von Raum in einer mikrohistorischen Studie von "circulatory regimes" in Bihar, in der die Untersuchung von Handel, Reise, Ideologien und Diskursen kolonialer Herrschaft zusammenlaufen sollen.
Mobilität will Sinha als Interaktion von "means of communication" und "networks of circulation" verstanden wissen - die begriffliche Mehrdeutigkeit ist beabsichtigt, wenngleich nicht immer konsequent umgesetzt - mit Schwerpunkt auf Formen der Wissensgenerierung, -produktion und -zirkulation im Transport von Ideen, Waren und Menschen, sodass die Materialität der Mobilitätspraxis und deren Textualität zueinander finden können.
Im Mittelpunkt steht der Staat Bihar im Nordosten Indiens, seit dem späten 18. Jahrhundert eines der führenden Zentren imperialer Exportgüter wie Opium, Indigo und Salpeter sowie später für Getreide und Saatgut. Bihars Hauptstadt Patna galt als einer der größten Handelsknotenpunkte, durchliefen mit der alten Mughal Road, dem Ganges sowie den beiden imperialen Linien der New Military Road und Great Trunk Road doch gleich mehrere Hauptverkehrsarterien Bihar. Diesem Charakter hatten Vorgängerstudien, so Sinha, nicht gerecht werden können, solange sie Bihar lediglich als "transitional sandwiched zone between Hindustan and Bengal" (xxxvii) verstanden und sich zu nah am zeitgenössischen Verständnis allein auf die Eisenbahn konzentrierten, statt der Komplementarität der Kommunikationswege von Straße, Schiene und Flusswegen Rechnung zu tragen. Gegen die Weltsicht einer "pre- and post-railway period" hebt Sinha hervor, wie sehr die Eisenbahn-Mobilität auf bereits existierenden Verkehrsformen aufbaute, die in Folge angepasst und verändert wurden.
Für den Autor ist daher die Periodisierung wesentlich: Die Studie setzt in den 1760er Jahren mit dem Zugewinn ökonomischer und territorialer Kontrolle der East India Company ein, die darauf bedacht war, Kommunikationswege zu regulieren und auszubauen. In dieser Phase der frühen Kolonialherrschaft entstanden Straßen und Routen-Erhebungen aus der Praxis der administrativen Wintertouren heraus, die zur Akkumulation von Wissen über Handel und Verkehr führten, verbunden mit dem Impuls, Einkünfte zu maximieren und illegalen Handel durch Überwachung zu unterbinden. Mit steigenden Investitionen in den Straßen- und Eisenbahnbau ab den 1820ern und der Entstehung neuer Zirkulationsregime konstatiert Sinha einen deutlichen Wandel im kolonialen Diskurs, für den zwei neue Topoi: erstens jener des "opening up the interiors" und zweitens jener der "public works" (1835 institutionalisiert durch die Gründung eines Public Works Department) bestimmend wurden. Anspruch des Buches ist es, diesen Wandel in Investitionen und imperialer Politik in seinen Auswirkungen auf Mobilitätspraktiken bis zum Beginn des Eisenbahnzeitalters in den 1880er Jahren nachzuzeichnen. Hier materialisiert sich für Sinha der Nexus zwischen Utilitarismus, Dampftechnologie, der Idee vom Reichtum an natürlichen Ressourcen des Landes einerseits und der Überzeugung in das Programm des 'moral and material improvement' der britischen Zivilisierungsmission andererseits. Das Landesinnere gewann an ökonomischer Bedeutung und verlieh Kommunikation eine Schlüsselrolle im kolonialen Diskurs.
Um den verschiedenen räumlichen Ebenen gerecht zu werden, bilden Regierungsakten der Abteilungen "Public Works", "Revenue/Finance" und "Railway, Roads & Building" sowohl aus Bihar (Patna) als auch aus den National Archives of India (Delhi) sowie den India Office Records (London) ergänzt um Landkarten, Private Papers, publizierte Regierungsberichte, Tagebücher, Memoiren und Reisebeschreibungen die Quellengrundlage für die insgesamt acht Kapitel.
Der Dialog zwischen vorkolonialen zu kolonialen Wissensformen steht im Zentrum von Kapitel 1, das Techniken wie das Kartographieren zwar als Werkzeug des Empires sieht, dessen Ursprung in Kulturtechniken der späten Mughal- und Maratha-Reiche aber nicht verhehlt - ein Wissen, das vom Britischen Empire lediglich übernommen und transformiert wurde. Kapitel 2 identifiziert "India and its interiors" als Kernthema der Studie. Ende des 18. Jahrhunderts entstand die Raumkategorie des "Interior", die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum größeren Erklärungsmodell eines "unchanging and closed India" verfestigt habe. In kolonialer Diktion wurde nun nicht nur der soziale, sondern auch der physische Raum als statisch, unwandelbar und zeitlos stilisiert. Die Topographie galt als "tabula rasa", was sich auf der sprachlichen Ebene in Begriffen wie "roadless India" and "unknown interiors" widerspiegelte. "Opening up of the interiors" mittels verbesserter Transport- und Kommunikationstechnologien wurde zur neuen politischen Maßgabe des Empire: Der diskursiv entleerte Raum konnte nun leicht durch den kolonialen Staat in Verbund mit privaten Investoren neu besetzt werden. Die Eröffnung des Landesinneren sollte zur Zunahme des Handels, der Zivilisierung der Natives sowie besseren Kontrolle des Territoriums durch ein ausgefeilteres Informationswesen und eine erleichterte Ausweitung von Militärpräsenz führen. Aus dem Mythos des "roadless India" (32) entstand imperiale Handels- und Sicherheitspolitik. "Going into the Interiors" (Kap. 3) richtet den Blick auf Formen des administrativen Umgangs mit dem Landesinnern. Die alljährlichen Rundreisen der Magistrate durch die Distrikte verstärkten einerseits die "Rhetorik" vom "unknown interior", schlossen andererseits zugleich Wissenslücken durch Straßenvermessung, Kartographieren und Fahrtenbücher - Formen von Wissensproduktion mithin, bei der die Kolonialmacht stets auf einheimische Ressourcen zurückgriff (Kap. 4). Ordnungspolitisch richtet Sinha den Blick auf (trans)regionale Mobilitätspraktiken von "transport workers": Straßenbauarbeitern, Dandies, Coolies und Boatmen, aber auch Banjara, Sanyasis und Fakiren, die als mobile Gemeinschaften stets der Sesshaftigkeitspolitik des Kolonialstaates zuwider liefen und eine beständige Regulierungsaufgabe darstellten, wie die z.B. die Kampagnen gegen Thuggees und der Criminal Tribes Act 1871 zeigten. (Kap. 7). Auch wenn ab den 1860ern zunehmend die Eisenbahn die "Räder des Wandels" bedeuteten, bestanden die mobilen Netzwerke von Menschen, Gütern und Transportmedien fort, argumentiert Sinha abschließend (Kap. 8).
Es geht Sinha also in seiner detailreichen Darstellung um Koexistenzen und Transitionsmomente, hinter die die großen, klar definierten Linien (bisweilen vielleicht zu sehr) zurücktreten. Den Verdienst einer Regionalstudie schmälert dies nicht.
Verena Steller