Gunter Hofmann: Willy Brandt und Helmut Schmidt. Geschichte einer schwierigen Freundschaft, München: C.H.Beck 2012, 336 S., ISBN 978-3-406-63977-7, EUR 21,95
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Gunter Hofmanns Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, aber eine bedeutende Bereicherung der Literatur über die beiden ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler. Es ist ein Psychogramm, das der Autor in den Kontext der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts stellt. Das Buch stützt sich auf viele Gespräche Hofmanns mit Brandt, auf die rückblickenden und autobiographischen Werke der Protagonisten, auf die beiden großen Biographien von Peter Merseburger [1] und Hartmut Soell [2] sowie auf Interviews, die Hofmann in Vorbereitung des Buches mit Helmut Schmidt führte. Auch konnte er bereits den Briefwechsel zwischen Willy Brandt und Helmut Schmidt nutzen, der Ende 2013 in einer von Meik Woyke für die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung besorgten Edition erscheinen wird.
Der Untertitel des Buches lautet: "Geschichte einer schwierigen Freundschaft". Aber ist "Freundschaft" das richtige Wort, um diese Beziehung zu charakterisieren? Zweifel daran hegen viele. Und der Autor, langjähriger journalistischer Beobachter der Bonner Republik, beginnt das Buch auch mit dem Moment tiefster Entfremdung: dem Sonderparteitag der SPD im November 1983, auf dem nur noch eine verschwindende Minderheit der Delegierten Schmidts sicherheitspolitischem Kurs folgte. Beim Hinausgehen kreuzten sich beider Wege, aber keiner ging auf den anderen zu. Dass dies nicht der letzte Akt in der gemeinsamen Geschichte von Willy Brandt und Helmut Schmidt blieb und dass darüber die langjährige Freundschaft nicht vergessen werden darf, ist die Botschaft des Buches.
Der Autor geht chronologisch vor und lässt die Zwei ausführlich zu Wort kommen. Er sucht nach gemeinsamen (nicht: geteilten) Erfahrungen auch in den Jahren, als sie sich noch nicht begegnet waren. Zuallererst sind dies natürlich das Aufkommen des Nationalsozialismus und die Diktatur. Brandt, fünf entscheidende Jahre älter, ist schon in der Weimarer Republik politisch aktiv. Schmidt fehlt diese Erfahrung, außerdem hält ihn das Elternhaus von jeglichen politischen Einflüssen fern: Die Kinder durften keine Zeitungen lesen, und bei politischen Unterhaltungen mussten sie das Zimmer verlassen. Ganz anders bei Brandt, der in einem sozialdemokratischen Haushalt aufwuchs und früh an die Arbeiterbewegung herangeführt wurde.
Dieses Kapitel trägt die Überschrift "Zweierlei Irrtümer" (19). Was Hofmann damit meint, ist Brandts Suche nach den Fehlern der eigenen Bewegung, die "Last der Mitverantwortung für das Scheitern der deutschen Demokratie" (28); bei Schmidt die partielle Faszination für den Nationalsozialismus, obwohl er seit 1933 von seinem jüdischen Großvater wusste. Im Kriegsgefangenenlager notierte Schmidt, er habe 1938 mit dem Nationalsozialismus gebrochen, " 'lediglich Hitler noch persönlich ausgenommen' " (43). Brandts Weg war eine Ausnahme unter den Deutschen, der von Schmidt hingegen entsprach cum grano salis dem der großen Mehrheit.
Hofmann beschäftigt sich ausführlich mit der frühen Zeit, dem Exil bei dem einen, der Kriegszeit bei dem anderen. Er nennt es das erste Leben. Schmidt betonte später in überraschend eindeutiger Form die Bedeutung dieser Phase: In der Soldatenzeit habe er viel mehr gelernt als im Kanzleramt. Auch Brandts frühe Jahre im Exil werden eingehend behandelt. Anders als in einer älteren Studie des Autors über Willy Brandt nimmt jetzt auch die Berliner Zeit großen Raum ein - Brandt hatte, so Hofmann, das Manko gerügt.
Begegnet sind sich der Hamburger und der Wahl-Berliner ab 1953 im Deutschen Bundestag, dem Brandt bereits seit 1949 angehörte. Beide teilten die Bewunderung für Ernst Reuter und beide setzten sich für eine atlantische Orientierung der Bundesrepublik ein. Als Brandt kurz nach der Wahl zum Regierenden Bürgermeister 1957 in den Kreis möglicher Spitzenkandidaten bei der nächsten Bundestagswahl kam, gehörte Schmidt zu seinen Unterstützern. Im Sommer 1960 organisierten er und andere am Parteivorstand vorbei ein Treffen jüngerer Sozialdemokraten, um Brandt als Kanzlerkandidaten durchzusetzen. Helmut Schmidt gehörte damals und bis zum Ende der 1960er Jahre zu denen, die den Verleumdungen gegen Brandt als uneheliches Kind und Emigrant am entschiedensten entgegentraten. Aus dieser Zeit stammt Schmidts persönlichster Brief. In ihm erklärt er Brandt seine tiefe Freundschaft. Von Brandt gibt es solche Zeilen nicht - übrigens nicht nur gegenüber Schmidt nicht. Nur in ganz wenigen Ausnahmen bezeichnete Brandt sich als "Freund" eines anderen. Egon Bahr und Klaus Harpprecht etwa zählte er zu seinen Freunden. Aber sonst galt wohl, was er im Dezember 1976 in Madrid erklärte: Zu den Pflichten eines guten Politikers gehöre, dass er keine Emotionen zeige. Es war Schmidt, so resümiert Hofmann den Briefwechsel, der um Freundschaft warb und ausführlich schrieb. Brandt antwortete, auch in Zeiten besten Einverständnisses, wortkarg.
Diese Zeiten besten Einverständnisses währten bis zum Beginn der sozial-liberalen Koalition. Die gemeinsame Erfahrung am Kabinettstisch führte Schmidt zu immer schärferer Kritik an Brandts Regierungsstil. Er vermisste die Gelegenheit zum offenen Gespräch außerhalb von Gremiensitzungen, aus denen immer jemand der Presse berichtete. Und er forderte mehr Führung. Brandt wehrte ab: Keiner könne mehr aus seiner Haut, aus seinem Stil. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre kamen massive inhaltliche Differenzen hinzu. Dennoch beharrte Brandt 1982 darauf, dass ohne ihn als SPD-Vorsitzendem der Kanzler Schmidt eher noch größere Probleme gehabt hätte. Schmidt hingegen bedauerte, 1974 nicht auch die Parteiführung übernommen zu haben. Hofmann nennt diese Phase das "große Schisma". Es endete 1989/90: "Wie umgewandelt war ihr Verhältnis nun. Gelegentlich zog Brandt Schmidt geradezu ins Vertrauen, um kritische Anmerkungen über die eigene Partei zu machen." (255) In seinem letzten Brief, aus dem Juni 1992, schrieb Schmidt wieder von Freundschaft. Auf Seiten Brandts blieb es beim Respekt.
Gunter Hofmanns Buch steht neben den monumentalen Werken von Peter Merseburger und Hartmut Soell als das wichtigste Buch zum Verständnis der beiden Persönlichkeiten, die 20 beziehungsweise 30 Jahre lang die bundesdeutsche Politik entscheidend mit beeinflussten. Zwar bietet sein Buch kaum neue Fakten, aber seine Beobachtungen und Einordnungen sind von sonst selten erreichter Tiefe. Kaum einmal, dass der Rezensent ihnen nicht sofort folgen will. Zu diesen Ausnahmen gehört die Verwendung des Begriffs "Irrtum" für den jungen Brandt. Worin soll er bestanden haben? Fehler gab es sicherlich, aber im Grundsätzlichen fällt es schwer, ihm aus dieser Zeit einen Irrtum vorzuwerfen. Hofmann schwächt selbst ab, wenn er bewundernd fragt, woher dieser junge Mensch das klare innere Koordinatensystem besaß. Man ist geneigt zu antworten: aus der Arbeiterbewegung. Nur hat dies andere nicht vor wirklichen Irrtümern, wenn auch häufig nur vorübergehend, gefeit.
Ein Manko bleibt, aber es liegt außerhalb der Möglichkeiten von Gunter Hofmann: Herbert Wehner ist über weite Strecken der große Abwesende. Solange der Zugang zum Nachlass dieses Dritten im Bunde (oder häufig: im Streit) restriktiv gehandhabt wird, muss hier eine Leerstelle bleiben.
Anmerkungen:
[1] Peter Merseburger: Willy Brandt 1913-1992. Visionär und Realist, Stuttgart / München 2002.
[2] Hartmut Soell: Helmut Schmidt. Vernunft und Leidenschaft 1918-1969, München 2003; Helmut Schmidt: Macht und Verantwortung. 1969 bis heute, München 2008.
Bernd Rother