Rezension über:

Matthias Becher: Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt, München: C.H.Beck 2011, 336 S., 10 Abb., 7 Karten, 4 Stammtafeln, ISBN 978-3-406-61370-8, EUR 24,95
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Rezension von:
Andreas Fischer
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Claudia Zey
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Fischer: Rezension von: Matthias Becher: Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt, München: C.H.Beck 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/19334.html


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Matthias Becher: Chlodwig I.

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1500 Jahre nach dem Tod Chlodwigs I. am 27. November 511 - ein Datum, das als gesichert gelten darf - legt Matthias Becher eine umfassende Darstellung des Merowingerherrschers und seiner Zeit vor, der der Nachwelt lange im Gedächtnis blieb und insbesondere im französischsprachigen Raum seine formative Kraft als Legitimationsfigur entfaltete.

Der Autor greift chronologisch weit aus, um Chlodwig vor dem historischen Hintergrund der fränkischen Geschichte Kontur zu verleihen. Auf die Einleitung, die sich insbesondere der wichtigsten Quelle zu Chlodwig, den "Zehn Bücher Geschichten" Gregors von Tours, aber auch den späteren Zeugnissen wie der Fredegar-Chronik und dem Liber Historiae Francorum widmet (9-22), folgt im ersten Kapitel eine umfassende Darstellung der als Vorläufer der Franken betrachteten Stämme am Niederrhein und des wechselvollen, von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Verhältnisses der Franken zum Imperium Romanum im 3. und 4. Jahrhundert (23-71). In diesem Zusammenhang werden auch die Thesen von Matthias Springer zur Existenz der Salier als Teilstamm und zur Bedeutung ihres Namens sowie die zunehmende Integration der Franken in das römische Heer thematisiert, die sich an der Wahrnehmung hochrangiger militärischer Ämter durch mehrere Personen fränkischer Herkunft gegen Ende des 4. Jahrhunderts ablesen lässt. Im zweiten Kapitel wendet sich der Verfasser der Geschichte des gallischen Raums im 5. Jahrhundert bis zum Ende des Weströmischen Reiches zu (72-102). Dabei richtet er das Augenmerk vor allem auf die Beteiligung der Franken an den Kämpfen zum Erhalt des westlichen Reichsteils, die in der unter Aetius geführten Schlacht gegen die Hunnen Attilas auf den Katalaunischen Feldern im Jahr 451 ihren Höhepunkt erreichten. In diesem Zusammenhang äußert der Autor die Vermutung, der mit dem "letzten Römer" verbündete junge Frankenkönig sei mit Merowech, Chlodios Sohn, zu identifizieren (120f.). Deren gemeinsamer Sieg kann als Zeichen für das in der Folge stetig wachsende militärische und politische Gewicht der Franken betrachtet werden, das diese nutzten, um nach der Absetzung des Westkaisers Romulus Augustulus 476 in das aufgetretene Machtvakuum im nördlichen Gallien einzutreten. Dem fränkischen Königtum und seinen Anfängen widmet sich die Darstellung in ihrem dritten Kapitel (103-143). Der teilweise auf älteren Vorlagen beruhende Bericht Gregors von Tours zu den ersten Frankenkönigen wie etwa Chlodio, der wohl in einem rechts des Rheins gelegenen Ort residierte, wird dabei ebenso analysiert wie die Passagen der Fredegar-Chronik zur angeblichen trojanischen Herkunft der Franken und der Abkunft der Merowinger von einem Meeresungeheuer. Im Einklang mit der jüngeren Forschung wendet sich der Autor hierbei gegen eine vormals postulierte Sakralität germanisch-heidnischen Ursprungs, die das merowingische Königtum ausgezeichnet habe. Ausführlicher behandelt er anschließend die besser bezeugte Herrschaft Childerichs und dessen im 17. Jahrhundert entdeckten Grabhügel, ehe er anhand von archäologischen und schriftlichen Zeugnissen knapp auf die Alltagskultur der Franken eingeht. Die Anfänge Chlodwigs nimmt der Autor anschließend in Kapitel vier in den Blick (144-173). Hier spannt er den Bogen von der Eroberung des Syagrius-Reiches über das Verhältnis des Herrschers zu den Gallorömern und den Franken, wie es sich etwa in der berühmten Episode um den Krug von Soissons niederschlägt, bis hin zur Einbindung Chlodwigs in das Bündnissystem des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen, der mit der Schwester des Merowingers verheiratet war. Mit der folgenreichen Eheschließung des Franken mit der burgundischen Königsnichte Chrodechilde endet dieser Abschnitt. Daran schließt sich die Darstellung der durch seine Gattin initiierten, von Becher im Anschluss an Teile der Forschung auf die Zeit vor 500 datierte Taufe des Merowingers und die damit verbundenen Probleme in einem eigenen Kapitel an (5: 174-203). Ein weiteres, sechstes Kapitel thematisiert die Eroberungen und militärischen Rückschläge Chlodwigs (204-234). Die Auseinandersetzungen mit den Westgoten und den Burgundern kurz vor 500 werden hier als Teile eines umfassenden Ringens um die Vorherrschaft in Gallien betrachtet, das für Chlodwig zunächst mit einer Niederlage endete. Diese hielt den Frankenkönig gleichwohl wenige Jahre später ebenso wenig von einem neuerlichen Krieg mit den Westgoten ab wie die Versuche Theoderichs des Großen, über Briefe und Gesandte diplomatisch zu intervenieren. Die Auseinandersetzung des Jahres 507 verlief erfolgreicher, auch wenn nicht alle Kriegsziele erreicht werden konnten. Chlodwig hatte mit seinem Sieg die Vormachtstellung im gallischen Raum erlangt, die seine Herrschaft auf eine neue Stufe hob, wie auch der berühmte, im nächsten Kapitel (7, 235-264) behandelte "Tag von Tours" anschaulich vor Augen führte: Chlodwig hatte nun als Herrscher auch die kaiserliche Anerkennung gewonnen. Die Sicherung und der Ausbau seiner Herrschaft im erweiterten Frankenreich wird im Anschluss daran anhand des Verhältnisses zu den Städten und den Bischöfen dargestellt, letzteres unter Einbeziehung des Konzils von Orléans (511). Auch die Beseitigung der noch immer vorhandenen anderen, mit Chlodwig verwandten Frankenkönige, die Becher zufolge nicht so offen erfolgte wie es die Darstellung Gregors von Tours suggeriert, und die dem König zuzuweisenden Bemühungen zur schriftlichen Fixierung des fränkischen Rechts sind Teil dieses Abschnitts. Mit einem abschließenden achten Kapitel zu Chlodwigs Tod und Begräbnis, der Teilung des Reiches unter seinen Söhnen und seinem Nachleben endet der darstellende Teil des Buchs (265-282), an den sich Anmerkungen, die Danksagung und Stammtafeln anschließen (283-296). Eine umfassende Bibliographie sowie ein Register, das Personen, Orte und Völker umfasst, runden den Band ab (297-330).

Die Darstellung Bechers besticht vor allem durch ihre Quellennähe. Immer wieder werden Quellenzitate in Übersetzung in den Text eingestreut und dem Leser so direkte Einblicke in die Ereignisse und ihre Aufarbeitung durch die jeweiligen Verfasser geboten. Umsichtig werden die jeweiligen Passagen dabei kommentiert und in ihren jeweiligen Kontext eingebettet - nicht nur im Fall Gregors von Tours, der Chlodwigs Bild in der Nachwelt hauptsächlich prägte (s. auch die Einleitung 14 mit dem bekannten Dictum von Wallace-Hadrill). Karten und Bildmaterial erhöhen die Anschaulichkeit zusätzlich, obgleich Text und Bild etwa hinsichtlich der Haartracht der Franken besser abgestimmt hätten werden können (vgl. die Darstellung 49 mit dem Zitat von Sidonius Apollinaris 141). Inhaltlich begnügt sich die Darstellung nicht nur mit der Zusammenfassung bekannter Ergebnisse, sondern setzt auch eigene Akzente und wendet sich bisweilen gegen andere Deutungen der Forschung (dezidiert etwa 288 Anm. 15). Ein wenig mag man es bedauern, dass man über das - wohl auf Wunsch des Verlags - im Untertitel des Buches angekündigte, mit dem "Aufstieg der Merowinger" parallelisierte "Ende der Antike" weniger als erwartet erfährt; gerade die Einordnung des Protagonisten innerhalb dieses Zusammenhangs hätte die Debatte zum Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter zusätzlich bereichern können. Wo Becher nicht sogar eher Kontinuitäten oder die Transformation spätrömischer Strukturen thematisiert (etwa 240-242), neigt er zur Betonung eines innerrömischen Faktors, der Usurpationen, in denen er den Hauptgrund für das Ende des Weströmischen Reiches sieht (13f., 72f., 101). Auf diese Weise lenkt er den Blick gewissermaßen weg von einer möglichen Verbindung zwischen dem Aufstieg des fränkischen Königsgeschlechts und dem "Ende der Antike". Ohnehin rückt er Chlodwig in seiner Darstellung in teleologischer Zuspitzung in andere Kontexte, indem er ihn als Weichensteller für "die Geburt der französischen Nation" (22) oder als einen "der bedeutenden Gründerväter Europas" (282) bezeichnet. Und dennoch: am Ende der Lektüre ist man bestens über die Welt informiert, in die Chlodwig geboren wurde.

Andreas Fischer