Jessika Nowak: Ein Kardinal im Zeitalter der Renaissance. Die Karriere des Giovanni di Castiglione (ca. 1413-1460) (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 59), Tübingen: Mohr Siebeck 2011, XVII + 520 S., ISBN 978-3-16-150545-4, EUR 99,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Tristan Martine / Jessika Nowak (éds.): D'un regnum à lautre. La Lotharingie, un espace de l'entre-deux ? Vom regnum zum imperium. Lotharingien als Zwischenreich ?, Freiburg/Brsg.: Rombach 2021
Jessika Nowak / Jan Rüdiger (Hgg.): Zwischen Basel und Marseille: Das Burgund der Rudolfinger (9.-11.Jahrhundert ) De Bâle à Marseille: l'espace bourguignon à lépoque rodolphienne (IXe-XIe siècles), Basel: Schwabe 2019
Wie wurde man Kardinal im Spätmittelalter? Diese Frage, die Dieter Girgensohn anhand der Lebensdaten von Kardinälen an der Wende des 14. zum 15. Jahrhundert untersuchte [1], erfährt in Jessika Nowaks Studie zur Vita des Kardinals Giovanni di Castiglione eine biographische Vertiefung, deren Detailreichtum die komplexen Zusammenhänge und Strategien einer kirchlichen Karriere im 15. Jahrhundert deutlich erkennen lässt. Mit der Rekonstruktion des Aufstiegs zum Kardinalat leistet das Buch, eine leicht gekürzte Fassung der 2009 in Frankfurt eingereichten Dissertationsschrift, einen wichtigen Beitrag zum aktuellen Forschungsinteresse am mittelalterlichen Kardinalat. Dass es sich bei dem Protagonisten nicht um eine prominente Persönlichkeit, sondern um eine vergleichsweise unbemittelte, von eher niederer Herkunft stammende und als "Verlierer" in die Geschichte eingegangene Gestalt handelt, ist durchaus kein Nachteil, sondern erschließt besondere Perspektiven auf die Schwierigkeiten und Chancen einer kirchlichen Laufbahn im 15. Jahrhundert, die in dieser Tiefe noch nicht erforscht worden sind.
Als Mitglied des mailändischen Adelsgeschlechts der Castiglione und Neffe des berühmten Kardinals Branda di Castiglione trat Giovanni den von seinem Onkel vorgezeichneten und geförderten Weg der kirchlichen Laufbahn an, für die er sich durch eine akademische Bildung zu qualifizieren sorgte. Es folgten auf erste kirchliche Ämter die Ernennung zum Bischof von Coutances (1444), prominente Auftritte als päpstlicher Gesandter und Kreuzzugslegat, die Translation auf den Bischofsstuhl von Pavia und schließlich die Promotion zum Kardinal (1456) als Höhepunkt der Karriere, deren Krönung im Konklave von 1458 auch beinahe geglückt wäre. Doch war diese Erfolgsgeschichte keine Selbstverständlichkeit, sondern musste durch Beharren und Geschick gegen zahlreiche Rückschläge und Hindernisse erst errungen werden, etwa den Verlust der Unterstützung seines Onkels, die ungünstige Wende der politischen Verhältnisse in der Bretagne und die ablehnende Haltung des Herzogs von Mailand. Um trotzdem Karriere zu machen, wusste Castiglione sich mit Reden und Gesandtschaften zu profilieren und vor allem seine Beziehungen zur Kurie und zum mailändischen Hof auszuspielen. Der gescheiterte Griff nach der Tiara 1458 erwies sich allerdings als Peripetie in Castigliones Karriere, die zu seiner Entsendung in die Mark Ancona führte, wo er den vorzeitigen Tod fand.
Trotz der chronologisch-biographischen Grundstruktur handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Biographie, sondern um eine Studie über Voraussetzungen, Bedingungen und Strategien des Aufstiegs durch die Kirchenhierarchie im 15. Jahrhundert. Im Fokus der Darstellung stehen die Handlungen des Giovanni di Castiglione und seines Beziehungsnetzwerks, die am Paradigma des machiavellischen Renaissancemenschen, der durch 'virtù' oder 'fortuna' nach Macht strebt, als Ausdruck seiner Karrierebestrebungen gedeutet werden.
Die Grundlage für Nowaks Rekonstruktion dieser Bemühungen bilden weitgehend ungedruckte und wenig erforschte Briefe sowie Dokumente von Fürsten, Gesandten, Kardinälen und anderen Personen aus unterschiedlichen Archiven. Allein die Erfassung und Auswertung dieser umfangreichen, in Latein und Volgare verfassten und teilweise auch durch einen Geheimcode verschlüsselten Archivalien stellt eine große Leistung von Nowak dar. Die teils ergiebig zitierten und kommentierten Quellen bieten dem Leser zudem einen über den Faktennachweis hinaus wertvollen Quellenfundus, der durch kursiv gesetzte Belege in den Namen- und Sachregistern inhaltlich erschlossen ist. Wenn Nowak trotz dieser dichten Quellenlage zur Begründung der Zusammenhänge oft "auf eine implizite Beweisführung und den Vernunftsschluss angewiesen" (19) ist, so wird man ihre Grundannahme von Karrierebestrebungen als Hauptmotiv in den Handlungen des Protagonisten dennoch weitgehend teilen können.
Über die Aufdeckung von Castigliones strategischen Winkelzügen hinaus ist es eine wesentliche Leistung der Monographie, die komplexen Zusammenhänge und Beziehungsgeflechte zu erfassen, in denen sich Castigliones Vita gestaltete. Allerdings erscheint Nowaks Rekonstruktion der Karriere aus dem Blickwinkel des Protagonisten in dieser Hinsicht als heuristische Stärke und Schwäche des Werkes zugleich: Während diese Fokussierung eine solche Detailerfassung einerseits erst möglich macht, lässt sie andererseits manche kontextuellen Zusammenhänge in der Analyse unterbeleuchtet.
So wird etwa dokumentiert, wie Castiglione entscheidende Unterstützung auf seinem Karriereweg zuerst durch seinen Onkel, Kardinal Branda di Castiglione, und später durch Kardinal Guillaume d'Estouteville erfuhr. Doch neben den für Castigliones Karriere förderlichen Aspekten zeichnet sich anhand von dessen Vita ein instruktives Bild davon ab, wie Kardinäle Netzwerke aufbauten, Pfründen verteilten und Klienten wie Castiglione auf dem Weg nach oben halfen. Ein weiterer wichtiger Faktor in Castigliones Karriere war seine Dreiecksbeziehung zum Herzog von Mailand, Francesco Sforza, und zu dessen diplomatischem Personal. Castiglione hatte zwar keine gute Beziehung zum Herzog, der sich lange weigerte, ihn als Bischof von Pavia anzuerkennen, und der ihn nur zögerlich als "seinen" Kardinal akzeptierte, doch umso besser waren sie zu dessen diplomatischem Personal, vor allem zum herzoglichen Geheimsekretär und zu den Gesandten an der Kurie. Dass Castiglione mit ihrer Hilfe teilweise gegen Sforzas Willen als mailändischer Kandidat Karriere machen konnte, ist ein besonders interessanter Aspekt seiner Vita, der von Nowak aus den Quellen überzeugend herausarbeitet wird.
Castigliones geschickte Positionierung als Teil dieser wichtigen Netzwerke war in vieler Hinsicht der Schlüssel zu seinem Erfolg, doch sind solche Beziehungen nicht nur aus der Perspektive seines Handelns, sondern auch als strukturelle Bedingungen seiner Vita - und somit auch anderer Viten - zu verstehen. Unter anderem hätte es sich gelohnt, die Spielregeln solcher Beziehungen hinsichtlich der an den Karrieristen gerichteten Erwartungen näher zu betrachten. So dürften Kardinal Estouteville, der selbst Papst werden wollte, und die mailändischen Gesandten, die nach dem Tod Domenico Capranicas Enea Silvio Piccolomini zum Kandidaten erkoren hatten, erwartet haben, dass Castiglione ihren jeweiligen Wünschen im Konklave von 1458 folgen würde. Castigliones Versuch, diese Beziehungen zu seinem eigenen Vorteil gegeneinander auszuspielen, misslang und endete damit, dass er seine beiden Stützen an der Kurie verprellte. Der Verlust dieser Unterstützung wird eine Rolle in seiner unfreiwilligen Entfernung aus der Kurie gespielt haben.
Bleiben solche Aspekte in Nowaks Studie nur unsystematisch erfasst, ist jedoch zu betonen, dass sie erst durch die umfangreiche Dokumentation und deren gewissenhafte Aufbereitung überhaupt erkennbar werden und somit Anregungen für weitere Forschung bieten. Auch insgesamt stellt das Buch eine zugleich leicht leserliche wie auch lehrreiche Lektüre über Strategien, Erfolgsrezepte, Schwierigkeiten und Gefahren einer kirchlichen Karriere am Anfang der Renaissance dar, die als Gewinn für die Forschung zu begrüßen ist.
Anmerkung:
[1] Dieter Girgensohn: Wie wird man Kardinal? Kuriale und außerkuriale Karrieren an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 57 (1977), 138-162.
Duane Henderson