Anna Marie Pfäfflin: Gottlob Heinrich Rapp. Goethes "wohl unterrichteter Kunstfreund" in Stuttgart 1761-1832 (= Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart; Bd. 107), Stuttgart: Hohenheim Verlag 2011, 658 S., 101 Abb., ISBN 978-3-89850-990-9, EUR 28,00
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Mit ihrer gewichtigen Monografie über den Stuttgarter Kaufmann und Kunstfreund Gottlob Heinrich Rapp rückt Anna Maria Pfäfflin einen bisher kaum beachteten Amateur und wichtigen Protagonisten des schwäbischen Klassizismus in den Fokus. Mit Rapp widmet sich das hier zu besprechende, auf einer 2009 abgeschlossenen Dissertation der Verfasserin basierende Buch einem Kunstkenner und -schriftsteller, der zwar eine unbestrittene lokale Größe, ansonsten aber ein klassischer Vertreter der zweiten Reihe war.
Doch genau in dieser Epigonalität liegt das Potential des Gegenstandes: Pfäfflin geht es weniger darum, ihren Protagonisten zu einem 'großen' Denker zu stilisieren, sondern sie widmet sich vor allem seiner vermittelnden Rolle und seinen publizistischen Leistungen in der Popularisierung internationaler ästhetischer Debatten.
Mit ihrer Konzentration auf die pädagogische Agenda und die populäre Vermittlungsleistung Gottlob Heinrich Rapps nimmt Pfäfflins Arbeit eine durchaus originelle Position in der aktuellen Forschung zum Dilettantismus ein. Die meisten Untersuchungen zu diesem Thema betonten eher die innovative, künstlerisch-praktische und theoretische Produktivität der sich gerne etwas genialisch gebärenden Amateure um 1800 - und weniger die reproduktiven Aspekte ihrer Arbeit. [1] Pfäfflin konzentriert sich dagegen ganz auf Rapps Bemühungen um Wissensvermittlung an ein bürgerliches Publikum und interpretiert seine Schriften konsequent als durch ein "auf den Rezipienten zugeschnittene[s] Bildungsmodell" motiviert (13). Dem Betrachter die Mittel für die Ausbildung eines eigenständigen ästhetischen Urteils an die Hand zu geben war, so die überzeugend vorgetragene These, Rapps zentrales Anliegen.
Die vorliegende Arbeit folgt dabei nicht im engeren Sinne dem Modus einer biografischen Lebenserzählung. Vielmehr rekonstruiert sie Rapps Bildungsprogramm, das in einem Dreischritt aus "Erproben", "Lernen & Studieren" und "Vermitteln" dargestellt wird. Die Grenzziehungen zwischen diesen Bildungsstufen, vor allem der zweiten und dritten, sind dabei nicht immer ganz einsichtig. Warum etwa Rapps Bericht von Canovas Besuch in Stuttgart (223f., zu "Bildungsstufe II") und sein Artikel zu Thorvaldsens Besuch ebendort (424ff., zu "Bildungsstufe III") kategorial anderen Vermittlungsabsichten zugerechnet werden, erschließt sich nicht.
Die ganze Vielfalt von Rapps kulturellen Tätigkeiten wird vorgestellt. Zu den zahllosen verhandelten Themen gehören etwa seine Experimente mit der Technik der Lithografie, seine Ausführungen zur Gartenbaukunst und die institutionellen Bemühungen zur Förderung der Kunst, etwa durch Gründung eines Kunstvereins. Im Zentrum steht aber vor allem das journalistische und kunstkritische Engagement Rapps, das sich in zahlreichen Artikeln zur antiken wie modernen Kunst (erschienen meist in Cotta's "Morgenblatt für gebildete Stände") niederschlug. Die enzyklopädische Breite von Rapps Interesse ist dabei beeindruckend und führt bis zu skurrilen Entdeckungen wie einer Abhandlung über pietistische Separatisten in Pennsylvania (524ff.). Kunsthistorisch am interessantesten dürften aber die Ausführungen zu Rapps Aufsätzen über zeitgenössische schwäbische Künstler sein, wobei Pfäfflin überzeugend herausarbeitet, wie die Publikationen ihres Protagonisten ganz wesentlich zur Ausprägung eines Kanons dieser Schule beitrugen.
Rapp erscheint dabei zumeist als reproduzierende und vermittelnde Instanz, die aktuelle Themen und internationale Debatten für ein lokales Publikum aufarbeitete. Die Verfasserin benennt ihn folglich als "Referent zeitgenössischer Diskurse" (125), also als eine Art intellektuelles Relais. Angesichts der erstaunlichen Vielfalt der von ihm publizistisch aufgegriffenen Themen verwundert es nur wenig, dass Rapp zumeist eine Art kultureller Übersetzer blieb, ohne eine distinkte eigene theoretische Profilierung zu entwickeln. Treffend charakterisiert Pfäfflin ihren Protagonisten als Knotenpunkt von intellektuellen Netzwerken, der dank bester nationaler wie internationaler Kontakte eine wichtige Distributionsleistung für das Stuttgarter Bürgertum erfüllte.
In der ausführlichen Darstellung der Diskurse, die Rapp bearbeitete und popularisierte, gleitet Pfäfflins Text allerdings ein ums andere Mal selbst ins Referat ab, wobei sich im polyphonen Gewirr der Zitate mitunter das Profil des Protagonisten Rapp endgültig verliert. Hier hätte einige Straffung gut getan. Angesichts der über 550 Seiten Fließtext (unterbrochen nur von gut 100 Abbildungen im Briefmarkenformat) und des Verzichts auf einen durchgehenden (etwa biografischen) Plot dürfte das Buch eher selten als Ganzes rezipiert werden. Doch kann der Leser gut an einzelnen "Diskursfeldern" einsteigen und stößt dabei auf vorzügliche kleine Abhandlungen, etwa zur Erfindung der Lithografie (der sich Rapps einzige selbstständige Publikation widmete), zu den Debatten um den Hohenheimer Schlossgarten, oder der Rezeption Johann Friedrich Danneckers, um nur drei weitere der zahlreichen aufgearbeiteten Themen zu nennen.
Materialreichtum und Quellensättigung der Arbeit sind beeindruckend. So überzeugend die Verfasserin jedoch Rapp als Schlüsselfigur in Diskursnetzen präsentiert, so problematisch ist dabei ihre methodische Positionierung. Pfäfflin unternimmt es nämlich, Rapps Wirken mit dem methodischen Ansatz der "Konstellationsforschung" zu beschreiben (21ff., 556f.). Dieses durchaus umstrittene Konzept entwickelt im idealistischen Sinne ein Modell der kollaborativen, dialogischen Wissensproduktion - und bezeichnet gerade nicht nur den Prozess der Informationsvermittlung, wie ihn Rapp zumeist betrieb. [2] Doch genau letzteres subsumiert Pfäfflin unter diesem methodischen Schlagwort. Als "Konstellationen" beschreibt sie etwa Vorkommnisse wie, dass "Rapps Bemühung um die Boisserée'sche Sammlung [...] König Ludwig I. von Bayern [ermunterte], diese Werke in seinem 'Kulturkönigtum' zu präsentieren", oder dass Goethe von Rapp brieflich bereit gestellte Informationen über schwäbische Künstler in seine Schriften einarbeitete (556). Damit ist jedoch bestenfalls ein jeweils eher einseitiger Einfluss beschrieben, aber eben gerade nicht jener dichte, wechselseitige Denkprozess, den das methodische Projekt der Konstellationsforschung beschreiben will. [2]
Dies ändert aber nichts daran, dass Pfäfflins Arbeit eine reiche Fundgrube an Episoden und Fakten, nicht nur für den schwäbischen Klassizismus, sondern für die gesamte Kunst und Kultur um 1800 darstellt. Gerade die mangelnde Originalität seines Protagonisten macht das Buch außerdem zu einer wichtigen Fallstudie über die populäre Diffusion der internationalen Kunstliteratur.
Anmerkungen:
[1] Zu nennen wären etwa: Bruce Redford: Dilettanti. The Antic and the Antique in Eighteenth-Century England, Los Angeles 2008, oder Alexander Rosenbaum: Der Amateur als Künstler, Berlin 2010.
[2] Vgl. Martin Mulsow / Marcelo Stamm (Hgg.): Konstellationsforschung, Frankfurt a.M. 2005. Zur Kritik dieses Konzepts siehe den Beitrag von Paul Franks: Fragen an die Konstellationsforschung, in: Mulsow / Stamm 2005, 173-187.
Hans Christian Hönes