Peter H. Feist: Hauptstraßen und eigene Wege. Rückschau eines Kunsthistorikers, Berlin: Lukas Verlag 2016, 227 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-86732-231-7, EUR 19,80
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Peter H. Feist: Nachlese. Aufsätze zu bildender Kunst und Kunstwissenschaft, Berlin: Lukas Verlag 2016, 200 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-86732-232-4, EUR 19,80
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Daniela Bohde: Kunstgeschichte als physiognomische Wissenschaft. Kritik einer Denkfigur der 1920er bis 1940er Jahre, Berlin: Akademie Verlag 2012
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Ruth Heftrig / Olaf Peters / Ulrich Rehm (Hgg.): Alois J. Schardt. Ein Kunsthistoriker zwischen Weimarer Republik, "Drittem Reich" und Exil in Amerika, Berlin: Akademie Verlag 2013
Michael Baumgartner / Andreas Michel / Reto Sorg (Hgg.): Historiografie der Moderne. Carl Einstein, Paul Klee, Robert Walser und die wechselseitige Erhellung der Künste, München: Wilhelm Fink 2016
Karen Michels: Sokrates in Pöseldorf. Erwin Panofskys Hamburger Jahre, Göttingen: Wallstein 2017
Es gilt zwei Publikationen zu besprechen, die separat voneinander erschienen sind und Eigenständigkeit für sich beanspruchen können, zugleich aber erst in der Zusammenschau ihre ganze Wirkung entfalten. Es handelt sich um die Autobiografie des Kunsthistorikers Peter H. Feist (1928-2015) sowie um einen Sammelband mit Aufsätzen desselben Autors. Gleich auf der ersten Seite der Autobiografie "Hauptstraßen und eigene Wege. Rückschau eines Kunsthistorikers" ist zu erfahren, dass der 1947 in Halle an der Saale gerade zum Studium Zugelassene sein Lebensziel klar vor Augen hatte: Professor für Kunstgeschichte werden; und tatsächlich ging Feist diesen Weg geradlinig. Er führte von Halle, wo Feist mit einer Arbeit über das Motiv des Tierbezwingers mit antithetischen Tieren promoviert wurde, 1958 an das Institut für Kunstgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. 1966 übernahm er dessen kommissarische Leitung und habilitierte sich mit einer Arbeit zum französischen Impressionismus. Zwei Jahre später wurde Feist ebenda in den Professorenstand berufen. 1982 wechselte er an die Akademie der Wissenschaft der DDR, wo er bis 1991 wirkte. Zwischen 1951 und 2015 nahm Feist an der fachlichen und öffentlichen Diskussion über Kunst mit mehr als 1100 Publikationen teil.
Im ersten Kapitel der Autobiografie, das der chronologischen Darstellung vorangestellt ist, führt Feist vor, wie er sein Leben zu vermitteln gedenkt. In einer engen Aneinanderreihung von Gedanken, Eindrücken, Informationen über Personen, Lehrangebot und Lebensumstände fächert Feist hier die ersten Tage seines Studiums in Halle an der Saale und seine Hoffnungen und Zielstellungen, die damit verbunden waren, auf. Unmissverständlich wird klar, Gegenstand seiner Biografie ist sein Leben, besser noch: sein Erleben als Kunsthistoriker. Er wählt dafür die Form eines dicht gezeichneten Panoramas, in dem berufliche Tätigkeit, fachliche Entwicklung, Privates und zeitgenössischer Kontext in kurzer Taktung von Informationen und Reflexionen miteinander verwoben werden. Die Darstellung beginnt nach diesem Auftaktkapitel mit einem Rückblick auf den Krieg und die unmittelbare Nachkriegszeit und führt bis in die Nachwendezeit. Die Gewichtung der Zeitabschnitte ist ausgeglichen. Der Eindruck, dass sich Feist bei der Niederschrift auf Notizen etwa in Form eines Tagebuchs stützte, wird dann und wann bestätigt.
Das Panorama, was sich so auf den nur wenig mehr als 200 Seiten entfaltet, erscheint zugleich als eine rasant erzählte Geschichte des Faches Kunstgeschichte in der DDR. Feist hat diese Geschichte nicht nur in ihrer gesamten Länge erlebt, sondern darin auch eine zentrale Stellung eingenommen. Die wesentlichen Parameter dafür werden genannt: Vermittelt durch den Altorientalisten Heinz Mode setzte sich Feist mit Beginn seines Studiums offensiv mit den Perspektiven einer marxistischen Kunstgeschichte auseinander. Seine Entscheidung für den Sozialismus und für die DDR fiel bewusst. Feist lebte die programmatische Idee der Kunstpolitik der DDR, dass die Kunst eine gestaltende gesellschaftliche Kraft besäße und dass die Erforschung der Geschichte der Kunst hierzu mit Anregung und Orientierung beizutragen hätte. Praktisch bedeutete diese Überzeugung - Feist macht daraus kein Hehl - Anerkennung, professionelle Etablierung, Wertschätzung und ein ganz besonderes Gut in der DDR, zumal für Kunsthistoriker: Reisen.
In mitunter minutiösen Beschreibungen fächert Feist sein internationales und nationales Netzwerk auf, das fachliche wie das bis in die höchsten politischen Entscheidungsebenen in der DDR. Durch diese besondere Stellung, die Feist hierin einnahm, erhält die Darstellung ihre historiografische Eigenheit. Die Autobiografie ist eben doch keine Geschichte des Fachs Kunstgeschichte in der DDR. Sie eröffnet vielmehr eine sehr spezifische Perspektive darauf. Diese nur scheinbar banale Einsicht ist als kritisches Korrektiv bei der Lektüre unbedingt wachzuhalten. Denn die knappen Darstellungen eröffnen Einblicke in interne Diskussionen und Konfliktlagen, die so aus anderen Quellen nur schwer zu erlangen sind. Und man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass es Feist zumindest auf einer Ebene darum ging, eben dieses Netz von Daten und Informationen und damit Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte in der DDR auszulegen.
Die Suggestionskraft der Darstellung liegt dabei in ihrer Stilistik. Sie unterscheidet sich etwa von der Autobiografie Friedrich Möbius (Wirklichkeit, Kunst, Leben. Erinnerungen eines Kunsthistorikers, 2001), wo jeder Satz ein Ringen ist und nicht selten mit einem latenten Sarkasmus die eigene Geschichte auf Distanz zu bringen versucht wird. Anders, nicht weniger wortgewaltig reflektierten Wolfgang Hütt (Schattenlicht. Ein Leben im geteilten Deutschland, 1999) und Lothar Lang (Ein Leben für die Kunst. Erinnerungen, 2009) über ihr Sein als Kunsthistoriker in der DDR. Feist stellte sich notwendigerweise in die Reihe dieser Selbstreflektionen seiner ehemaligen Fachkollegen. Er wählt dafür demonstrative Sachlichkeit und berichterstattenden Ton. Sie vermitteln: hier wird nicht Schicksal verhandelt. Feist stellt sein selbstbewusst und zielgerichtet gelebtes Leben in ruhiger Selbstreflexion vor, er stellt es nicht in Frage.
Dass Feist dabei die Lesenden mit einer gewissen Finesse auf den Weg seines methodischen Ansatzes, die 'Kunstverhältnisse', führt, wird man gewahr, zieht man den zweiten Band, den Aufsatzband "Nachlese. Aufsätze zur Kunst und Kunstwissenschaft", hinzu. Bis auf den ersten der insgesamt 13 Artikel sind alle Texte in diesem Band nach der politischen Wende von 1989 entstanden, blieben aber unpubliziert. Im Band erscheinen sie in einer chronologischen Ordnung. Den Abschluss bildet ein Verzeichnis der Schriften Feists sowie einer Kurzbiografie. Die Zusammenstellung des Sammelbandes geht auf Feist selbst zurück und weist zwei thematische Schwerpunkte auf: die Geschichte und Methodik des Faches Kunstgeschichte und die Plastik des 19. und 20. Jahrhunderts. Indem die Texte bis auf wenige Ausnahmen Prozesse zum Gegenstand haben, die Feist selbst erlebt und mitgestaltet hat, eignet den Beiträgen zugleich der Charakter eines Rückblicks. Insofern ist der Aufsatzband eine zwar punktuelle, aber eben gerade deshalb programmatisch zu verstehende inhaltliche Vertiefung der Autobiografie.
Der erste Beitrag zur Fachgeschichte ist einer marxistisch-leninistischen Kritik der Michelangeloforschung am kunstgeschichtlichen Seminar der Berliner Universität im 19. und frühen 20. Jahrhundert gewidmet. Der 1975 publizierte Text ist als eine Revision methodischer Zugänge zu lesen, die damit zugleich der kunstgeschichtlichen Praxis in der DDR zugänglich gemacht werden sollten, und zwar um die "inneren Reserven" (11) auszuschöpfen. Im Kontext des hier zu besprechenden Bandes führt Feist mit diesem Text in die Argumentationsstrategien und Winkelzüge der fachlichen Diskussion in der DDR ein. Den Beiträgen, die nach der Wende entstanden und die nunmehr explizit eben diese Geschichte des Faches zum Thema haben, kommt in diesem Arrangement die Funktion zu, diese 'Einführung' zu kommentieren und zu kontextualisieren, gewissermaßen Deutungshilfe zu geben. Das Grundthema, das hier den Ton angibt, ist das - weniger dichotome als vielmehr dialektische - Gegenüber kunsthistorischer Perspektiven, Diskussionen und Argumentationsräume auf der einen und politischer Interessen und Zielstellungen auf der anderen Seite. Die kunsthistorischen und -politischen Debatten stellen sich hier als offensive Aneignung der Geschichte der Kunst, als permanente Aktualisierung der fachlichen Positionen und die Konflikte mit politischen Erwartungen und ideologischen Forderungen als Prozesse dar, in denen intellektuelle und künstlerische (Deutungs)Spielräumen erlangt und auch wieder eingegrenzt wurden, und zwar in wechsel- und gegenseitiger strategischen Ausnutzung der beiden Seiten.
Was hier auf der Ebene der Fachgeschichte und Kunsthistoriografie zur Diskussion gestellt wird, konkretisiert sich in Bezug auf die Kunst im zweiten Schwerpunkt, der mit der Auswahl der Beiträge gesetzt ist. Darin fokussiert Feist ein Kerninteresse seiner kunstgeschichtlichen und kunstkritischen Arbeit - die Beschäftigung mit der Plastik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. In einer knappen Skizze dröselt er zunächst anhand der Berliner Plastik des 19. Jahrhunderts sein Stilverständnis auf, wobei er Stil als Formproblem und notwendiges Kategorisierungsmittel begreift. Dem ist eine Auffassung von Kunst unterlegt, die der Idee der Entwicklung folgt, wobei Kunst, nach Feist, von dominanten Strömungen vorangetrieben würde. Ein solches Kunstverständnis ist seinem Wesen nach konfliktbehaftet, da es sich gegen alternative Ordnungskonstrukte behaupten muss. Deutlich wird das in Feists Verteidigung einer figurativen Auffassung bildender Kunst. Sie gelte, so der Autor, in ihrer Spielart, wie sie nach 1945 im Ostteil Deutschlands entstand sei, "der spät- und postmodernen Kunst- und Wissenschaftsszene als rückständig und daher belanglos"; wobei zu ergänzen ist: da diese einem anderen Entwicklungsmodel huldigt(e). Das ist es, wogegen er mit seinen Beiträgen zu den Bildhauern Fritz Cremer, Wieland Förster und Theo Balden anschreibt. Feist geht es darum, den Realismus als eine Hauptströmung des 20. Jahrhunderts zu verteidigen und ihm die ihm seiner Meinung nach zukommende Stellung in der Kunstgeschichte zu sichern.
Feist verwehrt sich dabei gegen ein simples Verständnis des (sozialistischen) Realismus. Er diskutiert ihn für die DDR stattdessen als eine permanente transformative Aneignung künstlerischen Erbes im Ergebnis einer komplexen zeitgenössischen Auseinandersetzung zwischen künstlerischen Konzepten und politischen respektive ideologischen Ansprüchen. Die "Kongruenz zwischen individueller Bestrebung" (97) der Künstler und den politisch avisierten gesellschaftlichen Zielen auf der einen und die eigenständigen, von persönlichen Erfahrungen geprägten Realismuskonzepte, die Cremer, Förster oder Balden zu einer hochsubjektiven, entheroisierten Kunst geführt hätten, auf der anderen Seite hätten in der Praxis ein "Wechselspiel von Förderung und Hemmung" (98) nach sich gezogen. Feist geht dabei einen Schritt weiter, als gemeinhin die Forschung zur bildenden Kunst in der DDR gewillt ist zu gehen. Denn bei aller Macht, die die politischen Entscheidungsträger über die Kunst und auch die kunstwissenschaftliche Forschung ausüben konnten und ausübten, sei der Staat - wollte er dem eigenen Anspruch gerecht werden, Kunst als integralen Bestandteil für die Heranbildung einer sozialistischen Gesellschaft zu begreifen und zu gestalten - auf die spezifische Kompetenz, sowohl der Künstler wie auch der Wissenschaftler, angewiesen gewesen.
Das künstlerische Schaffen in der DDR und auch die kunstgeschichtliche Forschung, so ließe sich schlussfolgernd zusammenfassen, kann nur in der Analyse eben dieses komplexen und mitnichten eindimensionalen Gefüges begriffen und beurteilt werden, einschließlich des nicht selten widersprüchlichen Verhältnisses der jeweiligen Künstler zur Idee und Praxis des Sozialismus. Feists genaue und eindringliche Beschreibungen der Werke gemahnen dabei dazu, die Werke selbst als Medium der Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Umwelt zu begreifen. Mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand hieße dies, dass nach der in den letzten Jahren geleisteten, präzisen Aufarbeitung des kunstpolitischen Kontextes, der institutionellen Rahmenbedingungen und der kunsttheoretischen Diskussion in der DDR das Augenmerk nunmehr auf die eigentlichen Objekte zu lenken ist. Das gilt umso mehr für die Plastik, die bisher nur selten in die Aufmerksamkeit der Forschung gelangt ist. Die Fragen und Perspektiven, von denen aus das geschehen kann, werden andere sein, als jene von Feist; die theoretischen und methodischen Anregungen bleiben vorderhand eher gering.
Vielmehr modifiziert sich in der Summe der Beiträge dieses Bandes jene Ambivalenz, die für die Autobiografie konstatiert wurde. Die einzelnen Texte geben einen informierten und informativen Einblick in Auffassungen, Zielstellungen und Konflikte um das plastische Schaffen und die Kunstdiskussion in der DDR. Im Beitrag "Alte Kunst für neue Absichten. Erbaneignung der DDR seit den 1970er Jahren (1993)" etwa fächert Feist in einem nah am eigenen Erleben erzählten Überblick über die kunsttheoretischen Diskussionen um Tradition, Erbe und Nation unter der Hand verschiedene Dimensionen auf, auf die hin die Geschichte des Faches in der DDR zu beziehen wäre; in einer aufmerksamen Lektüre lassen sich hieraus eine ganze Reihe von weiterführenden Fragestellungen gewinnen. So erhellend aber die Nähe zum Gegenstand ist, so sehr muss ihretwegen das quellenkritische Besteck geschärft werden. Die Herausforderung besteht darin, die Hinweise aufzunehmen, Perspektiven zu prüfen und für einen Erkenntnisgewinn sie fruchtbar zu machen, indem Strategien gefunden werden, die sich im Sinne eines Korrektivs gewissermaßen quer zu der historisch bedingten und spezifischen Position Feists legen. Denn nicht zuletzt sind die Beiträge, bei aller intellektuellen Reflexionshöhe, auf der sich Feist bewegt, auch Verteidigung einer Lebensüberzeugung und eines Lebenswerkes.
Bei alledem und hierin liegt die eingangs angedeutete Raffinesse des Zusammenspiels beider Bände, bedient sich Feist einer performativen Strategie. Er stellt zunächst den Prozess der Aneignung von Geschichte als historisches Geschehen und sodann seine Reflexionen über diese Prozesse vor und zur Diskussion. Die Beiträge aus der Nachwendezeit und ihre Publikation teils Jahrzehnte später dürfen als Auseinandersetzung mit einer komplizierten Positionierung in der durch den Westen dominierten Kunstgeschichte nach der Wende verstanden werden. Sie sind insofern Zeugnisse eines bis heute nicht klar formulierten, asymmetrischen Konfliktes. In dem Aufschichten der Zeitebenen, das mit den Jahren in der Autobiografie wie auch im Arrangement der Beiträge im Sammelband fortschreitet, halten schließlich die Lesenden den Ball in der Hand. Und, begreift man das Arrangement der Ebenen einerseits und die Praxis der Reflexion, die der Autor vorführt, als Feistsche Analyse von Kunst- oder in diesem Falle von Kunstgeschichtsverhältnissen, werden die Lesenden nicht nur aufgefordert, sich mit der Lektüre der Bände ein eigenes Urteil über die Fachgeschichte in der DDR und der Nachwendezeit sowie deren fachliche respektive fachpolitische Konsequenzen zu bilden. Vielmehr werden sie auch aufgefordert, sich dabei Rechenschaft über den Ort und die Bedingtheit eben dieses eigenen Urteils abzulegen.
Katja Bernhardt