Dominic Sandbrook: Seasons in the Sun. The Battle for Britain, 1974-1979, London: Allan Lane 2012, XXII + 970 S., 64 s/w-Abb., ISBN 978-1-8461-4032-7, GBP 30,00
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Für die Daily Mail schloss sich ein Kreis. Nach dem Tod Margaret Thatchers im Mai 2013 würdigte sie die Verstorbene ohne Einschränkung: "The woman who saved Britain". Kurz vor der Unterhauswahl 1979 hatte die Mail der konservativen Oppositionsführerin eine positive Prognose ausgestellt: "The woman who can save Britain".
Dass es überhaupt dazu kam und Thatcher nicht - wie selbst von manchen Rivalen in der eigenen Partei erhofft - eine Fußnote in der Geschichte der Tories blieb, ist auf eine Verdichtung von Ereignissen zurückzuführen, die Großbritannien 1979 zu einer folgenschweren Richtungsentscheidung drängten. Dominic Sandbrook erzählt in bester angelsächsischer Manier die Stationen eines politischen Kreuzwegs, an dessen Ende der Labour Party im Unterhaus nur eine Stimme fehlte, um ein Misstrauensvotum zu überstehen und somit Neuwahlen abzuwenden. Der Schmerzensmann und stille Held in Sandbrooks brillantem Narrativ, Premierminister James Callaghan, wirkte freilich wie erlöst, obwohl er sich keinen Illusionen darüber hingab, wie die britischen Wähler das hinter ihnen liegende Jahrfünft bewerten würden.
Bereits das gewählte Vorspiel - die grotesk anmutenden Begleitumstände der Dreharbeiten am Set der Star-Wars-Saga - veranschaulicht Sandbrooks Kompositionstechnik: Einzelne Episoden der britischen Kultur-, Politik- und Sozialgeschichte werden so arrangiert, dass eine lebhafte und facettenreiche Szenerie entsteht, in die der Autor strukturhistorische Leitmotive einflicht. Eines davon ist der Kampf der Regierenden mit den Gewerkschaften, denen Edward Heath 1974 zum Opfer gefallen war, was Harold Wilson - dem modernisierenden Strahlemann der sechziger Jahre - eine zweite Chance eröffnete. Indem der Labour-Schatzkanzler Denis Healey nach dem äußerst knappen Wahlsieg die öffentlichen Ausgaben binnen Jahresfrist um sagenhafte 35 Prozent steigerte, intonierte er ein weiteres Motiv: die Neigung der britischen Politik zu "act[s] of breathtaking irresponsibilty" (52). Ein dritter Fixpunkt sind die personellen Unzulänglichkeiten jener Jahre. Sandbrooks Schilderung der Intrigen am Hofe Wilsons, insbesondere die Machenschaften Marcia Williams', spotten jeder Beschreibung. Dass Wilson, der - je länger, desto mehr - dem Alkohol zusprach und Verschwörungstheorien nachjagte, den Zerfall des Nachkriegskonsenses und den Abstieg der britischen Volkswirtschaft auf so erschreckende Weise personifizierte, lässt ihn beinahe als den richtigen Mann am richtigen Platz erscheinen. Doch wenn man bedenkt, wie Großbritannien zum kranken Mann Europas degenerieren konnte, wie die nordirischen Fehden das Mutterland selbst in Mitleidenschaft zogen und Whitehall das Gesetz des Handelns aufzwangen, wie schließlich die Inflation davongaloppierte und eine verhängnisvolle Spirale der Lohnforderungsexzesse in Gang setzte, versteht man die "morbid fascination" (147) vieler Briten für das faschistische Deutschland der dreißiger Jahre.
Sandbrook diagnostiziert für jene Jahre die Erosion jeglicher Klassensolidarität, die im Schmelztiegel der Wohlstandsgesellschaft verdampft war, weshalb es der Labour Party zusehends schwer fiel, die Gewerkschaften an die Kandare zu nehmen, wiewohl eine Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder selbst deren Macht beschneiden wollte. Ebenfalls in die falsche Richtung taumelte die Bildungspolitik, die im modernisierungswütigen Furor parteiübergreifend den Gymnasien als Pflanzstätten des sozialen Aufstiegs den Garaus bereitete und - eine weitere bittere Ironie der siebziger Jahre - wie ein Konjunkturprogramm für elitäre Privatschulen wirkte. Im Schlepptau Thatchers, die 1975 gegen jede Wahrscheinlichkeit Heath als Führer der Konservativen ablöste, was Sandbrook mit allen Qualitäten eines Shakespeare'schen Königsdramas nachzeichnet, vermochte Keith Joseph als "a kind of Tory Robespierre" (229) die Lehren der Angebotstheorie im öffentlichen Diskurs zu verankern. Die radikale Krise verlangte radikale Antworten.
Allerdings warnt Sandbrook ein ums andere Mal vor einer verkürzten, durch die Ereignisse nach 1979 beeinflussten Lesart der Geschichte: Thatcher habe eingedenk ihrer prekären Position und diversen rhetorischen Spitzen zum Trotz ein "banner of remarkably pale pastels" (677) gehisst, während andererseits der demütigende Gang zum Internationalen Währungsfonds Callaghan und Healey dazu veranlasste, ihren Parteigenossen einen "bucket of cold water in the face" (479) zu schütten: Die Ära des billigen Geldes war vorüber, ob man dies nun Monetarismus nennen wollte oder nicht. Rasch verbesserten sich die Fundamentaldaten der britischen Wirtschaft, und nicht wenige drängten Callaghan zu vorgezogenen Neuwahlen im Herbst 1978. Doch Callaghan zauderte und geriet in den Mahlstrom einer eskalierenden Gewerkschaftsagitation, die im Winter des Missvergnügens nicht nur Sunny Jim das Genick brach, sondern der Labour Party fast zwei Jahrzehnte auf den Oppositionsbänken bescherte. Sandbrook geizt nicht mit ätzender Kritik an selbstsüchtigen Betriebsobleuten, die die eigene Belegschaft und die Gewerkschaftsführer in Geiselhaft nahmen, um in einem thatcheristisch anmutenden Wettbewerb um höhere Löhne andere Arbeitnehmervertreter auszustechen. Lediglich Tony Benn als Maskottchen der äußersten Linken, dessen Psychogramm zu den Glanzstücken in Sandbrooks Darstellung zählt, konnte diesen Vorgängen noch Positives abgewinnen und ihnen als Vorboten einer von ihm herbeigesehnten Belagerungsökonomie jenseits globaler Verflechtungen huldigen. Für die meisten Briten war nun der Rubikon überschritten: Als sich der Müll in den Straßen türmte, Krebsoperationen abgesagt und Tote nicht beerdigt wurden, dekuvrierten sich die Gewerkschaften als "their own worst enemies" (618).
Die Kapitulation des Sanguinikers Callaghan, der seine Karriere der Gewerkschaftsbewegung verdankte, vor deren verantwortungsloseren Elementen fügte sich ins Bild einer scheinbar aus den Fugen geratenen Gesellschaft, die viele Entwicklungen der zurückliegenden Jahre als blanke Zumutung empfand: die sexuelle Enthemmung der Medien, die Immigranten aus dem Commonwealth, die nationalistischen Fliehkräfte in Schottland und Wales, das Wuchern der europäischen Bürokratie - und immer wieder die Stagnation der Wirtschaft, die offenbar den Anschluss an die westlichen Schrittmacher verloren hatte. Es sind vor allem die Aufzeichnungen Bernard Donoughues, die ein Schlaglicht werfen auf die desolate Lage einer Regierung, deren Denkfabriken zwar die Politikansätze Thatchers treffsicher vorwegnahmen, der jedoch am Ende das Durchsetzungsvermögen fehlte, um das als richtig Erkannte mit den Weihen parlamentarischer Mehrheiten zu versehen. Am "dreadful nadir" (758) der britischen Nachkriegsgeschichte statteten die Wähler deshalb erstmals seit 1966 eine Regierung mit einem glasklaren Mandat aus. Eine Zahl macht das Ausmaß des Umschwungs augenscheinlich: Labours Vorsprung gegenüber den Tories bei den Gewerkschaftsmitgliedern schmolz von 42 auf 18 Prozentpunkte. Thatcher war in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Sandbrook gelingt es, das, was gemeinhin als bloßer Aufgalopp zum Thatcherismus wahrgenommen wird, in aller Vielstimmigkeit zum Klingen zu bringen. Für ihn war Großbritannien unter Wilson und Callaghan ein Land, das zwar Symptome zeigte, die an die Spätphase der Weimarer Republik erinnerten, das aber zugleich eine demokratische Alternative gedeihen ließ, die über Parteigrenzen hinweg Anklang fand. Sandbrook präpariert deshalb die Kontinuitätslinien heraus, die den vermeintlichen Bruch 1979 überdauerten. Dass der Thatcherismus zumindest in ökonomischer Hinsicht zur neuen Orthodoxie werden konnte, die in Tony Blair ihren treuesten Lordsiegelbewahrer fand, hatte sich die Labour Party selbst zuzuschreiben, da sie in den achtziger Jahren so weit nach links rückte, dass Thatcher ihrerseits moderat erschien, was sie Sandbrook zufolge vor 1979 im Prinzip auch war.
Gerhard Altmann