Johannes Arndt: Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648-1750 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Bd. 224), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 610 S., ISBN 978-3-525-10108-7, EUR 99,99
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Johannes Arndt / Esther-Beate Körber (Hgg.): Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600-1750), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010
Eine kompetente Schilderung des frühmodernen Mediensystems auf rund 180 Seiten und die Rekonstruktion des Medienechos von fünf reichspolitischen Konflikten in den hundert Jahren nach dem Westfälischen Frieden auf rund 280 Seiten bilden die beiden Hauptteile dieses Bandes des Münsteraner Frühneuzeithistorikers. Damit baut er auf neuere Forschungen zur Funktion und Bedeutung öffentlicher Kommunikation am Reichstag [1] und zwischen den Reichsständen und ihren Höfen auf. [2]
Einleitend liefert die Luhmannsche Systemtheorie den begrifflichen Rahmen für den ersten Teil, der mit einer Einführung zur "Zirkularität des Nachrichtensystems" (53) beginnt und das "Mediensystem" im frühneuzeitlichen Reich als "ein autopoietisches Kommunikationssystem" (35) beschreibt - was aber für die weitere Analyse dann kaum genutzt wird. Das zweite Kapitel zeichnet die Ausdifferenzierung der Medien im Alten Reich vom (geschriebenen) Nachrichtenbrief, über gedruckte Flugschriften, periodische Messrelationen, Zeitungen und Zeitschriften bis zu den Historienschriften und der Reichspublizistik nach.
Reizvolle Biografien zu bekannten Autoren / Druckern / Herausgebern wie Daniel Hartnack, Philipp Balthasar von Schütz oder Daniel Fassmann bereichern das dritte Kapitel zur Medienproduktion. Das vierte präsentiert unter dem Titel "Distribution" eine Zusammenfassung des vorhandenen Wissens für den Buchhandel und das Postwesen, das fünfte für die nach Adel, Bürgertum und "gemeinem Mann" untergliederte "Leserschaft". All dies geschieht durchaus auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes, ohne diesem jedoch Wesentliches hinzuzufügen. Allerdings finden sich auch blinde Flecke, etwa wenn mit der Aussage, "die Meinung der Untertanen war für den Prozess der politischen Entscheidungsfindung unerheblich" (21, 28) die Ergebnisse der Forschungen zu Revolten, zu den Reichsgerichten oder zur Staatsbildungsdebatte ignoriert werden. [3]
Der zweite Hauptteil handelt nach gleichbleibendem Schema die publizistische Dimension der Konflikte um das Reichsvikariat von 1657-1745, den Streit um die Neunte Kurwürde 1692-1714, die Ächtung Kurfürst Max Emanuels von Bayern 1701-1714, den Siegener Konfessionsstreit 1702-1743 und die Suspendierung Herzog Karl Leopolds von Mecklenburg-Schwerin 1708-1755 ab. Dabei werden jeweils einführend der historische Hintergrund bzw. die Dimensionen der Konflikte erläutert und anschließend das Echo der Fallbeispiele in den Deduktionen und Flugschriften, in den Zeitungen und Zeitschriften sowie in den Historienschriften - nicht aber in den Messrelationen - nachgezeichnet. Hilfreiche Data-Listen im Anhang (529-534) erleichtern die Orientierung.
Die detaillierte bibliografische Verzeichnung und die umsichtige Auswertung einer großen Anzahl von Tagesschrifttum (Flugschriften, Deduktionen), Historienschriften und auch Periodika (Zeitungen, Zeitschriften) ist beeindruckend, weil sie sich der in dieser Perspektive weniger prominenten Periode vor 1750 widmet und weil diese Quellengattungen bekanntermaßen schlecht erschlossen sind. Die Analyse der Fallbeispiele, die klar und auf hohem sprachlichem Niveau vorgenommen wird, führt zu Einsichten in die Entwicklung, Funktionsweise und Lösung von Konflikten.
So betont der Autor etwa im Anschluss an Volker Bauer das Interesse der Reichsstände an einer "guten Presse", die auch eine Voraussetzung für das Behaupten des eigenen Ranges im Rahmen der "doppelten Konkurrenz" (242f.) im Reichssystem bildete, bei der sich die einzelnen Stände nicht nur in Konkurrenz zum Kaiser, sondern auch zu den anderen Reichständen befanden. Und dies betraf nicht nur die ambitionierten Kurfürstendynastien im Wettlauf um "den Besitz einer Königskrone" (298) (Kursachsen in Polen 1697, Brandenburg in Preußen 1701, Savoyen in Sardinien 1713, Braunschweig-Lüneburg in England 1714, Hessen-Kassel in Schweden 1730).
Auch eine negative Presse konnte sich verheerend auswirken, wie etwa die Veröffentlichung der aufgefangenen Korrespondenz zwischen Frankreich und dem Kurfürst Max Emanuel von Bayern zeigt, welche die kaiserliche Achterklärung des bayerischen "Reichsfeindes" erleichterte. Die Drucklegung wurde möglich, weil sich die Kaiserlichen und die Engländer mit den Briefen auch gleich den Verschlüsselungscode hatten beschaffen können (349, 353).
Und selbst wenn die Suspendierung des mecklenburgischen Herzogs Karl Leopold (1728) weniger dem "Medienkrieg", der "asymmetrische[n] Kriegführung" (500) der Landstände, als vielmehr der reichsrechtlichen Behandlung des Konflikts durch den Kaiser und die Reichsgerichte zuzuschreiben war - dass der Herzog am Reichstag jeden Kredit bei den Reichsständen verspielt hatte (477), hing möglicherweise eben doch mit der "medienpolitischen Hegemonie der Ritterschaft" (502) zusammen.
Die "abschließenden Betrachtungen" (505-525) versuchen den zweiten Hauptteil verdichtend zusammenzufassen. Damit bieten sie aber - auch weil ein Sachregister fehlt - nur einen schmalen Ersatz für das, was ein leider nicht vorhandener dritter Hauptteil hätte leisten können: etwa eine komparatistische Analyse, die Konstanz und Wandel im Medieneinsatz wie etwa das Aufkommen der Zeitschriften in ihrer Wirkung auf die publizistischen Diskurse und in der Interaktion der Fallbeispiele untersucht; oder eine fallübergreifende Beschreibung der spezifischen Rollen, welche einerseits dem "intergouvernementalen publizistischen Diskurs" (W. Burgdorf) - primär von Regierungsbeamten und staatlich bezahlten Deduktionenschreibern bestritten und stark über den Reichstag vermittelt - und andererseits der primär kommerziell operierenden periodischen Presse bei der "Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit" zukam; die Frage nach der Bedeutung der Konfession nicht nur im Siegener Konfessionsstreit und schließlich die Frage nach dem aktiven Einfluss der Medien auf die Konfliktverläufe - jenseits ihrer Spiegel- und Speicherfunktion.
Statt die Wechselbeziehungen der teilweise zeitgleich stattfindenden Streitfälle und ihre verschiedenen medialen Repräsentationen zu thematisieren, verdeckt die additive Systematik der Darstellung einzelner Ereignisse und einzelner Mediengenres vielmehr die mögliche Dynamik der Entwicklungen und Wechselwirkungen zwischen Reichsinnenpolitik und Mediensystem.
Anmerkungen:
[1] Johannes Burkhardt: Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648-1763, Stuttgart 2006; Susanne Friedrich: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des immerwährenden Reichstags um 1700, Berlin 2007; Barbara Stollberg-Rilinger: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008.
[2] Wolfgang Burgdorf: Der intergouvernementale publizistische Diskurs, in: Johannes Arndt / Esther-Beate Körber (Hgg.): Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit 1600-1750, Göttingen 2010, 75-99; Volker Bauer: Nachrichtenmedien und höfische Gesellschaft, in: Ebd., 173-194.
[3] Peter Blickle: Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800, 3. Aufl., München 2012; Daniel Petry: Konfliktbewältigung als Medienereignis. Reichsstadt und Reichshofrat in der Frühen Neuzeit, Berlin 2011; Wim Blockmans / André Holenstein / Jon Mathieu (eds.): Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1300-1900, Aldershot 2009.
Andreas Würgler