Johannes Arndt / Esther-Beate Körber (Hgg.): Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600-1750) (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Beiheft 75), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, VI + 248 S., ISBN 978-3-525-10093-6, EUR 44,90
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Berndt Hamm / Volker Leppin / Gury Schneider-Ludorff (Hgg.): Media Salutis. Gnaden- und Heilsmedien in der abendländischen Religiosität des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen: Mohr Siebeck 2011
Eva-Maria Schnurr: Religionskonflikt und Öffentlichkeit. Eine Mediengeschichte des Kölner Kriegs (1582 bis 1590), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009
Oswald Bauer: Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin: Akademie Verlag 2011
Oswald Bauer: Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmaehgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Wien: Böhlau 2008
Volker Bauer / Holger Böning (Hgg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen: edition lumière 2011
Anja Amend-Traut / Anette Baumann / Stephan Wendehorst u.a. (Hgg.): Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis, München: Oldenbourg 2012
Johannes Arndt: Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648-1750, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Katrin Keller / Paolo Molino: Die Fuggerzeitungen im Kontext. Zeitungssammlungen im Alten Reich und in Italien, Wien: Böhlau 2015
Johannes Arndt: Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648, Stuttgart: Reclam 2009
Jürgen Frölich / Esther-Beate Körber / Michael Rohrschneider (Hgg.): Preußen und Preußentum vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Beiträge des Kolloquiums aus Anlaß des 65. Geburtstages von Ernst Opgenoorth am 12.2.2001, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2002
Esther-Beate Körber: Habsburgs europäische Herrschaft, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002
Der vorliegende Sammelband bietet zwölf solide Beiträge einer Mainzer Tagung vom Februar 2005 zu einzelnen Druckmedien und ihren Funktionen im "Mediensystem" des "Alten Reiches". Einige bilden primär den Forschungsstand (von 2005) ab, andere vertreten pointierte Thesen.
So definiert Ulrich Rosseaux die Flugblätter oder Einblattdrucke gegen Hans-Joachim Köhler als "thematisch variable, polyfunktionale Medien, die auf Aktualität zielten" (108), Flugschriften dagegen als "nichtperiodische, polyfunktionale, polythematische und auf Aktualität setzende Druckmedien mit mehr als einem Blatt Umfang" (108). Stand bei den meist illustrierten Flugblättern die Beeinflussungs- vor der Informationsabsicht, so rückte bei den kaum illustrierten Flugschriften die Wertung von Nachrichten ins Zentrum. Mit Auflagen von 800 bis 1500 Exemplaren und Preisen von 2 bis 4 Kreuzern können Flugblätter und Flugschriften als erschwingliche Massenmedien gelten, die vor dem Aufkommen der Zeitschriften den wichtigsten Ort der Kommentierung aktueller Ereignisse darstellten (113).
Auch Esther-Beate Körber unterstreicht den diskursiven Charakter der Flugschriften und vermutet hinter den meist anonymen Verfassern akademisch gebildete Auftragsschreiber, während Ute Schneider die Arbeitsteilung zwischen den kapitalkräftigen messfähigen Verlegersortimentern und den lokal orientierten Druckerverlegern, Druckern, Buchhändlern und Buchbindern beim Vertrieb der Druckmedien darlegt.
Wolfgang Burgdorf vertritt die These vom "intergouvernementalen publizistischen Diskurs". Demnach seien die politischen Flugschriften mehrheitlich gerade nicht, wie Habermas gemeint habe, von Aufklärern gegen ihre Obrigkeiten geschrieben worden, sondern vielmehr von Gelehrten, meist Juristen, im Auftrag einer Obrigkeit gegen eine konkurrierende Obrigkeit (78). Die Vielgliedrigkeit des Reiches habe den Absolventen der zahlreichen Universitäten manche Gelegenheit geboten, Streitschriften oder Kriegspredigten gegen Bezahlung herzustellen. Die subtile und handfeste gegenseitige Diffamierung der Staaten mittels publizierter Indiskretionen funktionierte auch auf europäischer Ebene und gefährdete langfristig den Arkanbereich der Herrschaft.
Doch nicht alle Druckwerke tendierten auf politische Öffentlichkeit. Die "höfische Öffentlichkeit", so Volker Bauer, nutzte vielmehr bewusst gediegene und sozial exklusive Druckmedien wie Festberichte, Hofkalender und dergleichen, um die in theatralischen Präsenzmedien inszenierte höfische Herrschaftsrepräsentation zu dokumentieren und anderen Höfen zugänglich zu machen. Diese selbstreferenzielle Publizistik diente dem Nachweis "potentieller Interaktionsfähigkeit" (193) im Netz der deutschen beziehungsweise europäischen Höfe. Die Nachrichtenübermittlung bediente sich dagegen handschriftlicher Medien: Korrespondenzen und geschriebene Zeitungen überwogen bei Hofe noch lange die gedruckten Zeitungen. Dennoch wurde die auf soziale Exklusivität zielende höfische Öffentlichkeit langfristig von den gedruckten Zeitungen unterminiert, deren Prinzipien der Periodizität, des Nachrichtenwertes und der kommerziellen Orientierung auf die stete Ausweitung des (zahlenden) Publikums drängten.
Periodische Zeitungen basierten auf dem genialen System der Raumportionierung der Post, das Wolfgang Behringer als Zusammenfassung seines Standardwerkes [1] erläutert. Die Verstetigung des Nachrichten- und Warenflusses und die Ausbreitung des Systems durch immer mehr Verzweigungen bildeten die Voraussetzung für mehrere Medienrevolutionen, darunter die Zeitung. Dies galt bereits für die geschriebenen Zeitungen, wie Jürgen Wilke den Forschungsstand zusammenfasst: Sie bestanden keineswegs nur aus Handels-, sondern auch Fürsten- und Gelehrtenkorrespondenzen und wurden von "gewerbsmäßigen Zeitungsschreibern" zusammengefügt, die zusammen mit den Korrespondenten eine "Gatekeeper-Funktion" (72) ausübten.
Gerade die Politik der Zeitungsschreiber war es, wie Sonja Schultheiß-Heinz am Beispiel der wichtigen Druckerfamilie Felsecker in Nürnberg zeigt, die gemeinsam mit dem Rat der Stadt gedruckte Zeitungen in Nürnberg lange verhinderte. Erst das kaiserliche Privileg von 1675 ermöglichte den Start. Der Rat übte zwar weiterhin Zensur, aber für die am ökonomischen Erfolg interessierte Zeitung blieb relativ viel "Handlungsspielraum" offen (131). Die breite Produktpalette erlaubte eine Mehrfachverwertung der teuer erworbenen Nachrichten mittels funktionsdifferenzierter Erzeugnisse für die Information (Zeitung), die Agitation (Flugschrift) und das Räsonnement (Zeitschrift), wobei allerdings die Grenzen nicht scharf waren: Zeitungen enthielten oft schon dieselben Wertungen wie die Flugschriften, die dann in der Zeitschrift kommentiert wurden (136).
Die große Bedeutung der Zeitungen in der Frühen Neuzeit unterstreichen zwei weitere Beiträge. Astrid Blome weist nach, dass die Zeitung seit ihren Anfängen im frühen 17. Jahrhundert als "Bildungsmittel" (207) zunächst im gymnasialen und akademischen Bereich, im 18. Jahrhundert auch in den Volksschulen Verwendung fand.
Holger Böning beschreibt fachkundig die Zeitungen als neben dem Kalender beliebtesten Lesestoff des "Gemeinen Mannes" im 17. und 18. Jahrhundert. Trotzdem spricht er nicht von einer allgemeinen Zeitungslektüre. Verlässliche Angaben zu (beglaubigten) Auflagenzahlen der Zeitungen fehlen nämlich vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso wie sozialstatistisch auswertbare Abonnentenlisten. Für die gut untersuchte Zeitungsmetropole Hamburg / Altona schätzt er, dass um 1700 rund 50% der Männer regelmäßig Zeitungen lasen (232f.).
Die historisch-politischen Zeitschriften stellt Johannes Arndt ins Zentrum. An einigen Beispielen verdeutlicht er den bekannten Zusammenhang, wonach die Zeitschrift eine Zeitung plus Räsonnement (frei nach Johannes Weber) sei (176). Die vor allem von sozialen Multiplikatoren (Zeitungsschreiber, Gelehrte, Lehrer, Pfarrer) gelesenen Zeitschriften bildeten ein "Medium der Zusammenhänge" (167).
Die Herausgeber versuchen einleitend die im Band behandelten Gattungen der Druckmedien (Flugblatt, Flugschrift, Buch, Zeitung, Zeitschrift - es fehlen die Messrelationen) mit Hilfe von Luhmanns Systemtheorie zusammenzubringen, indem sie alle dem "Medien-System" zuordnen, das autopoietisch nach eigenen Regeln funktioniere. Dabei gehe es insbesondere um die Konstruktion der "Nachricht" als "berichtenswerte Begebenheit" (6), um den auch ökonomisch lukrativen "Nachrichtenwert" (6) und um die Prozessierung von Information von einem Medium ins andere. Die Systemtheorie liefert dem Band eine interessante Klammer, auch wenn nur zwei der übrigen elf Beiträge Luhmann explizit aufgreifen (Arndt und Bauer). Im Duell der Theoretiker wird Habermas sogar öfter zitiert als Luhmann - allerdings durchwegs ablehnend (Arndt / Körber, Burgdorf, Arndt, Bauer, Körber), wenn auch nicht einhellig: So datiert Esther-Beate Körber die Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit ins frühe 17. (204f.), Johannes Arndt ins frühe 18. Jahrhundert (169).
Vor allem der Beitrag Volker Bauers zeigt, dass die Schnittpunkte des Systems der Druckmedien mit nicht-typographischen Kommunikationsmedien interessante Fragen und Perspektiven eröffnen, die man, dem Buchtitel "Das Mediensystem im Alten Reich" folgend, etwa auch im Bereich der Versammlungsöffentlichkeit an Reichs- und Landtagen oder an Gemeinde- und Protestversammlungen wird thematisieren können.
Anmerkung:
[1] Wolfgang Behringer: Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2003.
Andreas Würgler