Dimitris J. Kastritsis: The Sons of Bayezid. Empire Building and Representation in the Ottoman Civil War of 1402-13 (= The Ottoman Empire and its Heritage. Politics, Society and Economy; Vol. 38), Leiden / Boston: Brill 2007, XXIV + 250 S., ISBN 978-90-04-15836-8, EUR 102,00
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Der Zeitraum zwischen 1402-1413 stellt in der osmanischen Geschichte eine politisch höchst komplexe Periode dar, die bisher nur ansatzweise untersucht wurde. In der Literatur als "Osmanisches Interregnum" (Türk. Fetret Devri) bezeichnet, war dieses Jahrzehnt durch die Nachfolgestreitigkeiten zwischen den vier Söhnen Sultan Bayezids I. geprägt, die bereits unmittelbar nach dessen Niederlage gegen Timur und seinem Tod in der Gefangenschaft 1402 begonnen hatten.
Nachdem Paul Wittek 1938 dem "Interregnum" erstmalig eine eigene Untersuchung gewidmet hat [1], haben sich weitere Wissenschaftler mit diesem Zeitraum und der Frage beschäftigt [2], wie der osmanische Staat nach dieser Niederlage wieder zur dominanten Macht in Anatolien und auf dem Balkan aufsteigen konnte. Einen wichtigen neueren Beitrag zu diesem Thema hat Dimitris Kastritsis mit seiner hier zu besprechenden Studie vorgelegt. Allerdings stellt er gleich zu Beginn die gängige Bezeichnung dieser Periode als "Interregnum" in Frage und argumentiert, dass dieser von Joseph von Hammer-Purgstall im frühen 19. Jahrhundert eingeführte Begriff die Bedeutung der Periode unterbewerte und sie letztlich auf eine "Herrscherlosigkeit" reduziere, die vom Fehlen einer politischen Ordnung und politischer Kultur geprägt war. Ganz im Gegenteil herrschten vier Rivalen auf verschiedenen Territorien mit dem Anspruch, legitimer Nachfolger Bayezids zu sein, wobei sie sowohl innerhalb ihrer Territorien als auch in diplomatischen Beziehungen zu ausländischen Herrschern eine klar konzipierte Politik verfolgten. Daher verwendet Kastritsis für diese Periode ausdrücklich den Begriff "Bürgerkrieg" (civil war).
Die Studie macht auf sich insbesondere mit den herangezogenen Quellen aufmerksam, die Kastritsis in der umfassenden Einleitung (1-40) einer differenzierten Würdigung unterzieht. Die erste Quellenkategorie umfasst die Chroniken, vor allem die Aḥvāl, eine anonyme Darstellung des "civil war", als die wichtigste Quelle. Ein vom Autor direkt genanntes Problem bei der Darstellung besteht darin, dass es sich bei den frühosmanischen Chroniken um anonym verfasste Texte handelt, die in hohem Maße aus älteren Werken kompiliert worden sind, wobei Übernahmen und Eigenleistung des Autors nur schwer zu identifizieren sind. (Zu fragen wäre, ob dies allein ein Problem für die Quellenanalyse ist, wie von Kastritsis dargelegt, oder nicht vielmehr in der Gattung der frühosmanischen Geschichtsschreibung begründet ist). Um die in genannten Chroniken angesichts dessen nur schwer fassbare Geschichte des "civil war" rekonstruieren zu können, stützt sich Kastritsis neben den Geschichtswerken auch auf Urkunden und Verwaltungsakten. Diese Quellenlage wird noch durch Elemente aus der materiellen Kultur ergänzt, indem der Autor auch Münzen und Inschriften herangezogen hat; diese bezeichnet er als "hard sources" (24). Bei den schriftlichen Quellen hat sich der Verfasser nicht nur auf die osmanischen Texte beschränkt, sondern auch das relevante Material in mehreren Sprachen für seine Untersuchung herangezogen. (22). Kastritsis weist indessen darauf hin, dass diese Quellen nur nützlich sein können, wenn die politische Kultur, in der diese Quellen entstanden sind, richtig verstanden werde. Möglich wird ihm seine Darstellung durch den glücklichen Umstand, dass zahlreiche zeitgenössische Berichte aus der Zeit des "civil war" und der unmittelbaren Folgezeit erhalten sind. Manche liegen noch in der ursprünglichen Form vor, wie Abdülvāsiʿ Çelebis Ḫalīlnāme (Abraham-Buch) und Aḥmedis İskendernāme (Alexander-Buch), während andere nur als Bestandteile später verfasster Chroniken überliefert sind (so etwa eine seiner Hauptquellen, die Aḥvāl, als Teil zweier Geschichtswerke). Der Autor ordnet diese anonyme Chronik zwar dem Genre des zum Vortrag bestimmten heroischen Epos (menāḳıbnāme) zu, betont aber, dass die Aḥvāl sich in ihrer sehr detaillierten Beschreibung von der übrigen epischen Literatur über den "civil war" unterscheiden.
Nach einer Schilderung der politischen Lage nach der Niederlage in Ankara (41-63) rekonstruiert der Autor in drei Kapiteln anhand der genannten Quellen, und gestützt auf die Sekundärliteratur, die komplexen Ereignisse des "civil war". Dabei personalisiert er die einzelnen Konfliktpunkte in chronologischer Reihenfolge; zunächst im Ringen um Anatolien zwischen den Brüdern Mūsa und Meḥmed Çelebi (Kapitel 2), danach zwischen Emīr Süleymān und Meḥmed Çelebi (Kapitel 3), dem Kampf um Rumelien zwischen Emīr Süleymān und Mūsā Çelebi (Kapitel 4) und schließlich dem entscheidenden Kampf zwischen Mūsā Çelebi und Meḥmed Çelebi (Kapitel 5). Diese Ausführungen zeigen, dass die ereignisreiche Periode des Nachfolgekampfes unter den Söhnen Bayezids in zeitgenössischen Quellen detailreich präsentiert wird. Im Rahmen dieser Gliederung zeigt Kastritsis einleuchtend, dass diese elfjährige Periode nicht nur aus Feldzügen der Prinzen gegeneinander bestanden hat. Vielmehr macht er überzeugend deutlich, dass die Prinzen eine ganze Reihe von politischen Überlebensstrategien entwickelten, um sich angesichts der neuentstandenen unübersichtlichen Lage nach der Wiederbelebung der anatolischen Fürstentümer (beglikler) durch Timur behaupten zu können: Die geschlossenen Bündnisse umfassen neben denjenigen mit dem byzantischen Kaiser und anderen christlichen Herrschern auf dem Balkan auch solche mit türkischen Fürsten und Stammesgruppen in Anatolien. Des Weiteren war man bestrebt, die Loyalitäten einflussreicher osmanischer Magnaten und lokaler Fürsten im rumelischen Grenzgebiet zu gewinnen. Die Bewohner eines Territoriums, die sich für eine Seite zu entscheiden hatten, erweitern diese Liste. Ausschlaggebend war, so Kastritsis, zuletzt noch ein anderer Faktor: "Only Mehmed Çelebi and his advisers were shrewd and lucky enough to navigate the troubled political waters of the civil war" (196).
Angesichts dessen widmet sich das letzte Kapitel ausführlich der Frage, wie Meḥmed Çelebi sowohl seine Stellung als Erbe der osmanischen Throns als auch die Eliminierung seiner drei Brüder rechtfertigte. Damit unternimmt Kastritsis, neben der Analyse der politischen Legitimation in jener Zeit, das Wagnis, auch das schwierige Thema der Nachfolgerbestimmung mit der Frage des Brudermords zu beleuchten. Er nimmt dazu eine detaillierte Analyse seiner Hauptquelle, der unter Meḥmed Çelebis Herrschaft an dessen Hof verfassten Ahvāl, vor. Dabei begnügt er sich nicht damit, aus diesem Werk die Fakten zusammenzutragen, sondern hinterfragt auch den narrativen Charakter des Textes. Zentrales Problem der Periode sei dabei die Krise der Bestimmung des dynastischen Nachfolgers gewesen, wobei Kastritsis den großen Einfluss der turko-mongolischen Nachfolgeregelung auf die Osmanen hervorhebt. In beiden politischen Kulturen gab es keine klaren Regeln (oder ein "predetermined system", wie Kastritsis es nennt) für die dynastische Erbfolge. Die Herrschaft sollte auf denjenigen Bewerber übergehen, der in den Staatsangelegenheiten und in der Kriegsführung seine Befähigung am überzeugendsten unter Beweis stellen konnte. Auch in der Zeit des "civil war" sei es nicht selbstverständlich gewesen, dass ein Prinz ohne Rechtsfertigung seine Brüder töten lassen konnte. Die Analyse der Ahvāl zeige vielmehr, dass deren Autor narrative Strategien aufgreifen musste, um die Taten Meḥmed Çelebis zu rechtfertigen. Dieser ist in der Ahvāl trotz seines jugendlichen Alters in mehrfacher Hinsicht talentierter als seine Brüder, die im Kontrast zu ihm mit all ihren Schwächen dargestellt werden. Ausführlich geht Kastritsis auf die Beschreibung von Meḥmeds Sieg über Mūsā in der entscheidenden Schlacht von Çamurlu im Jahr 1413 in der Ahvāl, und besonders deren Umgang mit dem Problem des Brudermords, ein. Während İsa aus der Geschichte ausscheidet, indem er "nach dem Schlacht einfach verschwunden" ist, ist es dem Autor der Ahvāl unmöglich zu leugnen, dass Mūsā infolge von Meḥmeds Sieg getötet worden war. Somit wird in die Schilderung der Ereignisse auch eine Narration der Rechtfertigung eingewoben. Mūsās Tod wird als impulsive Handlung eines von Meḥmeds Männern dargestellt, um den Tod Emīr Süleymāns zu rächen, der wiederum auf Mūsās Befehl hin getötet worden war.
Anhand von beispielhaften Passagen aus den Quellen gelingt es Kastritsis zu zeigen, dass Brudermord auch während des "civil war" verabscheut wurde, weshalb der Verfasser der Ahvāl zu solchen narrativen Hilfsmitteln greifen musste. Ihm war bewusst, dass Mūsā unter der Bevölkerung Rumeliens beliebt war. So musste er raffinierte erzählerische Techniken verwenden, um Mūsās Tötung zu legitimieren: Zum ersten musste Süleymān auf Befehl Mūsās getötet werden, statt durch einen Zufall ums Leben zu kommen. Zum zweiten durfte Meḥmed nicht derjenige sein, der Mūsās Hinrichtung befahl. Und schließlich musste Mūsās Tod als Strafe dafür geschildert werden, dass er seinerseits Süleymān rechtswidrig habe töten lassen. Als weiteren Beleg solcher narrativer Strategien untersucht der Autor auch Abdülvāsiʿ Çelebis Ḫalīlnāme, das ein Jahr nach der Schlacht in Çamurlu verfasstes hagiographisches Werk über den Propheten Abraham. Auch dieses Werk bestätigt die narrative Umsetzung legitimistischer Absichten: Meḥmed wird hier mit beinahe übermenschlichen Eigenschaften dargestellt, während Süleymān und Mūsā als von bloßer Machtgier getrieben gezeichnet werden. (Der in englischer Übersetzung im Anhang beigefügte Abschnitt über die Schlacht von Çamurlu aus dem Ḫalīlnāme ermöglicht es dabei, die historische Narration wie auch Kastritsis Interpretation anhand des Quellentextes zu verfolgen).
Kastritsis Vergleich der beiden Quellen zeigt, dass beiden trotz der Unterschiede in Stil und Darstellung eine gemeinsame politische Agenda zugrunde legt: In beiden wird betont, dass eine blutige Auseinandersetzung um die Nachfolge zu vermeiden sei und jeder Sohn Bayezids sein Anteil erhalten sollte. Dies sei jedoch nicht in die Tat umzusetzen gewesen, da sa, Süleymān und Mūsā das ganze Reich für sich allein beansprucht hätten. Unter diesen Umständen habe Meḥmed keine andere Wahl gehabt, als seine rechtmäßige Stellung gegen die Angriffe seiner Brüder zu verteidigen. Auch die Verwendung von Titeln dient der Legitimation: Dass nur Yıldırım Bayezid und Meḥmed als "Sultan" bezeichnet werden, während Mūsā und Süleymān - im Gegensatz zur späteren Verwendung - lediglich "Han" als Titel zugebilligt wird, verweise auf einen eindeutigen politischen Anspruch.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Kastritsis eine in dreifacher Hinsicht beeindruckende Leistung vorgelegt hat: Er rekonstruiert die Ereignisse eines politisch sehr komplexen Jahrzehnts der osmanischen Geschichte und leistet einen überzeugenden Beitrag zur Beantwortung der diese Periode betreffenden grundsätzlichen Fragen. Dies gilt besonders für die Frage der politischen Legitimation und das Problem der dynastischen Nachfolge. Darüber hinaus ist es ihm gelungen, eine große Vielfalt von Quellen für seine Darstellung zu kombinieren und zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenzufügen. Schließlich analysiert er - noch dazu auf sehr präzise Weise - durch die Anwendung narratologischer Methoden die "Wie-Darstellung" dieser Periode in den beiden wichtigsten Quellentexten, die im offiziellen Auftrag angefertigt wurden. Nicht zuletzt wird dabei deutlich, wie ertragreich es sein kann, neben geschichts- auch literaturwissenschaftliche Ansätze bei der Analyse von Quellen zu verfolgen, da in diesen jeder historische Vorgang letztlich eine Narration erhält, die sich von den Fakten unterscheidet. Bedauerlich ist nur, dass der Autor am Ende dieser sehr dichten Studie - und im Verhältnis zur vierzigseitigen, vorzüglichen Einleitung - für sein Fazit gerade einmal eine halbe Seite aufwendet. Gerade angesichts der Komplexität von Thema und Darstellung hätte man sich zum Abschluss noch einmal eine übersichtliche Zusammenfassung der Ereignisse und Ergebnisse gewünscht.
Anmerkungen:
[1] Paul Wittek: The Rise of the Ottoman Empire, London 1938.
[2] Vor allem Halil İnalcık, Cemal Kafadar und Colin Imber.
Gül Şen