Delle Donne Fulvio: Federico II. La condanna della memoria. Metamorfosi di un mito, Roma: Viella 2012, 206 S., ISBN 978-88-8334-761-0, EUR 22,00
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Wenn eine rezeptionsgeschichtliche Studie über Kaiser Friedrich II. als Untertitel die Formulierung "Metamorphosen eines Mythos" trägt, so zeigt dies die Absicht, sich innerhalb der Vielzahl an Publikationen klar und - in diesem Falle - philologisch und motivgeschichtlich abzugrenzen. Delle Donne geht es in der kurzen Abhandlung auch weder um die klischeehaften Friedrichmythen selbst noch um eine vollständige Zusammenschau von Staufersagen. Vielmehr konzentriert er sich auf die gründliche Auswertung einiger besonderer Quellen aus Apulien und deren kulturgeschichtliche Bedeutung.
Hierzu entwickelte Delle Donne in drei für sich stehenden Kapiteln Analysekategorien, die sich gerade für die Forschungen im Bereich der Rezeptionsgeschichte als weiterführend erwiesen haben. Dabei baut er auf dem 1957 von Ramón D'Abadal i de Vinyals eingeführten Terminus der "Mythomotorik" auf, der in den Kulturwissenschaften, insbesondere der Erinnerungsforschung, als zentraler Begriff verwendet wird. Damit wird jene Dynamik beschrieben, wenn aus Erinnerungen an Ereignisse bestimmte Mythen entstehen, die dadurch eine wirkmächtige, gesellschaftsformierende Kraft entwickeln, wie beispielsweise die Golgotha-Erinnerung oder das Massada-Andenken.
Im ersten Kapitel stellt Delle Donne die Mechanismen von Mythogonie (mitogonia) und Mythotrophie (mitotrofia) vor. Bei der Mythogonie verformen sich zunächst altbekannte, vordergründig banale historische Ereignisse wie die Geburt Friedrichs, das Kreuzzugsunternehmen, der Tod etc. von Friedrich zu völlig unabhängigen Erzählungen. Schon im unmittelbaren Umfeld wurden diese Ereignisse bewertet, abgelehnt oder übertrieben dargestellt, man denke nur an die pathosgeladene Überhöhung der Geburt Friedrichs durch Petrus de Ebulo: 'te nascente creamur' ("weil wir durch Deine Geburt gezeugt werden"). Diese Ereignisse sind indes der Ausgangspunkt für die bisweilen ungebremste Weiterentwicklung von Mythen. Delle Donne sieht diesen Vorgang gewissermaßen als die Hypertrophierung der Erinnerung. Denn wenn die Widersprüche im facettenreichen Leben Friedrichs schon von Zeitgenossen nicht in ein stimmiges Bild gebracht werden konnten, so wurden die Erinnerungen an Friedrich von unterschiedlichen Gruppen wie Gibellinen, Päpsten, Apuliern, Reichsfürsten und so weiter durch die eigenen Interessen umgestaltet und dadurch umso unvereinbarer mit einem Gesamtbild des Kaisers.
Der zweite Teil widmet sich einem konkreten Text, dem 'Itinerarium' eines anonymen Apuliers. Die Besonderheit dieses Textes besteht darin, dass es eine Rahmenerzählung über die Rückeroberung Apuliens durch Friedrich II. im Jahre 1229 darstellt, die 16 Versgruppen zu einzelnen eroberten Städten verbindet. Diese "blasoni pololari", also volksnahen Gesänge, die Städtelob mit historischem Wissen verknüpfen, sind freilich als historische Quelle eines "Rückeroberungszuges" kaum zu gebrauchen. Es sind Klischees über Städte, die Friedrich in den Mund gelegt werden, die in ihrer hexametrischen Form Grundlage für Gesänge und weitere Mythen waren, also Zeitliches mit Überzeitlichem verbanden. Dabei fasziniert vor allem auch, wenn Niederlagen gegen Friedrich so umgemünzt werden konnten, dass sie zur Steigerung des Selbstbewusstseins in einer Stadt beitrugen. Dennoch kann Delle Donne der Versuchung nicht widerstehen, das erfundene 'Itinerarium' ("quell'orrendo guazzaguglio di bugie", Zitat von B. Paolillo, 72) auf seinen historisch überprüfbaren Gehalt abzuklopfen (104-116).
Im dritten Teil geht es Delle Donne darum, die Verknüpfung eines für Apulien stehenden Herrschers mit jenem Landstrich, der gerade durch den Friedrichbezug viel Stolz und Selbstbewusstsein entwickelte, in seiner Selbstgefälligkeit als unbegründet abzulehnen - und zurecht bremst er dabei die apulische Freude an Friedrich als "Mythomotor" aus. Beispielsweise war Friedrich nur 22 % der Zeit, die er in Italien verbrachte, auch in Apulien; besonders häufig suchte er es offenbar also nicht auf. Auch geht Delle Donne hart mit den Legenden einer besonderen regionalen Zugewandtheit ins Gericht und widerlegt sie eine um die andere. Selbst das Epiteton "puer apuliae", das sich in der deutschen Formulierung des "Chind von Pülle" wiederfindet, basiere auf einer missverstandenen Chronikstelle (152).
In seiner äußerst anregenden Suche nach der Erinnerung an Friedrich II. stellt Delle Donne heraus, dass fast jeder Schritt Friedrichs Ansatzpunkt eines Mythos werden konnte, aber zu übertriebenem Stolz keinen Anlass geben darf. Die staufische Klischeefassade kann je nach Bedürfnis mit vielem gefüllt werden, doch, wie betont wird, nicht mit allem. Gerade auch, weil sich Friedrich dazu eignet, Emotionen zu erzeugen und zu bündeln, ist ein Ende der Literarisierung und Mystifizierung für unterschiedlichste Gesinnungen nicht in Sicht. Im unschuldigen Gewand des Films und des Computerspiels werden alte Mythen fortgeschrieben und neue entwickelt (was Delle Donne indes nicht weiter ausführt). Das massenmediale Ausschlachten des Friedrichbezugs führt gleichzeitig auch zur Verflachung seiner Erinnerung und damit zum Rückgang eines historischen Verständnisses seiner Persönlichkeit. Die eingangs und im Titel versprochene 'damnatio memoriae', also das angeordnete Vergessen (3), wurde jedoch nicht eingelöst. Auch mit Blick auf neuere Forschungen der Mediävistik zum weiten Feld der 'damnatio memoriae' im Mittelalter, die Delle Donne indes nicht diskutiert, wäre als Titel statt condanna della memoria wohl besser condanna alla memoria gewählt, der impliziert, was Delle Donne sagen will: Friedrich kann nicht sterben, er ist dazu verurteilt, Wiedergänger in der Erinnerung zu sein, "Vivit et non vivit" (63).
Gerald Schwedler