Christian Tilitzki: Die Albertus-Universität Königsberg. Die Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen, Bd. 1: 1871-1918, München: Oldenbourg 2012, X + 813 S., ISBN 978-3-05-004312-8, EUR 148,00
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Die Albertus-Universität Königsberg in Preußen gehörte als vorrangig regionale ostpreußische Universität Ende des 18. Jahrhunderts zu den kleineren unter den Hochschulen in den königlich preußischen Staaten. Im 19. Jahrhundert wandelte sie sich dann von einer dem frühneuzeitlichen Universitätsmodell verhafteten "Hohen Schule" zu einer modernen Forschungsuniversität, blieb aber gleichwohl eine regionale Hochschule von mittlerer Größe und Ausstrahlung und behielt auch gewisse Charakterzüge einer "Familienuniversität" bei. Die fachlichen Schwerpunkte der Albertina verlagerten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts weg von Theologie und Rechtswissenschaften hin zur Medizin und zur Philosophischen Fakultät, die bis 1937 auch die Naturwissenschaften umfasste, wobei letztere eine signifikant geringere Förderung durch die preußische Hochschulpolitik erfuhren. Die Geschichte der Albertina ist bisher vergleichsweise schlecht erforscht; dies gilt insbesondere für die letzte Phase ihrer Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert bis 1945. Für diesen Befund gibt es vor allem drei Gründe: Erstens die nicht ganz einfache Quellenlage, konkret die Zerstreuung der einschlägigen Archivbestände als Folge des Zweiten Weltkriegs; zweitens der Umstand, dass die Albertina 1944/45 definitiv untergegangen ist und es auch keine Nachfolgeinstitution gibt, die derartige wissenschaftliche Forschungen vorantreiben würde; drittens die Tatsache, dass sich die akademische Universitätsgeschichte in der Bundesrepublik, die ohnehin kein besonders großes Fach ist, der Hochschulen des früheren deutschen Ostens bisher nur vergleichsweise spärlich angenommen hat und wenn doch, dann mit bevorzugtem Fokus auf die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass Christian Tilitzki den hier zu rezensierenden Band vorgelegt hat. Es handelt sich um den ersten Teil einer auf zwei Bände angelegten Geschichte der Albertina im Zeitraum 1871 bis 1945, dessen zweiter Teil in Vorbereitung ist. Hervorgegangen ist dieses ambitionierte Publikationsvorhaben aus einem 2000 bis 2003 von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten und von dem 2013 verstorbenen Leipziger Kulturphilosophen Klaus Christian Köhnke betreuten Forschungsprojekt. Tilitzki, von Beruf eigentlich Rechtsanwalt, ist als Universitätshistoriker kein Unbekannter, wurde er doch 1999 an Freien Universität Berlin mit einer von dem Philosophiehistoriker Karlfried Gründer (1928-2011) und dem Historiker Ernst Nolte betreuten Arbeit über die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich promoviert. Diese 2002 beim renommierten Berliner Akademie-Verlag erschienene monumentale zweibändige Studie erregte seinerzeit einiges Aufsehen: Sie wurde einerseits als wichtiges quellenfundiertes Standardwerk von bleibendem Wert gewürdigt, andererseits wurde gegenüber Tilitzki, häufig von den gleichen Rezensenten, der Vorwurf mangelnder Distanz zu seinem Forschungsgegenstand, apologetischer Tendenzen und eines kaum verhüllten Geschichtsrevisionismus erhoben. Seit 2000 hat Tilitzki zudem mehrere Aufsätze zur Geschichte der Albertina vorgelegt.
Dass der vorliegende, über 800 Seiten starke Band 1871 einsetzt, ist offenkundig dem Ereignis der Reichsgründung geschuldet, universitätsgeschichtlich stellt dieses Jahr nämlich keine echte Zäsur für die Albertina dar, eher hätte es sich angeboten, das Jahr 1866 zu wählen, als deren Generalkonzil die Universitätssatzung dahingehend änderte, dass künftig auch Juden und Katholiken in Königsberg Professoren werden konnten, mithin sich die Albertina zumindest im juristischen Sinne seither nicht mehr als exklusiv protestantische Hochschule begriff. Tilitzkis Studie ist vor allem institutionengeschichtlich und prosopographisch angelegt, so enthält sie etwa einen sehr nützlichen, mehr als 150-seitigen "Catalogus Professorum", ein bio-bibliographisches Verzeichnis der Professoren, Dozenten, Lektoren und Bibliothekare der Albertina, der künftig einmal den Nukleus für ein noch vorzulegendes "Königsberger Professorenlexikon" bilden könnte. Auffällig ist, dass Tilitzki seine Universitätsgeschichte vor allem als Geschichte der vier Fakultäten der Albertina (Theologie, Jura, Medizin, Philosophie) bzw. deren Fächer angelegt hat, auf deren Entwicklung - insbesondere der der Philosophischen Fakultät - liegt eindeutig der Schwerpunkt seiner Darstellung. In kleineren Kapiteln werden darüber hinaus behandelt "Ostpreußen im politischen Gezeitenwechsel zwischen Verfassungskonflikt und Sozialistengesetz", "Die politische Atmosphäre vor der Jahrhundertwende" (hier u.a. interessante Einsichten zur politischen "Fraktionierung" der Professoren), die Staats- und Universitätsbibliothek, das Engagement der Professoren in weltanschaulichen, politischen und wissenschaftlichen Vereinen, die Albertina als Familienuniversität, "Kriegsauftakt in Ostpreußen", "Geistige Mobilmachung" und "Wissenschaftlicher Kriegseinsatz" sowie die konkreten Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf den Universitätsbetrieb. Auffällig ist, dass die Ebene der Universitätsleitung, also des (Pro-)Rektorats und des Generalkonzils bzw. Senats sowie des Kuratoriums und der Universitätsverwaltung allgemein nur am Rande behandelt werden. So wird etwa der interessante Umstand, dass seit 1808 an der Albertina gewöhnlich der jeweilige preußische Kronprinz das Ehrenamt des Rektors innehatte, weshalb der Prorektor die damit verbundenen praktischen Aufgaben ausübte, der damit der eigentliche Rektor war, nicht näher untersucht. Keine Berücksichtigung finden auch die Königsberger Studentenschaft und deren umfangreiches Vereins- und Verbindungswesen sowie moderne kulturgeschichtliche Aspekte Königsberger Universitäts- und Studentengeschichte. Möglicherweise ist die von Tilitzki gewählte Schwerpunktsetzung auch eine Folge der Tatsache, dass dieser nahezu ausschließlich mit Archivquellen gearbeitet hat, die in Berlin - insbesondere im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz - aufbewahrt werden. Andererseits knüpft er damit an seine Dissertation an, die sich ja ebenfalls mit der Institutionengeschichte (damals) eines Fachs, nun ist es die ganze Bandbreite der Fächer der Albertina, sowie im weitesten Sinne prosopographischen Fragestellungen beschäftigte. Bedauerlich ist, dass sich Tilitzki nicht die Mühe gemacht hat, die seit Kriegsende im polnischen Staatsarchiv in Allenstein/Olsztyn aufbewahrten Quellenbestände zur Geschichte der Albertina einzusehen. Sein Hinweis, dort befinde sich vor allem Material aus der Zeit vor 1800 (S. 4, FN 4 und S. 11, FN 54) ist definitiv falsch, die Bestände reichen vielmehr bis in die 1930er Jahre.
Treu geblieben ist sich Tilitzki in seinem neuen Werk, was seinen Hang zur Polemik gegenüber von ihm wenig oder nicht geschätzten Fachkollegen anbelangt (vgl. hier etwa seinen einleitenden Forschungsbericht, 3-13) sowie vor allem hinsichtlich seiner akribischen Aktenauswertung und seiner enzyklopädisch-empirischen Arbeitsweise, die sich nicht zuletzt in einem opulenten Anmerkungsapparat zeigt. Insofern verwundert es auch nicht, dass, wie er selbst schreibt (739), aus dem eigentlich einmal geplanten dreißigseitigen Vorspann für eine Studie zur Geschichte der Universität Königsberg zwischen 1918 und 1945 ein dicker Band geworden ist und es würde den Rezensenten gar nicht wundern, wenn es in nächster Zukunft gar noch einen dritten Band geben würde. Zusammenfassend kann man festhalten, dass künftige Forschungen zur Geschichte der Albertina im langen 19. Jahrhundert im speziellen sowie zu einer vergleichend angelegten Universitätsgeschichte im Allgemeinen an diesem Band nicht werden vorbeigehen können. Raum für weitere Forschungen anderer Universitätshistoriker zur Geschichte der Albertina bleibt angesichts der von Tilitzki gewählten Grenzen seines Erkenntnisinteresses gleichwohl dennoch.
Matthias Stickler