Kai Drewes: Jüdischer Adel. Nobilitierungen von Juden im Europa des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/M.: Campus 2013, 467 S., ISBN 978-3-5933-9775-7, EUR 49,00
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Studien zu Adel und Adeligkeit erfreuen sich in jüngster Zeit stetig wachsender Beliebtheit. Obgleich es naheliegt, in diesem Zusammenhang auch auf die im 19. Jahrhundert in einigen europäischen Ländern zahlreich vorgenommenen Nobilitierungen von Jüdinnen und Juden einzugehen, blieb dieser unter religions-, kultur-, rechts- und sozialhistorischen Aspekten bemerkenswerte Gesichtspunkt der Adelsgeschichte bislang weitgehend unberücksichtigt. [1] Umso willkommener ist daher Kai Drewes' 2013 erschienene Dissertation, die jüdische Standeserhebungen im langen 19. Jahrhundert in einem transnational angelegten Vergleich untersucht. Im Mittelpunkt stehen dabei Großbritannien, Preußen und der westliche Teil der Habsburgermonarchie.
Bei einem flüchtigen Blick auf die Studie ist man leicht geneigt, diesen drei Ländern ein prototypisches Rollenmuster im Umgang mit Nobilitierungen von Juden zuzuschreiben: Großbritannien als liberale konstitutionelle Monarchie, die nicht zuletzt aufgrund ihrer überseeischen Kolonien vergleichsweise aufgeschlossen gegenüber einer Auszeichnung von Nichtchristen war; Preußen als gesellschaftlich konservativ agierender Staat, dessen Adelsverständnis exklusiv und dezidiert christlich war; Österreich schließlich als prinzipiell äußerst nobilitierungswilliges Land, das der Konfession der Bewerber nur eine untergeordnete Bedeutung beimaß, zugleich aber mit einer Standeserhöhung keine Veränderung des Rechtsstatus des solchermaßen Ausgezeichneten verband.
Auch wenn dieser erste Eindruck sicherlich nicht unzutreffend ist, wird bei einer näheren Lektüre der von Drewes exemplarisch ausgewählten und vorwiegend anhand von Verwaltungsakten differenziert analysierten Nobilitierungsvorgänge doch deutlich, dass die Verhältnisse in vielen Fällen weitaus komplexer waren. Nicht selten war ein ganzes Bündel gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Faktoren dafür verantwortlich, ob ein Adelsgesuch letztlich erfolgreich war oder nicht. Länderübergreifend lässt sich in jedem Falle festhalten, dass Nobilitierungen meist vom Adelserwerber selbst angestoßen wurden und zudem kaum jemals ein Bewerber in seiner Eigenschaft als jüdischer Untertan ausgezeichnet wurde, auch wenn er selbst respektive die jüdische Gemeinschaft, wie so häufig geschehen, die Standeserhöhung als Unterstützung jüdischer Forderungen nach rechtlicher und sozialer Gleichstellung begreifen mochte.
Der transnationale Anspruch, dem der Autor in allen Teilen seines Buches gerecht wird, erweist sich dabei als überaus hilfreich, ermöglicht er ihm doch, nicht nur einen länderübergreifenden Vergleich einzelstaatlicher Nobilitierungspraktiken anzustellen, sondern zugleich auch die grenzüberschreitende familiäre und unternehmerische Vernetzung der überwiegend großbürgerlichen Adelsanwärter überzeugend abzubilden. Dies wird besonders deutlich im vierten und letzten Kapitel der Arbeit, in dem sich Drewes mit einer noch wenig beachteten Randerscheinung des Adelserwerbs beschäftigt, dem Transfer von im Ausland erlangten Titeln und damit auch dem Versuch, rigide Nobilitierungspraktiken, wie etwa in Preußen, das bis 1918 lediglich drei Personen jüdischen Glaubens adelte, zu umgehen.
Gerade der Fall Preußens, das ganz offensichtlich den Ausgangspunkt von Kai Drewes' Beschäftigung mit dem jüdischen Adel darstellt, wie unter anderem seine intensive und schlüssige Auseinandersetzung mit der Bürgertumsforschung zu jüdischen Wirtschaftseliten (vor allem Dolores Augustine, Werner Mosse) vermuten lässt, verweist jedoch auch auf einen nicht ganz unproblematischen Aspekt der Arbeit: Ungeachtet der konzisen Erörterung der religiösen und ethnischen Konnotationen des Begriffs "jüdisch", die der Autor in der Einleitung vornimmt (24-28), differenziert er im Haupttext der Arbeit nur bedingt zwischen einer konfessionellen Zugehörigkeit zum Judentum und einer jüdischen Abstammung bei anderem Glaubensbekenntnis. Dies korrespondiert mit dem Umstand, dass Drewes den in ritueller und habitueller Hinsicht durchaus in jeweils sehr eigener Weise diversifizierten jüdischen Gemeinschaften Großbritanniens, Preußens und Österreichs so gut wie keine Aufmerksamkeit schenkt.
Gegen diesen Einwand ließe sich freilich vorbringen, dass sowohl die Umwelt als auch die für die Nobilitierung zuständigen Behörden häufig nicht zwischen Juden und Konvertiten unterschieden, allzumal dann nicht, wenn eine jüdische Abkunft von vornherein stigmatisiert werden sollte. Gerade weil Drewes jedoch zeigen kann, dass ein Religionswechsel in einigen Fällen eine Standeserhebung beschleunigte oder, wie in Preußen, überhaupt erst ermöglichte, wäre zumindest ein vertieftes Eingehen auf mögliche habituelle Spezifika jüdisch gebliebener Adelserwerber im Zusammenhang mit ihrer Nobilitierung, etwa bezüglich der Wahl bürgerlicher Vornamen, anregend gewesen. Der kurze, lebensweltlich angelegte Abriss über die Wiener bzw. Pariser Familie Königswarter im Fazit (355-360) ist in dieser Hinsicht nicht ausreichend, und dies nicht nur, weil der Autor keinerlei unveröffentlichte jüdische Quellen berücksichtigt und die Religiosität des Einzelnen mit starr gehandhabten Kategorien wie Wohltätigkeit oder innergemeindlichem Ehrenamt erschließen möchte, die ohne weitere Kontextualisierung nur bedingt aussagekräftig sind.
Störend auf die Lektüre wirken sich auch gelegentlich vorkommende Wiederholungen und allzu breite Schilderungen einzelner Verwaltungsabläufe aus. Sie werden jedoch teilweise wieder wettgemacht durch die elegante Einbeziehung zeitgenössischer belletristischer Quellen, die dem Leser einen guten Eindruck von der Außenwahrnehmung jüdischer Nobilitierungen im 19. Jahrhundert vermitteln. Explizit positiv hervorzuheben ist darüber hinaus die im Rahmen einer nicht spezifisch ostmitteleuropäischen Geschichtsschreibung eher selten anzutreffende fallweise Vergleichsperspektive auf die östliche, ungarische Hälfte der Habsburgermonarchie (so etwa 224-226) sowie allgemein die große Sensibilität des Autors für die methodischen Fallstricke einer ländervergleichenden Untersuchung. [2]
Kai Drewes' Studie zum jüdischen Adel ist daher alles in allem ein lesenswerter und zugleich sehr erhellender Beitrag nicht nur zur jüdischen Sozial- und Kulturgeschichte des langen 19. Jahrhunderts, an den hoffentlich bald weitere Untersuchungen, etwa aus erinnerungsgeschichtlicher Perspektive [3], anknüpfen werden.
Anmerkungen:
[1] Einige ältere, vornehmlich quantitativ ausgerichtete Arbeiten zum jüdischen Adel können aufgrund massiver methodischer und quellenkritischer Mängel nicht mehr genügen.
[2] Dies zeigt sich besonders am preußischen Fallbeispiel, zu dessen Analyse der Autor auch die Nobilitierungsstrategien anderer deutscher Bundesstaaten, insbesondere der Königreiche Württemberg und Bayern, heranzieht.
[3] Drewes selbst verweist im Fazit auf das Potenzial der mehrfach geadelten Familie Rothschild als einem jüdischen Erinnerungsort (370).
Martina Niedhammer