Peter Hoeres: Außenpolitik und Öffentlichkeit. Massenmedien, Meinungsforschung und Arkanpolitik in den deutsch-amerikanischen Beziehungen von Erhard bis Brandt (= Studien zur Internationalen Geschichte; Bd. 32), München: Oldenbourg 2013, 592 S., ISBN 978-3-486-72358-8, EUR 74,80
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Am 9. Juni 2013 gab Edward Snowden dem britischen Guardian ein Video-Interview, in dem er sich als Quelle der in den vorherigen Monaten verbreiteten Geheimdienstinformationen zu erkennen gab. Die Informationen, die er vor allem an die Washington Post und den Guardian weitergab, belegten, dass der britische Geheimdienst Government Communication Headquarters (GCHQ) sowie vor allem die amerikanische National Security Agency (NSA) Abhöraktionen in ungeahnten Ausmaßen durchgeführt hätten. Es kam infolgedessen zu nicht geringen transatlantischen Verstimmungen zwischen Europa und den USA, die bis heute anhalten.
Viel aktueller könnte Hoeres' Buch, welches eine überarbeitete Version seiner 2012 an der Justus-Liebig-Universität Gießen eingereichten Habilitationsschrift darstellt, also kaum sein. Doch es hat sehr viel mehr zu bieten, als nur ein zeithistorisch hochbrisantes und spannendes Thema. Die Einleitung, die Hoeres verfasst hat, sollte jeder, der sich mit der Geschichte der Internationalen Beziehungen auf der Höhe der Forschung beschäftigen möchte, genau studieren. Zunächst stellt er seine Fragestellung dar. Im Kern geht es dem Autor darum, nach der Bedeutung der Öffentlichkeit für die Außenpolitik zu fragen und davon ausgehend "die Struktur des Verhältnisses von Außenpolitik und Öffentlichkeit (und damit auch: Geheimhaltung) anhand von historischen Fallbeispielen" (15) zu analysieren, um das "Wechselspiel von Arkanpolitik und Sichtbarmachung, öffentlicher Meinung und außenpolitischen Akteuren" (ebd.) in den Blick zu nehmen. Ein besonders vielversprechender Clou liegt ferner in der Verbindung der Internationalen Geschichte mit der Mediengeschichte (vgl. auch Frank Bösch / Peter Hoeres (Hgg.): Außenpolitik im Medienzeitalter. Vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Göttingen 2013). Die Einleitung überzeugt nicht zuletzt auch durch klare Definitionen der durchaus schwierigen Leitbegriffe, wie auch durch die Darlegung der methodischen Anschlüsse.
Das zweite Kapitel nimmt dann zunächst die Demoskopie in den Blick und rekonstruiert deren Entwicklung vom Arkanwissen zum Medienangebot, ehe Hoeres in einem weiteren Schritt dann auf Meinungsumfragen zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen und die Medienentwicklung in seinem Untersuchungszeitraum insgesamt eingeht. Es scheint längst überfällig, dass Publizisten wie Axel Springer, Rudolf Augstein und andere, endlich auch als politische Medienakteure von der Forschung ernst genommen werden, so wie Peter Hoeres dies in seiner Arbeit aufs Ganze gesehen auch einlöst. Instruktiv ist aber auch der kurze Abschnitt über die Adenauer-Zeit. Adenauer habe "Öffentlichkeitsarbeit als Herrschaftstechnik betrachtet[], die statt auf Veröffentlichung des Arkanums auf die Kooptation ausgewählter Journalisten in das Arkanum setzte." (84) Adenauer blieb auch über seine Kanzlerschaft hinaus, bis zu seinem Tode ein außenpolitischer Akteur, wie Hoeres im dritten Kapitel, welches sich mit dem "Umstrittenen Atlantizismus" während der Erhard-Jahre beschäftigt, überzeugend darlegen kann.
Die Themen, die in diesem Kapitel auf breiter Quellenbasis dargestellt werden, sind zu vielschichtig, um sie hier angemessen darlegen zu können. Es gelingt dem Verfasser jedenfalls, eine zusätzliche Erklärungsleistung für die außenpolitischen Probleme der Erhard-Jahre zu leisten: so habe sich der Kanzler schon bald nach seinem Antritt "großen Gegenwind in einer sich verändernden Medienlandschaft" (257) ausgesetzt gesehen. Diese habe sich gleichermaßen politisiert und polarisiert; ferner seien vor allem regierungskritische Formate populär geworden. Eine wichtige Rolle übernahm auch die Demoskopie zunächst vor allem bei der Aufstellung Erhards zum Adenauer-Nachfolger. Daneben nahm man in der policy-Gestaltung ganz erheblich Rücksicht auf die öffentliche Meinung des (Wahl-)volkes. Der Kampf zwischen Atlantikern und Gaullisten sei schon zu Beginn der Großen Koalition "in der und durch die Öffentlichkeit vorentschieden" (260), auch wenn gaullistische Themen präsent blieben.
Das vierte Kapitel widmet sich den Transatlantischen Strategiekonflikten zur Zeit der Großen Koalition. Ein kontroverses Thema dieser Jahre war der Nichtverbreitungsvertrag, der gemeinsam mit der Eskalation des Vietnamkrieges bei den Deutschen das Gefühl einer Interessensverlagerung der Amerikaner verstärkt habe. Hoeres hat herausgearbeitet, dass die Öffentlichkeit in Bezug auf die Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages eine Art suspensives Veto wahrnehmen habe können, weil es erst unter der sozialliberalen Regierung zur Unterzeichnung desselben gekommen sei (vgl. 368). Nicht zuletzt deutet sich mit den ersten Irritationen auf amerikanischer Seite über die Ostpolitik der Großen Koalition schon das Konfliktfeld der Folgezeit an, welches im Mittelpunkt des fünften Kapitels steht.
Während der Brandt-Kanzlerschaft sei es zu einer ausgesprochen engen Symbiose zwischen Medien und Politik gekommen, wie Hoeres ungemein facettenreich darzulegen weiß. Zum Teil sei hier sogar auf linksliberaler Seite die journalistische Unabhängigkeit abhanden gekommen, "die Kommunikationen dieser Journalisten [waren] nicht mehr Teil der Umweltbeobachtung des Politiksystems, sondern Kommunikationen des Politiksystems selbst." (509) Gleichermaßen sei es auf konservativer Seite zu einer engeren Zusammenarbeit mit den Oppositionsparteien gekommen. Zudem kann der Verfasser überzeugend belegen, dass in diesem Zeitraum die kritische Wahrnehmung der USA von rechts nach links wanderte, wie auch die demoskopischen Ergebnisse aus den frühen 1970ern belegen. Zugleich seien die amerikanischen Medien Brandt und seiner Politik sehr gewogen gewesen, während man intern in der Nixon-Administration dies weitaus kritischer sah. Hoeres konstatiert aber auch, dass die Neue Ostpolitik zwar eine Annäherung gebracht habe, jedoch noch zu keinem Wandel im Osten geführt habe. Nicht ganz deutlich wird, welche Bedeutung die in diesem Kapitel behandelten Themen im Hinblick auf die Gesamtentwicklung des Verhältnisses von Außenpolitik und Öffentlichkeit gehabt haben.
Die umfangreichen Ergebnisse der Arbeit, die in einer konzisen Schlussbetrachtung zusammengefasst werden, kann ich hier nicht in extenso wiedergeben. Hoeres unterstreicht, dass es wohl generell keinen linearen Prozess zu einer Zunahme von Öffentlichkeit in der modernen Außenpolitik gegeben habe, sondern vielmehr auch untersuchungswürdige Gegenbewegungen. Ferner moniert er, dass das Selbstverständnis der Außenpolitiker einer stärkeren Berücksichtigung für die Analyse der Außenpolitik bedürfe. Insbesondere die Visualisierung der außenpolitischen Positionen und Auseinandersetzungen betreffend besteht noch über die hier zu besprechende Arbeit hinausgehendes Potenzial für weitere Studien. Seinem Fazit, dass die "Fragen nach Visualisierung und Transparenz, öffentlichem Interesse und Arkanpolitik, transnationalen und segmentierten Öffentlichkeiten, gegenseitiger Beobachtung der Politik- und Mediensysteme" (531) sich als fruchtbar erwiesen hätten, ist zuzustimmen. Das Buch stellt einen nicht geringen Fortschritt in der Geschichte der Internationalen Beziehungen dar, somit sind ihm aufmerksame Leser aus der Wissenschaft sowie in der Politik zu wünschen.
Benedikt Brunner