Julien Noblet: En perpétuelle mémoire. Collégiales castrales et saintes-chapelles à vocation funéraire en France (1450-1560), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2009, 320 S., ISBN 978-2-7535-0855-2, EUR 22,00
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Julien Noblet legt mit dieser Publikation die Ergebnisse seiner 2005 an der Université de Paris IV-Sorbonne eingereichten Dissertation vor. Für den gewählten Untersuchungszeitraum zwischen dem Hundertjährigen Krieg und den Hugenottenkriegen lassen sich für das französische Kronland 25 Fallbeispiele von Kollegiatstiften nennen, die als Grablege einem herrschaftlichem Sitz mittel- und unmittelbar angeschlossen waren. Noblets Interesse gilt den historischen und politischen Voraussetzungen der Gründungen sowie ihrer architektonischen Gestaltung, Ausstattung und Memorialfunktion, die er auf breiter Quellenbasis rekonstruiert. Elf Dokumente, darunter Testamente, Totenmessstiftungen sowie Gründungs- und Stiftungsurkunden sind hierbei erstmals ediert. Die wichtigsten Eckdaten jedes Baus werden nochmals monografisch im Anhang zusammengefasst. Aufgrund der vielschichtigen Nutzung als Kanonikerkirche, Sepulkralbau und herrschaftliche Kapelle mit zusätzlichen Pfarrfunktionen stellt sich die Betrachtung der Bauaufgaben als überaus anspruchsvoll dar, zumal sie mit Ausnahme der sogenannten Saintes-Chapelles bisher kaum Beachtung in der kunsthistorischen Forschung gefunden haben. Die Breite der Fragestellung und nicht zuletzt der Umfang des Untersuchungscorpus muss allerdings zwangläufig Abstriche in der kunsthistorischen Analyse nach sich ziehen.
Im ersten Kapitel "Collégiales castrales et Saintes-Chapelles" stellt der Autor die Hierarchie der Fundatorenkreise vor, die als Angehörige des Geblüts-, Schwert- sowie Amtsadels im Umfeld des französischen Königs zu verorten sind. Auch den weiblichen Stiftern ist ein Unterkapitel gewidmet. Den Vertretern der "beata stirps", also der geheiligten Herrscherdynastie, waren Bauten nach dem Vorbild der Pariser Sainte-Chapelle vorbehalten. [1] Bezüge zu der von Ludwig IX. errichteten Palast- und Reliquienkapelle und ihrer Ausstattung werden durch Stiftungen von Statuen zu Ehren des kapetingischen Heiligen, Apostelzyklen sowie dynastischen Glasfensterprogrammen und heraldischen Zeichen deutlich.
Das zweite Kapitel "La fondation d'une collégiale: assurer son salut, soutenir son rang" geht Stiftungsintentionen nach, liefert jedoch eher undifferenzierte und summarische Aussagen zu den bereits im Titel benannten Komplexen der Memoria und Fama. Das weitere Vorgehen lässt Ausführungen zum Gründungsakt und dem Bauverlauf erwarten. Noblet stellt jedoch zwei Unterkapitel zu Reliquien und zu skulpturaler Ausstattung voran. Als Beispiel greift er bedeutende Stücke der Kirche Notre-Dame de Pitié in Biron heraus, deren Hauptaltar eine Pietà mit Stifterdarstellungen schmückte, sowie eine Wandnische mit monumentaler Grablegungsgruppe. Die Zusammenhänge zum Stiftergrab werden dabei nur im Anhang deutlich. Hier zeigt sich eine grundlegende Schwäche der Arbeit, die über Einzelstiftungen hinausreichende Memorialprogramme nicht im Kontext zu analysieren vermag, wie es sich aber für die ab dem frühen 15. Jahrhundert auftretenden Ensembles von Grablegungsgruppen und Stiftergrabmal anbieten würde. [2]
Im folgenden Unterkapitel rekonstruiert Noblet Bauprozesse und ihre Finanzierung, die Größe und Organisation der jeweiligen Kanonikergemeinschaft und ihre Dotierung sowie die Stiftung und Pflege des liturgischen Geräts, des Chorgestühls und der Weihwasserbecken. Ausgehend von der zeitgenössischen Kritik an alteingesessenen Orden, sie würden das Stiftergedenken vernachlässigen, stellt Noblet die vielschichtigen Kontrollsysteme, wie die gezielte Auswahl an Klerikern oder Bestimmungen zur liturgischen Memoria, heraus. Viele Gründer konnten einen Vorteil aus ihrer Nähe zum König ziehen, indem sie päpstliche Privilegien für die Gemeinschaft erwirkten.
Im überaus lesenswerten dritten Kapitel "La collégiale: une architecture parlante" wird zunächst der bauliche Zusammenhang zwischen Schloss und Kanonikerstift betrachtet. Auffallend ist der vorherrschende Typus der Saalkirche mit polygonalem Schluss und flankierenden Oratorien. Eine den liturgischen Chor überragende doppelgeschossige Kapelle in Autun für Nicolas Rolin erinnert an die Disposition der Kartäuserkirche von Champmol, die in vielerlei Hinsicht als vorbildlich für dynastische Grablegen gelten kann. Separierte und architektonisch nobilitierte Zugangssituationen am Innen- und Außenbau vermochten den Einzug des Lehnsherren und seiner Familie in Szene zu setzen. Weibliche Angehörige hatten die Möglichkeit, durch Mauerdurchbrüche, sogenannte Hagioskope, der Messe zu folgen. Eine Trennung zwischen Kanonikerchor und Laien bei Pfarrfunktionen war durch doppelgeschossige Anlagen oder Binnenparzellierung des Raumes mittels Chorgestühl, Lettner und Schranken gewährleistet. Die Hierarchie der Teilräume ist auch architektonisch in der Lichtinszenierung des Chores im Kontrast zum dunklen Langhaus oder in der Abstufung von figurierten Gewölben über den Bereichen des Chores und der Stiftergrablege bis zu einfachen Kreuzrippengewölben im Laienbereich visualisiert worden.
Für den Verzicht auf frühere Bestattungsorte und die Initiierung einer dynastischen Grablege sprach viel, wie Noblet im vierten Kapitel "Des sanctuaires dynastiques" deutlich machen kann. Nahmen die Saintes-Chapelles bis auf die des Herzogs von Berry in Bourges keine Fundatorengräber auf, wurde nun die traditionelle Stelle vor dem Hauptaltar besetzt. Der Autor analysiert die testamentarischen Bestimmungen zu Exequien und Grabmälern, deren Rekonstruktion sich durch den Bildersturm der Religionskriege und Zerstörungen der Französischen Revolution als schwierig erweist. Die Tumbengestaltungen mit Liegefiguren (gisants) erscheinen jedoch konventionell. Eine Ausnahme bildet die Transi-Darstellung Claude Gouffiers in Oiron und das Grabmal für Jean Bourré in der Kollegiatkirche in Jarzé.
In seiner Zusammenfassung stellt Noblet die Vorzüge von Kollegiatkirchen als Grablege eines ländlichen Herrschaftssitzes heraus, die der Aristokratie die Möglichkeit der Bestattung vor dem Hauptaltar und uneingeschränkte Repräsentation ermöglichte. Eine Ehre, die im europäischen Vergleich vornehmlich dem Adel und sehr wenigen Patriziern mit Fundatorenstatus zuteil geworden ist. Städtische Eliten hatten sich hingegen im Normalfall den Vorgaben der Institutionen zu beugen. Stilistische Einflüsse aus Italien sind bei den französischen Grabmälern zwar offenkundig; vergleichbare humanistische Programme kommen jedoch laut Noblet nicht zum Tragen. Wichtiger war die Schau der dynastischen Tradition und Fortschreibung der familiären Memoria.
Wenn auch die Analyse in vielen Punkten an der Oberfläche bleibt, bietet die Untersuchung einen überaus reichen Schatz an neuen Detailerkenntnissen beispielsweise hinsichtlich der Raumorganisation, die Noblet der Erarbeitung zahlreicher Quellen zu verdanken hat. Die Publikation ist daher für weitergehende kunsthistorische Forschungen zur Bauaufgabe der Kollegiatkirche in ihren vielfältigen Funktionen sowie zur Sepulkralkultur im Mittelalter und der Frühen Neuzeit überaus ertragreich und anregend.
Anmerkungen:
[1] Siehe zuletzt auch Christine Hediger (Hg.): La Sainte-Chapelle de Paris. Royaume de France ou Jérusalem céleste? (= Culture et société médiévales; Bd. 10), Turnhout 2007.
[2] Vergleiche hierzu Markus Maisel: Sepulchrum Domini. Studien zur Ikonographie und Funktion großplastischer Grablegungsgruppen am Mittelrhein und im Rheinland (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengemeinde; Bd. 99), Mainz 2002.
Yvonne Northemann