Daniel Menning (Hg.): Kampf gegen den Untergang. Die Tagebücher des reichsritterschaftlichen Gesandten Reinhard von Berstett (1802-1806), Baden-Baden: NOMOS 2013, 278 S., ISBN 978-3-8487-0159-9, EUR 49,00
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Lehramts-, Bachelor- und Master-Absolventen haben heute mit dem Abschluss ihres Studiums oft weniger Geschichtswissen erworben als Geschichte-Leistungskurs-Abiturienten vor fünfzehn Jahren. Das muss aber nicht so sein. Ein Beleg dafür ist die von Daniel Menning, Akademischer Rat für Geschichte an der Universität Tübingen, herausgegebene Edition der Diensttagebücher Philipp Jakob Reinhard von Berstetts. Sie entstand im Rahmen einer Lehrveranstaltung. Offensichtlich haben die namentlich im Vorwort aufgeführten Teilnehmerinnen und Teilnehmer viel gelernt. Dazu gehört auch, die deutsche Kurrentschrift zu transkribieren.
Bei der von den Studierenden erstellten Edition handelt sich um drei Diarien eines reichsritterschaftlichen Gesandten, der u. a. 1802/03 in Regensburg die Beratungen zum Reichsdeputationshauptschluss beobachtete. Leider hat sich von seiner Teilnahme am Rastatter Kongress (1797-1799) keine vergleichbare Aufzeichnung erhalten. Inhaltlich ging es in den Verhandlungen in Rastatt und Regensburg um dasselbe. Die Hauptexponenten hatten sich jedoch sehr gewandelt. "Die hiesige französ(ische) Legation ist völlig in ihrem äusern das Gegentheil der Rastatter, alle sind gut und mit elegance gekleidet, haben schöne Wagen und Pferden, Laforet hat livrée braun und gelb mit Silber, Mathieu Blau und Roth mit Silber, man erkennt sie nun bloß an der Corcarde" (39). Erstaunlich ist das negative Urteil des französischen Vertreters bei der Reichsdeputation Mathieu über Napoleon (112, 147).
1805/06 versuchte Berstett in München verzweifelt, für die endgültige Mediatisierung erträgliche Unterwerfungsbedingungen auszuhandeln. 1806 musste er dann selbst, nunmehr bereits in badischen Diensten, den Ritterkanton Ortenau abwickeln, dessen präsidierender Direktorialrat er zuvor war. Seine Aufzeichnungen liefern eine extrem dichte Beschreibung aus der Perspektive der historischen Verlierer.
Wie viele Mitglieder der Ortenauischen Reichsritter waren auch die Berstett im Elsass begütert. Straßburg war ein fester Bezugspunkt dieser Familien, Militärdienste für den französischen König üblich. Die Söhne Berstetts kämpften während der Revolution in der Emigrantenarmee. Seine Tagebücher lesen sich teilweise wie eine Vorlage zu Goethes "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter" oder "Hermann und Dorothea".
Eindrucksvoll widerlegt die Edition die oft in der Forschungsliteratur zu lesende Behauptung, die Mediatisierung der geistlichen Territorien, der kleinen Reichsfürsten, -grafen und -ritter sei ohne Gegenwehr und Protest vollzogen worden. Ganz im Gegenteil wurde leidenschaftlich protestiert (32, 35, 67).
Ebenso eindrucksvoll zeigen die nun vorliegenden Quellen wie begrenzt die Handlungsmöglichkeiten eines ritterschaftlichen Lobbyisten waren. Zunächst versuchten die vormals im Elsass begüterten Ritter, sich von der Liste der Emigranten streichen zu lassen und als Glieder des Deutschen Reiches anerkannt zu werden. Sie hofften so, ihre Besitzungen in Frankreich als ausländischen Privatbesitz zu retten. Tagelang lief Berstett durch Regensburg und später durch München ohne mit einem bedeutenden Teilnehmer der Verhandlungen sprechen zu können. Die Gesandten und Minister waren in Besprechungen oder ließen sich verleugnen. Nachgeordnete Chargen nahmen sich seiner an. Auf Gesellschaften musste er immer wieder die Damen unterhalten, während sich die wichtigen Herren besprachen. Denn die Regensburger Gesellschaften bei dem französischen Gesandten Laforet waren "eine immer währende Konferenz" (140).
Immer wieder verlangte man Listen mit den Besitzungen und Einkünften der Reichsritter. So wurden sie selbst an der Aushebung ihres Grabes beteiligt. Enorme Summen flossen in unterschiedliche Taschen, zuweilen in die von Betrügern (38). Kurz vor ihrem Untergang wurden die Reichsritter ausgepresst wie eine Zitrone, um wenig später doch unter die neuen Souveräne verteilt zu werden. Das größte Problem war ihre Uneinigkeit. Einzelne Individuen und Kantone versuchten, sich auf Kosten anderer zu retten. Eine gemeinsame Verteidigung mit den kleinen Fürsten und Grafen scheiterte am Standesdünkel. Die "Cavaliere" hofften bis zuletzt auf die Protektion Napoleons. Letztlich erkannten sie, dass der Kaiser der Franzosen sich schon aus Gründen der Zeitökonomie nicht mit so minderwichtigen Fragen wie ihrer Existenz oder Nichtexistenz beschäftigen konnte. Oft berichtet Berstett mehr von Gerüchten als von Nachrichten. Die Absendung und Ankunft der Kuriere der Mächtigen wird dabei mit Hoffnungen und Befürchtungen aufgeladen, mit Spannung erwartet, argwöhnisch beobachtet und führt nicht selten zu tagelangen Spekulationen, ohne dass er etwas genaueres erfahren hätte. Mächtige und Mindermächtige hatten gleichermaßen Angst, dass ihre Depeschen von Unbefugten gelesen würden (z. B. 241). Immer wieder orakelt er, was wohl der Gesichtsausdruck der Gesandten bedeuten möge. Wiederholt werden Personen als "reichsritterschaftliche Patrioten" empfohlen. "Patriotismus" musste sich 1806 nicht unbedingt auf ein Territorium, sondern konnte sich auch auf eine Kooperation beziehen (56, 189).
Mit dem Frieden von Preßburg (26.12.1805) war das Schicksal der Reichsritter besiegelt. Aus dem Kampf gegen den Untergang wurde ein Ringen um die Gestaltung der Katastrophe. Das subalterne Personal, die Kanzlisten der Ritterkantone, bemühte sich noch vor dem offiziellen Ende der Reichsritterschaft um Anstellungen bei den künftigen Herren (232). Manche Besitzungen wurden gleichzeitig von badischen, württembergischen und bayerischen Besitzergreifungskommissaren reklamiert. Auch kleine Fürsten, die wenige Monate später selbst mediatisiert wurden, wie Leiningen, versuchten sich Territorien der Reichsritter einzuverleiben. Zwar sprachen die Reichsgerichte noch Recht, aber es herrschte Anarchie in Süddeutschland. Essen und Gesellschaften wie Laforet oder die Gesandten der großen Fürsten konnte Berstett nie geben. Seine verzweifelten Bemühungen enden mit dem Versiegen bzw. der Beschlagnahme der ritterschaftlichen Kassen.
Schon vor Ende des Reiches betrachtete man Napoleon als den künftigen deutschen Verfassungsgeber (250). Es wird deutlich, wie frühneuzeitliche geo-kulturelle familiäre Bezugsrahmen sich auflösten und nationale Grenzen zunehmend absolut wurden.
Nur Kleinigkeiten sind zu wünschen und anzumerken. Hilfreich wäre ein Schema über die Verfassung der Reichsritterschaft gewesen sowie ein Glossar, welches erläutert, was ein Ritterhauptmann, ein Ritterrat usw. war. Die Abtretung linksrheinischer Gebiete wurde nicht erst im Frieden von Campo Formio 1797, sondern schon in Basel 1795 zugestanden (28). Nicht nur der Reichserzkanzler, auch der Deutsche Orden überlebte als geistlicher Reichsstand den Reichsdeputationshauptschluss (9). Die für die Ortenauischen Reichsritter so wichtige Subdelegationskommission für das transrhenanische Sustentationswesen wird nicht erwähnt. Häufig wird zu in den Tagebüchern erwähnten Personen in Fußnoten mitgeteilt, es sei nichts Genaueres zu ermitteln gewesen. Hier hätte das Deutsche Biographische Archiv in manchen Fällen weiterhelfen können. Der Verdienst der Edition überwiegt jedoch.
Wer immer sich mit der Endphase des älteren deutschen Reiches oder auch allgemeiner mit Transformationsländern in anderen Epochen beschäftigt, sollte zu dieser Edition greifen, nicht nur Bachelor- und Master-Studenten.
Wolfgang Burgdorf