Berno Bahro: Der SS-Sport. Organisation - Funktion - Bedeutung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, 330 S., 1 Abb., ISBN 978-3-506-77288-6, EUR 44,90
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Die Schutzstaffel (SS) der NSDAP inszenierte sich unter ihrem "Reichsführer" Heinrich Himmler als vermeintliche rassische Elite der "Volksgemeinschaft" und versuchte, diesen Anspruch auch mithilfe des Sports unter Beweis zu stellen. Historie und Bedeutung des SS-Sports sind bisher jedoch von der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung nur am Rande untersucht worden. Berno Bahro hat diese Lücke mit einer umfangreichen Gesamtdarstellung des SS-Sports von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges geschlossen. Seine Studie beschäftigt sich mit der Organisationsgeschichte des SS-Sports, seinen Normen, Zielen und Funktionen sowie den handelnden Akteuren. Dabei überzeugt das Werk mit seiner klar strukturierten Gliederung: Bahro bearbeitet verschiedene thematische Schwerpunkte und folgt dabei einer groben Chronologie, die sich unterteilen lässt in eine Vorgeschichte bis 1934, die Entwicklung von 1934 bis 1939 und die Kriegsjahre 1939 bis 1945. Jedes der sechs Kapitel fasst in einer Zwischenbetrachtung die Ergebnisse kompakt zusammen, und am Ende werden die zentralen Aussagen der Studie rekapituliert.
Als Einstieg in die Thematik bietet Bahro eine stringente Nacherzählung der Entwicklungsgeschichte der SS von ihren Anfängen 1923 bis zur Erhebung zur eigenständigen Gliederung infolge der Ausschaltung der SA 1934. Hierbei webt er den Sport im Allgemeinen und in den NS-Gliederungen im Besonderen in die Erzählung ein (Kapitel 1). Bis 1929 orientierte sich der SS-Sport stark am Vorbild der SA. Unter Himmler sollte dann sportliche Leistungsfähigkeit dem selbsterklärten Anspruch rassischer Überlegenheit Ausdruck verleihen. Bis 1934 waren jedoch in der SS weder eine konzeptionelle Sportauffassung, noch eine einheitliche Sportpraxis vorhanden. Vielmehr dominierte eine diffuse Mischung aus Beschäftigungstherapie und pseudosportlicher Zweikampfausbildung (72f.) angelehnt an den allgemeinen "Sportwahn" der Weimarer Zeit, wie ihn Sebastian Haffner in seiner "Geschichte eines Deutschen" beschrieben hat. Erst ab Ende 1934 entwickelte sich ein SS-Sportkonzept, infolgedessen auch der SS-Dienstsport ausgebaut wurde (Kapitel 2). Sportabzeichen gewannen eine hohe Bedeutung: Himmler forderte von den SS-Mitgliedern im Allgemeinen und den SS-Führern im Besonderen, das Reichssportabzeichen und möglichst auch das SA-Sportabzeichen abzulegen und regelmäßig zu erneuern (81). Zudem wurde ein SS-Sportabzeichen geplant, das illusorische Anforderungen stellte und letztlich nicht zur Umsetzung gelangte (110). Bahro zufolge gestaltete sich der SS-Dienstsport weder in seiner politischen Zielsetzung noch in seiner Ausführung anders als bei anderen NS-Gliederungen - letztlich sorgten die SS-Mitglieder selbst durch ihren elitären Anspruch für eine gefühlte Besonderheit (126). Für diese schlüssige These liefert Bahro nach Ansicht des Rezensenten jedoch leider keine ausreichenden Belege.
Im Leistungssport galt ebenfalls ein hoher Anspruch an SS-Mitglieder, zunächst freilich ohne zählbare Ergebnisse. Doch das bescheidene Abschneiden von SS-Sportlern bei den Olympischen Spielen von 1936 bewirkte einen Paradigmenwechsel hin zu einer stärkeren Förderung auch des Leistungssports (Kapitel 3). Dabei profitierte die SS von einer massiven Anwerbung von erfolgreichen Sportlern aus anderen Organisationen, sie lockte diese mit beruflichen Perspektiven als hauptamtliche SS-Mitarbeiter sowie guten Trainingsbedingungen. In zwei Fallstudien veranschaulicht Bahro anhand des Fechtsports (Kapitel 4) und des Reitsports (Kapitel 5), wie sehr die Ausgestaltung des SS-Sports von den handelnden Akteuren abhing: Reinhard Heydrich als passionierter Fechter und Hermann Fegelein als ambitionierter Reiter sorgten mit großem Ehrgeiz und erheblichen Gestaltungsfreiräumen dafür, dass ihre Sportarten innerhalb der SS eine herausragende Bedeutung erlangten. Tatsächlich gelang es der SS in den späten 1930er Jahren, zunehmend sportliche Erfolge zu sammeln. Bahro zufolge erreichte sie damit jedoch nicht uneingeschränkt die erhoffte Akzeptanz und Anerkennung. Vielmehr sah sich die SS mit Widerstand und Missfallen seitens der Konkurrenz und des Publikums konfrontiert, nicht zuletzt wohl aufgrund ihrer Abwerbung von Sportlern sowie den ungleichen Arbeits- und Trainingsbedingungen. Diese These stützt Bahro jedoch nur anhand eines Beispiels - eines Ruderwettbewerbs auf dem Wannsee (186).
Im Krieg mühte sich die SS, den Dienstsport für ihre nicht im Kriegseinsatz befindlichen Mitglieder zumindest rudimentär aufrechtzuerhalten (Kapitel 6). Organisatorische und konzeptionelle Fragen wurden weitergeführt, etwa die Ambitionen Heydrichs auf nationale und internationale Funktionärsposten oder die Initiierung der Vorkriegsidee eines SS-Leistungsabzeichens. Im Krieg diente der Sport letztlich aber vor allem der Rekrutierung potenzieller Soldaten, der physischen und psychischen Wehrhaftmachung, der Mobilisierung von Kriegsversehrten in ihren Heimateinheiten und der Auslese im Heimatkriegsgebiet (284). Insbesondere die SS-Reiterei machte weniger durch sportliche Erfolge, als durch ihre Beteiligung an Massenerschießungen von sich reden. Ab 1943 erfolgte eine völlige Umstellung des SS-Dienstsportes nach Kriterien der praktischen Anwendbarkeit.
Bahro zufolge fungierte der SS-Sport als doppelte Auslese: zum einen als interne Auslese, wodurch Vorbilder geschaffen, der Sportgedanke verbreitet, der Korpsgeist gefestigt sowie Imagepflege betrieben und Legitimation nach außen als "Tat-" und "Leistungselite" gestiftet werden sollte; zum anderen war der SS-Sport Teil der Auslese innerhalb der "NS-Wettkampfgesellschaft", ein Mosaikstein des polykratischen Herrschaftsgefüges, in dem NS-Gliederungen ständig um Vormachtstellungen und Kompetenzen stritten und Hitler seine Macht auf eben diese Interessenkonflikte stützte und sich das letzte Entscheidungsrecht (zumeist für das radikalste Angebot) vorbehielt.
Bahro ist eine wichtige Studie gelungen. Leider erschwert der Schreibstil dem Leser passagenweise das Verständnis von Hauptfragen und Kernthesen. Mit diesem Problem steht Bahro jedoch nicht alleine dar: Forscher scheinen hierzulande eine allgemeinverständliche Wissensvermittlung bewusst oder unbewusst zu meiden, getreu dem Motto "Was schwer verständlich ist, muss wissenschaftlich gewichtig sein". Bahros Werk profitiert jedoch erheblich von der eingangs beschriebenen, schlüssigen Gliederung. Der Schöningh-Verlag hat das Werk, abgesehen von einigen wenigen fehlerhaften Fußnoten in der Einleitung, gut lektoriert und gewohnt hochwertig verlegt. Letztlich ergänzt Bahros Studie die SS-Forschung der letzten Jahre um einen zentralen Aspekt und kann Bastian Heins bahnbrechender Arbeit über die Allgemeine SS als wichtige Ergänzung zur Seite gestellt werden.
Moritz Pfeiffer