Rezension über:

Robert Rollinger / Michael Gehler (Hgg.): Imperien und Reiche in der Weltgeschichte. Epochenübergreifende und globalhistorische Vergleiche, Wiesbaden: Harrassowitz 2014, 2 Bde., XVIII + 1762 S., ISBN 978-3-447-06567-2, EUR 198,00
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Rezension von:
Hartmut Leppin
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Hartmut Leppin: Rezension von: Robert Rollinger / Michael Gehler (Hgg.): Imperien und Reiche in der Weltgeschichte. Epochenübergreifende und globalhistorische Vergleiche, Wiesbaden: Harrassowitz 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/24977.html


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Robert Rollinger / Michael Gehler (Hgg.): Imperien und Reiche in der Weltgeschichte

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Imperienforschung ist zu einem zentralen Gegenstand einer vergleichenden Geschichtswissenschaft geworden. Das Thema ist von unerkennbarer Aktualität und verheißt zugleich geschichtliche Tiefe wie auch interkulturelle Breite. Zahlreiche Monographien und Sammelbände haben sich daher damit befasst, doch ist, wenn ich recht sehe, keiner so umfassend angelegt wie der vorliegende. Dafür stehen schon die beiden Herausgeber ein, ein Zeithistoriker und ein Altorientalist, beide geprägt von der universalhistorischen Tradition, die in Innsbruck, der Universität, an der sie beide sozialisiert worden sind, bereits frühzeitig gepflegt wurde.

Das facettenreiche Vorwort der Herausgeber (Imperien und Reiche in der Weltgeschichte - Epochenübergreifende und globalhistorische Vergleiche (1-32)) verbindet forschungsgeschichtliche und systematische Reflexionen. An der bisherigen Forschung vermissen die Herausgeber die erforderliche historische Tiefe, vor allem aber verweisen sie zu Recht auf die Gefahr, dass die Fixierung auf die "klassischen" Imperien Rom und China zu einem Zirkelschluss verführen könne, dass nämlich Imperium sei, was diesen Formationen ähnele. Daher streben sie eine ungewöhnliche Breite der Behandlung von Imperien und imperienähnlichen historischen Gebilden an. Eine besondere Aufmerksamkeit soll den Integrations- und Legitimationsideologien gelten sowie den Perzeptionen der Imperien in ihrer Zeit und auch später. Vieles andere lassen die Herausgeber offen: Auf eine scharfe Definition des Imperiumsbegriffs verzichten sie. Das mag man in systematische Hinsicht bedauern, hat aber den Vorteil, dass die Mannigfaltigkeit es Historischen so besser erfassbar wird und sich unterschiedliche Ansätze leichter zusammenführen lassen.

Hochinteressant sind Beobachtungen zum Imperiumsbegriff, die die Verfasser vor dem Hintergrund der Beiträge des Bandes zusammentragen (22-26), wenn sie etwa die Zulassung von Vielfalt, ja Toleranz als Voraussetzung der Stabilität eines Imperiums identifizieren oder die Bedeutung des Konzepts der augusteischen Schwelle in Frage stellen. Der konzeptionell interessierte Nutzer sollte indes beachten, dass im zweiten Band eine Reihe weiterer eher theoretisch orientierter Aufsätze zu finden ist, die den Nutzen bestimmte Ansätze, etwa des Idealtypus bei Max Weber oder der Systemtheorie Niklas Luhmanns erörtern, die in der Einleitung lediglich angerissen werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass Michael Gehler (Die Europäische Union - ein postmodernes Imperium? (1255-1308)) im ersten Teil seines Beitrags zur EU viele Überlegungen von allgemeiner Bedeutung beisteuert.

Die offene Positionierung im Vorwort erlaubt es den Herausgebern, eine große Vielfalt zuzulassen und doch eine gemeinsame Vergleichsebene einzuziehen, genau genommen dann doch mindestens zwei: Denn diejenigen Artikel, die sich tatsächlich mit dem Imperiumsbegriff auseinandersetzen (und das ist erfreulicherweise die große Mehrheit), beziehen sich teils auf die Konturierungen der Herausgeber, überwiegend aber auf Herfried Münklers Konzept [1], sehr oft - etwa im Beitrag von Johannes Gießauf zum Thema Size does matter - das mongolische Imperium (589-619) - in lehrreicher Form kritisch; gelegentlich wird auch auf Jürgen Osthammel [2] oder Hans-Heinrich Nolte [3] Bezug genommen.

Die Ausrichtung auf eine gemeinsame Problemstellung beginnt ganz äußerlich damit, dass sehr viele Artikel im Untertitel entweder "ein Imperium" mit Fragezeichen setzen oder als Feststellung - in einem Fall (Evangelos Chrysos, Das Byzantinische Reich (621-634)) erklärt der Untertitel sogar, dass es sich um ein Imperium par excellence handelte. In der Regel beziehen sich die Artikel zumindest am Ende auf die Frage nach dem Imperiumscharakter der jeweiligen historischen Formation, wenngleich, wie nicht anders zu erwarten, in unterschiedlicher Intensität. Doch auch in kürzerer Form sind diese Reflexionen hilfreich und können Vergleiche erleichtern. In nicht wenigen Fällen ist das Ergebnis, dass man die erörterte historische Formation nicht als Imperium bezeichnen könne. Auch das ist weiterführend.

Die einzelnen Artikel bieten in der Regel gehaltvolle Einführungen zur Geschichte und Struktur der Reiche, von den Herausgebern als Realgeschichte bezeichnet. Danach gehen die meisten auf die Rezeptionsgeschichte bzw. Aspekte davon ein. Dies geschieht freilich in sehr unterschiedlicher Belegdichte, was sich äußerlich darin niederschlägt, dass die Artikel teils Anmerkungen haben, die Informationen bis hin zu unübersetzten lateinischen Quellenzitaten bieten, teils gar keine Belege. Teils sind die Beiträge narrativ angelegt, teils thesenhaft zugespitzt.

Sie alle zu würdigen, ist hier nicht er Raum. Exemplarisch sei hier, auch in diesen Fällen sei ein hohes Maß an Subjektivität gestattet, auf Angelika Lohwassers Artikel über das Reich von Kusch (273-297) und Felix Hinz' Beitrag Der aztekische Dreibund - ein Tributimperium (777-815) verwiesen, die ihre Themen glänzend und nah an den Vorgaben der Herausgeber erschließen. Weitere Höhepunkte bilden der Beitrag von Hans-Heinrich Nolte über Das russländische Imperium 1721 - 1917 (1083-1100), dem man anmerkt, dass der Autor schon seit langem hochreflektiert Weltgeschichte betrieben hat, die sich auf Forschung in einem Spezialgebiet stützt, oder die eindringlichen begriffsgeschichtlichen Überlegungen zu Beginn von Harald Kleinschmidts Artikel über Ein Imperium der Defensive. Japanische Großmachtpolitik 1872-1945 (1309-1380).

Manches hätte man sich ausführlicher gewünscht. Dass es zudem regelrechte Lücken gibt, räumen die Herausgeber selbst freimütig ein (21; 26) und lässt sich bei einem Werk dieses Formats nicht vermeiden, auch wenn manches wie ein Artikel zum Abbasiden-Kalifat gerade wegen seiner Wirkungsgeschichte und der vielfältigen Bezüge darauf in anderen Artikeln doch schmerzlich vermisst wird.

Beeindruckend ist es, welche Menge an Regionen und Epochen Berücksichtigung fand. Die Gliederung der Bände zeigt indes die Grenze des globalgeschichtlichen Ansatzes, denn es wird schlicht die euromediterrane Gliederung nach Imperien des Altertums, Mittelalterliche und Frühneuzeitliche Imperien sowie Neuzeitliche Imperien und Zeitgeschichtliche Imperien übernommen, die auf Ostasien oder Altamerika schwerlich übertragbar ist, auch wenn die betreffenden Reiche sich irgendwie in das Raster einordnen lassen.

An die epochalen Kapitel schließen sich weitere an, die unter den Sammelüberschriften Imperien in Theorie, Geist, Wissenschaft, Recht und Architektur sowie Wahrnehmung und Vermittlung von Imperien stehen. Hier taucht manches auf, was in anderen Kontexten besser platziert gewesen wäre. So steuert Paul Naredi-Rainer unter dem Titel St. Michaelis, die romanische Architektur und die Idee des göttlichen Imperiums (1535-1556) eindringliche Überlegungen zu jener ottonischen Kirche in Hildesheim bei (wo die entscheidende Großtagung für diesen Sammelband stattfand), und reißt damit das Thema der monumentalen Repräsentation von Imperien an, doch bleibt der Beitrag weitgehend isoliert, ebenso wie ein Beitrag von Otto May über Großreiche und Imperien auf politischen Ansichtskarten 1890-1945 (1677-1734). Unter der ersten Sammelüberschrift finden sich auch, wie erwähnt, theoretische Überlegungen. So franst der Band am Ende etwas aus.

Sehr unterschiedlich in Aufmachung und Qualität sind die Karten; viele Artikel verzichten leider auf die Beigabe derartiger Materialien, die gerade angesichts der globalen Perspektive hilfreich gewesen wären. Es gibt lediglich ein Personenregister, das indes auch einige Völker einschließt.

Ein letzter Arbeitsdurchgang hätte dem zweibändigen Werk gewiss gutgetan. Gerade die Verknüpfung zwischen den theoretischen Beiträgen und der Einleitung hätte noch gestärkt werden können. Doch eine weitere Durcharbeitung ist leichter gefordert als durchgeführt. Randbemerkungen einiger Beiträge lassen zudem erkennen, dass einige Autoren bereits verdrossen waren über die lange Dauer der Drucklegung und eine Aktualisierung nicht mehr vornehmen wollten. Das Werk musste einfach fertig werden.

Dabei ist auf jeden Fall etwas Wichtiges entstanden. Das Sammelwerk ist zugleich Handbuch und Arbeitsbuch. Wo findet man sonst konzis etwas über eine solche Vielfalt von imperienhaften Gebilden? Wer es liest, wird ferner zu zahlreichen Fragen des weiteren Vergleichs angeregt, die die Herausgeber auch in der Einleitung anstoßen. Ein entscheidender Gewinn liegt darin, dass in dem monumentalen Werk tatsächlich Imperien bzw. potentielle Imperien in ihrer historischen und regionalen Breite und Vielfalt behandelt werden, dass damit die Fixierung auf Rom und China aufgegeben wird, die der Imperienforschung eignet. Und das ist nicht wenig.


Anmerkungen:

[1] Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005.

[2] Insbes. Expansion und Imperium, in: Peter Burschel u.a. (Hg.): Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, Berlin 2002, 371-392.

[3] Imperien, Bad Schwalbach 2008.

Hartmut Leppin