Rezension über:

Kunstakademie Düsseldorf (Hg.): Die Geschichte der Kunstakademie Düsseldorf seit 1945, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, 478 S., 249 Farb-, 471 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07229-9, EUR 44,90
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Rezension von:
Martina Sitt
Universität Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Stefan Gronert
Empfohlene Zitierweise:
Martina Sitt: Rezension von: Kunstakademie Düsseldorf (Hg.): Die Geschichte der Kunstakademie Düsseldorf seit 1945, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 12 [15.12.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/12/24037.html


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Kunstakademie Düsseldorf (Hg.): Die Geschichte der Kunstakademie Düsseldorf seit 1945

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Fast 70 Jahre Akademiegeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg wollen dargelegt werden - gleichmäßig wohlwollend gegenüber den vielen Künstlern, ausgewogen oder doch nach Risikoszenarien analysiert? Wie begegnete man "Fehlsteuerungen" und wer begegnete ihnen, wie meisterte man Mangel, Fehlbesetzungen oder Selbstdarsteller, die oftmals auch zu Lasten der Institution wirkten? Wie bewertet man Leistungen und schließlich die unübersehbaren Erfolge? Wie setzt man Selbstkritik, Kritik und Jubel in das richtige Verhältnis?

Was der Buchtitel zunächst dem Leser verspricht - eine Geschichte nach 1945 -, wird von den rund 25 Autoren in dem 480 Seiten starken Band nur zögerlich eingelöst. Das vielfältig bebilderte Buch, das mit den sehr unterschiedlichen Ansätzen der wechselvollen Geschichte des "Erfolgsmodells" Kunstakademie (37) gerecht zu werden versucht, offeriert dem Leser etwas zu viel an Facettenreichtum: Aufsätze, Gesprächsnotizen, Autobiografisches, Wiederabgedrucktes und dazwischen ausgewählte Werke, auf die sich die Autoren hinsichtlich der beschriebenen Künstler aber in keinem Fall beziehen: 19 Werke aus der Zeit 1945-1960; 38 aus 1960-1985 und 50 aus den Jahren 1985 bis heute - dabei bleibt völlig unklar, wer nach welchen Kriterien die Auswahl traf, sodass manche Künstler mit eher untypischen Werken aufscheinen, z.B. Theo Champion oder Gerhard Merz. Aufschlussreich in der Kürze des Überblicks sind die knapp zwanzig Seiten Kurzbiografien, die am Ende des Bandes das Kleingedruckte ausmachen.

Da die Textbeiträge offenbar weder besonders abgestimmt noch von einer Redaktion inhaltlich gesichtet wurden, bleiben zahlreiche Wiederholungen - etwa zu der interessanten Rolle von Ewald Mataré 1945 - nicht aus, die aber gerade deshalb erkennen lassen, wie schwer man sich immer noch mit der Aufarbeitung und Vermittlung der Geschehnisse nach dem Zweiten Weltkrieg tut. Mataré hatte versucht, einen Neuanfang durch eine gänzliche Entnazifizierung des Lehrkörpers zu begleiten, was jedoch abgelehnt wurde (33, 78, 133). Die Folgen zeigten sich an vielen Stellen. Besonders verdeutlicht dies eine Mitschrift eines Gesprächs mit Günter Blecks (Kunstdidaktik), wo explizit nach Matarés Rücktritt wegen der Seilschaften in der Kunstakademie gefragt wird und der Befragte nur mit einer Geschichte von 1952 antwortet, in der ein Student sich beschwerte: "ich lass mich nicht von einem Nazi prüfen" (176).

Neben Mataré ist (sicher nicht erstaunlich) sein Schüler Joseph Beuys der Künstler mit den meisten Nennungen und Verweisen. Auch an ihm hat man sich gerieben - als er etwa das gesamte Auswahlverfahren 1971 dadurch konterkarierte, dass er alle Abgewiesenen in seine Klasse aufnahm (50). Die Proteste gegen Beuys bereicherten jedoch langjährig den Akademiealltag und sorgten u.a. für Präsenz in der Öffentlichkeit. Siegfried Gohr bescheinigt Beuys, von Mataré "den Impuls des Ganzheitlichen" aufgegriffen zu haben, im Unterschied zu Erwin Heerich, der von Mataré die Überlegungen zur Materialökonomie, Präzision und Proportion übernahm (181). Gohr, der offensichtlich einen umfangreicheren Anteil an dem Buchprojekt hatte, als es in seinen drei Beiträgen zum Ausdruck kommt, fragt sich, ob die Entwicklung der Künste an der Kunstakademie periodisiert werden kann und welche Rolle die Rektoren dabei spielen. Wie viele andere Autoren bleibt Gohr zurückhaltend bei der Beantwortung der selbstgestellten Fragen. Er bescheinigt aber den Berufungen Ende der 1970er-Jahre, dass es "ein seismographisches Gespür für zukünftige Entwicklungen gab", indem man vorhandene Ansätze nicht "bediente" und ausbaute, sondern "ausgesprochene Einzelgänger holte" (185). Ohne das weiter zu vertiefen, erwähnt er den Bereich der Druckgrafik (Rolf Sackenheim, A.R. Penck u.a.), die insgesamt sonst eher marginal behandelt wird.

Auf einzelne herkömmliche Disziplinen wird ohnehin nicht gesondert eingegangen, nur der Baukunst, der Bühnenbildklasse und der Fotografie werden eigene Artikel gewidmet. Maren Polte schildert sehr systematisch und ausführlich, wie sich "die Kunstakademie Düsseldorf als Alma Mater der zeitgenössischen deutschen Fotografie etablierte" (310). Kenntnisreich und gut lesbar versucht sie, den historischen Strang "Becher und die Folgen" zu ergänzen um Entwicklungen, die im politisch-gesellschaftlichen Umfeld einerseits und im technischen bzw. im Bereich der ästhetisch-medialen Reflexion begründet sind. Warum in diesem Zusammenhang auch der Topos des Paragone bemüht werden muss, um die Fotografie von dem Stigma zu befreien, das schon im berühmten Werbe-Slogan des Kodak Gründers steckte: "You press the button, we do the rest", erschließt sich jedoch nicht unbedingt.

Das unhandliche Buch vermittelt nur bei intensiverer Lektüre auch einen aufschlussreichen Eindruck von den strukturellen Problemen und Notwendigkeiten einer solchen Institution. Eine Kunstakademie ist mehr als die Summe ihrer Lehrenden oder auch ihrer Studierenden. Es geht vielmehr um internationale Kontakte (181, 184), was Robert Fleck u.a. erinnernd an die Ausstellung "Von hier aus" (1984) durch die Einschätzung der Akademie und ihres lebendigen Umfelds für die Zeit von 1960-1985 ergänzt: "Düsseldorf war damit das einzige Gegengewicht in der Positionierung aktueller Kunst zu New York" (235). Es geht auch um Positionierung einer Gemeinschaft in einer Gesellschaft: "Der Fortbestand der Akademie als erfolgreiches Haus der Kunst, der Künstler sowie der kunstbezogenen Wissenschaften wird indes nur dann gesichert sein, wenn sich weiterhin Personen finden, die ihre eigenen Ziele und Aufgaben als Künstler, Wissenschaftler und Administratoren mit denen der Institution Kunstakademie verbinden" (62), wie Peter M. Lynen zu bedenken gibt.

Die Eröffnung der Akademie-Galerie 2005 und deren regelmäßige Bestückung mit Ausstellungen sowie der jährliche Rundgang haben sich von einer "internen Leistungsschau" zum Publikumserfolg gewandelt. Der Diskurs der konträren Meinungen, der - so Anthony Cragg in seinem Vorwort - nach wie vor das außerordentliche Image der Düsseldorfer Kunstakademie begründet, sollte auch in diesem Buch zum Ausdruck kommen. Mit etwas Vorwissen entnimmt man dem Buch viele anregende Anknüpfungspunkte für diesen Diskurs.

Martina Sitt