Hannah Hien: Das Beginenwesen in fränkischen und bayerischen Bischofsstädten (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX: Darstellungen aus der fränkischen Geschichte; Bd. 59), Würzburg: Gesellschaft für fränkische Geschichte 2013, 432 S., ISBN 978-3-86652-959-5, EUR 38,00
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Christina Lutter (Hg.): Funktionsräume, Wahrnehmungsräume, Gefühlsräume. Mittelalterliche Lebensformen zwischen Kloster und Hof, München: Oldenbourg 2011
Tanya Stabler Miller: The Beguines of Medieval Paris. Gender, Patronage, and Spiritual Authority, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2014
Die von Helmut Flachenecker betreute Würzburger Dissertation betritt methodisches Neuland. Erstmals wird eine Monographie über Beginen über mehrere Orte vergleichend angelegt. Bislang behandeln Beiträge über Beginen und ihre Gemeinschaften einzelnen Orte oder Regionen, wobei die jeweils spezifische Quellenlage oft nur Einblicke in bestimmte Aspekte oder Zeitspannen erlaubt. Die Autorin trägt der Tatsache Rechnung, dass Beginen ein überwiegend urbanes Phänomen sind (die zweifelsohne auch auf dem Land lebenden Beginen sind in den Quellen ungleich schwerer aufzufinden), und untersucht insgesamt sechs Bischofsstädte in zwei benachbarten Regionen: Würzburg, Bamberg und Eichstätt in Franken und Regensburg, Passau und Freising in Bayern.
In allen Städten mit Ausnahme von Regensburg waren die Bischöfe zugleich auch die Stadtherren, doch davon abgesehen waren die untersuchten Orte recht unterschiedlich strukturiert. War Regensburg eine "Großstadt" mit über 11.000 Einwohnern am Ausgang des Mittelalters, so wiesen Freising und Eichstatt bestenfalls ein Drittel dieser Einwohnerzahl auf. Dem starken Regensburger Patriziat stand Freising als arme Stadt ohne bürgerliche Führungsschicht gegenüber. Passau war als Handelszentrum wohlhabend, doch erlangten seine Bürger kaum Partizipation am Stadtregiment. Würzburg, Regensburg und Bamberg hatten eine reiche Sakrallandschaft und zogen auch die Bettelorden an, welche in Passau und Freising hingegen fehlten. Ein Anliegen der Arbeit ist konsequenterweise, die Heterogenität der beginalen Lebensweise zu erfassen und in der jeweils spezifischen kirchlichen und gesellschaftlichen Umgebung zu verorten. Das klug gewählte räumliche Untersuchungsfeld wird diachronisch in einem Dreischritt dargestellt, und zwar von den Anfängen im 13. Jahrhundert über die Institutionalisierung von Beginengemeinschaften bis hin zu den Entwicklungen des ausgehenden Mittelalters.
Eingebettet in eine kenntnisreiche Diskussion der Forschung strebt die Autorin auch nach begrifflichen Klärungen. Sie sieht im Beginenwesen eine "bewusst gewählte religiöse Lebensweise für Laien", die aus einer "allgemeinen religiösen Aufbruchsstimmung" besonders unter Frauen hervorgegangen sei. "Diachron reiht sie sich ein in die Vielzahl der Lebensformen zwischen laikaler und religioser Welt, das Semireligiosentum" (46) - diesem Begriff, der vor allem durch Kaspar Elm propagiert wurde, stehe ich nach wie vor skeptisch gegenüber. Doch betont die Autorin selbst, dass es sich um einen Forschungsbegriff handelt, der sich so in den Quellen nicht findet. Ob man dergleichen Termini hilfreich findet oder nicht, ist letztlich eine akademische Frage, deren Diskussion man nicht zu weit führen sollte. Immerhin öffnet der Begriff den Blick darauf, dass ein so komplexes Phänomen wie das Beginenwesen allenfalls umschreibend erfasst werden kann, und daher betont die Autorin mit Recht: "Eine mögliche Definition kann also nur sehr weit gefasst sein, sodass sie den verschiedenen Realisationsformen Rechnung trägt und das Beginenwesen nicht auf ein der Wirklichkeit wenig entsprechendes Idealbild beschränkt" (111).
Sie bestätigt die auch andernorts beschriebenen Merkmale der Beginen wie intensiviertes religiöses Leben mit Verpflichtung zur Keuschheit, jedoch ohne Klausur, Ordensregel und Gelübde, wobei "vor Ort ganz unterschiedliche Nischen" besetzt wurden. Beginen entstammten fast allen Schichten, von niederadeligen und patrizischen Damen über Angehörige von Handwerkerfamilien bis hin zu ärmeren Frauen. Sie waren durchweg gut integriert in ihre Umgebung, und mit "einem ausgesprochenen Pragmatismus" pflegten sie keineswegs nur mit den Bettelorden Kontakte, sondern wählten "je nach dem religiösen und wirtschaftlichen Angebot vor Ort unterschiedliche Bezugsinstitutionen" (alle Zitate 110).
Die ersten Beginen sind im Untersuchungsraum seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweisbar, und zwar vor allem in Würzburg und Regensburg. Hier sind auch einzeln lebende Beginen in den Quellen zu finden, was nicht überall der Fall ist, weil die Überlieferung vor allem Beginengemeinschaften begünstigt, die durch Gründungsakte, Zustiftungen und Anbindungen an die Geistlichkeit in Erscheinung treten. Während die ersten informellen Gruppen von Frauen rasch zu Frauenklöstern wurden, war die Verklosterung nicht das Ziel der Beginen des späteren 13. und 14. Jahrhunderts. Vor allem in Regensburg stifteten wohlhabende Patrizier Seelhäuser, in denen die Beginen das Totengebet für ihre verstorbenen Angehörigen versahen; da sie nicht zur Klausur verpflichtet waren, konnten sie das Seelgebet nicht nur in Pfarrkirchen oder in den Hauskapellen der Patrizier leisten, sondern auch auf den Friedhöfen über den Gräbern. Die Indienstnahme der Beginen durch wohlhabende Stifter zeugt vom Ansehen dieser Frauen in der Stadtgesellschaft. Sie sind als Seelfrauen in allen Städten mit Ausnahme Freisings und Passaus nachzuweisen. In Freising fehlt es generell an einschlägigen Quellen; in Passau, einer Stadt ohne Niederlassungen der Bettelorden, organisierten sich die Frauen eigenständig und erhielten kaum Unterstützung durch die Bürger.
Die in Würzburg überlieferten Hausordnungen für Beginenhäuser bezeugen, dass die Institutionalisierung der Frauengemeinschaften vor allem geeignet war, sie vor übler Nachrede zu schützen. Die restriktiven Regelungen zu Kleidung, Ausgang, Kontakt mit Männern usw. zielten darauf ab, Ruf und Ansehen der Frauen zu bewahren; häretischer Umtriebe bezichtigte man sie nicht. Wie auch in anderen Städten kam es in den untersuchten Orten nicht zu Verfolgungen infolge der beginenfeindlichen Dekrete nach dem Konzil von Vienne. Zwar verzichtete man zeitweilig auf die Bezeichnung "Begine" (die freilich nie völlig unterging), doch blieben die Seelhäuser bestehen.
Vielmehr bewiesen die Beginengemeinschaften im 15. Jahrhundert ihre Anpassungsfähigkeit an die sich ändernden gesellschaftlichen Bedürfnisse. Einerseits begünstigten die Ideale der Observanz wie Rückzug aus der Welt und Askese die Umwandlung mancher Konvente in Frauenklöster, andererseits besannen sich die Städte auf ihre Aufsichtsrechte und wiesen den Beginenhäusern neue soziale Funktionen zu: Sie wurden zu einem Teil der städtischen Armutsfürsorge und nahmen arbeitsunfähige Menschen wie alte Dienstboten auf. Arbeitsfähige Beginen wurden seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch dazu angehalten, Kranke in ihren eigenen Häusern zu versorgen - entgegen populärer Anschauung war dies keineswegs die ursprüngliche Aufgabe der Beginen.
Die Zeit der Reformation intensivierte in einigen Orten die Forderung an die Beginen, statt des Gebetsdienstes aktive Caritas zu praktizieren, so dass sowohl im katholischen Würzburg als auch im konfessionell zwischen Stadt und geistlichen Immunitäten gespaltenen Regensburg ein "städtisch kontrolliertes Beginenwesen als Bestandteil der kommunalen Fürsorge" (262) entstand. In Bamberg wurden im späten Mittelalter vor allem auf weibliche Initiative hin zahlreiche kleine Seelhäuser gegründet, die vielfach nicht lange Bestand hatten oder in anderen Stiftungen aufgingen. Dieses Muster setzte sich bis ins 17. Jahrhundert fort.
Der letzte Abschnitt des Buches ordnet die Ergebnisse "in den Gesamtzusammenhang der bisherigen Forschung" ein (288), um Typisches und Besonderheiten Revue passieren zu lassen. Dabei erweist sich die Autorin auf der Höhe der Forschung. Ihre Ergebnisse bestätigen die inzwischen stark veränderten Paradigmen der Beginenforschung. So wurden Beginen keineswegs überall oder überwiegend von Angehörigen der Bettelorden betreut. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass ihre Konvente florierende Wirtschaftsbetriebe waren, die gar Zünften zu schaffen machten, und sie waren auch keine Krankenschwestern, zumindest nicht vor der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ihre Hauptaufgabe war das Seelgebet, und als angesehene Fürbeterinnen waren sie Teil der urbanen Sakralgemeinschaft, die das Seelenheil der Bürger und das Heil der gesamten Stadtgemeinde zu sichern trachtete. Dies erstmals auf breiter Quellengrundlage vergleichend dargestellt zu haben, ist das besondere Verdienst der Dissertation.
Dieser inhaltliche Überblick wird dem Erkenntnisgewinn, der sich bei der Lektüre einstellt, kaum gerecht. Zahlreiche Einzelbeobachtungen und die spezifischen Schlaglichter auf die Situation der "kleineren" Beginenszenen, die für sich genommen wenig aussagekräftig sind, gewinnen in der Zusammenschau erheblich an Kontur. Die Verfasserin hat mit Geduld und Spürsinn zahlreiche Quellen ermittelt (wie die prosopographischen und institutionellen Listen erweisen, 293-386) und in ein Gesamtbild eingeordnet, ohne unklare oder bisweilen widersprüchliche Einzelheiten zu unterschlagen. Gebührend hervorzuheben ist die außerordentliche Leistung der Autorin, eine Fülle von Beobachtungen zu deuten und so zu gliedern, dass eine gut lesbare und flüssige Darstellung entstand, die Maßstäbe setzt.
Letha Böhringer