Johannes Willms: Tugend und Terror. Geschichte der Französischen Revolution, München: C.H.Beck 2014, 831 S., 50 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-66936-1, EUR 29,95
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Tugend und Terror: Dieser Titel ist Programm. Er steht für eine dezidiert traditionalistische Gesamtdarstellung der Französischen Revolution, die im Spannungsverhältnis zwischen idealistischem Anspruch und terroristischer Entgleisung den Wesenskern der Revolution sieht. Das revolutionäre Geschehen wird als ein historisches Drama in Szene gesetzt, getragen von den "Dramatis Personae", die am Ende (leider ohne Seitennennung) vorgestellt werden. Es handelt sich um ein klassisches Drama in fünf Büchern, eingerahmt von Prolog und Epilog, das von der Krise der alten Ordnung über den idealistisch-revolutionären Aufbruch und seine Hybris in den innerrevolutionären Machtkämpfen mit innerer Konsequenz zum Absturz in die "Schreckenszeit" und schließlich zur "Götzendämmerung" der Revolution, zu ihren "Konkursverwaltern" und ihrer realpolitischen Konsolidierung durch Napoleon führt.
Dieses Drama wird opulent ausgestaltet und oft mitreißend geschildert, die Darstellung präsentiert zugleich eine Fülle von interessanten Details und anregenden Deutungen, wobei etwa die Herausarbeitung der Gestaltungsmacht des Wohlfahrtsausschusses 1793/94 aus seiner Mittlerrolle zwischen Konvent und Pariser Kommune zu nennen ist. Positiv hervorzuheben ist auch die Entscheidung, die Revolution nicht, wie häufig üblich, 1794 enden zu lassen, sondern die zweite Hälfte der 1790er Jahre bis zur Machtergreifung Bonapartes einzubeziehen. Die Darstellung wird zugleich aber durch die dramatische Personalisierung nachhaltig begrenzt. Forschungsentwicklungen, Deutungskonzepte und Kontroversen werden kaum thematisiert, der Autor agiert eher wie ein auktorialer Erzähler, der das Revolutionsgeschehen präsentiert, so wie es scheinbar eben gewesen, als ob er es unmittelbar aus den Quellen erarbeitet hätte. Dabei verfolgt er jedoch eine durchaus einseitige Perspektive: Getragen von einer herablassenden Verachtung gegenüber den Massen, wird insgesamt ein konservativ eingefärbtes Bild der Revolution gezeichnet.
"Die" Revolution, also die, wenn überhaupt, eigentlich wertvolle Revolution, das ist mit dem Titel des zweiten Hauptkapitels die liberale Verfassungsrevolution der Jahre 1789 bis 1791. Doch von Anfang an war dieser aufgeklärte Aufbruch in eine neue Zeit überschattet von den gewaltsamen Aktionen der ungebildeten Massen. Im Kontext des Sturms auf die Bastille zählt hier weniger der Konflikt zwischen dem dritten Stand auf der einen, der Monarchie und den privilegierten Ständen des Ancien Régime auf der anderen Seite. Vielmehr wird der Ton gesetzt durch das Spannungsverhältnis zwischen aufgeklärten Eliten und dummen, gewaltsamen Massen. Im folgenden Zitat wird dies besonders deutlich: "Für die Pariser Bourgeoisie war die Festung ein Popanz, der sich überlebt hatte und deshalb verschwinden sollte, damit dort ein neues Symbol errichtet werden sollte - eine Säule für den Nouveau Régime. Der peuple jedoch, zutiefst überzeugt von der Güte des Königs und von der Wundermacht der Heiligen, vermochte nicht zwischen der Sache und deren bloß symbolischer Vergegenwärtigung zu unterscheiden. Die Bastille nahm er gar nicht bewusst war (...) Am Morgen des 14. Juli änderte sich das schlagartig. Plötzlich begann der peuple die Bastille wahrzunehmen, sah er voller Angst die Schlünde der Kanonen, die auf ihren Türmen standen und den Faubourg Saint-Antoine bedrohten." (160)
Hier verschwimmen nicht nur einige historisch bedeutsame Tatsachen, wie etwa dass die Stadtfeste tatsächlich von machtpolitischer Bedeutung war, bei den Auseinandersetzungen etwa 100 Aufständische getötet wurden, sich darunter keineswegs nur oder auch nur primär völlig Ungebildete befanden oder gar aufgeklärte Symbole des Neuen anstelle der Bastille doch wohl ohne ihren Sturz durch die Massen kaum denkbar geworden wären. Wichtiger aber scheint es dem Autor zu sein, dass dem Sturm auf die Stadtfeste "eine andere Gewalttat voraus" gegangen war. Denn die Massen und der Aufstand sind für ihn von Anfang an das Grundübel der Revolution, so als ob man ihre Ergebnisse auch ohne all dies hätte haben können. Auf dieser abschüssigen Grundlage treten nun die großen Figuren im revolutionären Drama hervor, die es notwendig in den Abgrund von Krieg und Gewalt führen. Da ist zum einen der "in vielen Facetten schillernde Erzengel der Revolution" (326), unverkennbar Danton, und noch eindeutiger eingeschwärzt tritt dann der "Dämon der Französischen Revolution" hervor, Robespierre natürlich, dem gleich noch eine "völlige Unfähigkeit, politisch zu denken und zu urteilen" attestiert wird. (502)
Bei der maskulinen Form "der peuple", "der Nouveau Régime", handelt es sich übrigens keineswegs um Druckfehler. Vielmehr wird dem Leser durchgängig vermittelt, wie richtiges Französisch auch bei der Einfügung in einen deutschen Text zu benutzen ist: der Ancien Régime und der Département, bitte, aber natürlich die Place und die Terreur. Bei einem solchen sprachlichen Purismus mutet es etwas merkwürdig an, wenn zugleich Begrifflichkeiten aus ganz anderen historischen Kontexten wie selbstverständlich verwenden werden: So treten bei den Septembermassakern von 1792 die "Putzkolonnen" der Pariser Kommune in Aktion, als ob Joschka Fischers "Putzgruppe" schon hier den Frankfurter Häuserkampf geprobt hätte. Robespierre hatte sich zuvor ganz affin zu 1968 auf den "langen Marsch durch die Pariser Sektionen" begeben, die Jakobiner wurden unter seiner Führung zu einer "Kaderpartei", die selbstverständlich zum unheilvollen Vorbild für die Bolschewiki taugte, und die in der Tat ideologische Rechtfertigung revolutionärer Besatzungsherrschaft durch Cambon wird von Willms ganz modernekritisch als "new speech" charakterisiert.
Zum Guten war all dies zweifellos nicht bestimmt. Als Höhepunkt des revolutionären Dramas erscheint dementsprechend die Terrorherrschaft, deren Gewaltexzesse intensiv geschildert und als verbrecherisch oder krank abqualifiziert werden, wobei vor allem die umstürzlerischen Verführer des Pöbels die Verantwortung trugen. Die Terreur, so kann man hier lesen, "war also gleichsam ein erfolgreiches Revolutionsmarketing, das es den Führern des Umsturzes erlaubte, die kollektive Hysterie permanenter Bedrohung stets wachzuhalten." (561) Besonders die Vendée rückt dabei ins Zentrum des Interesses, wobei es schon etwas merkwürdig ist, wenn in einem der seltenen Kommentare zum Forschungsstand differenzierende Analysen aus der Feder von Jean-Clément Martin, immerhin langjähriger Direktor des Instituts für Revolutionsgeschichte an der Pariser Sorbonne und allseits anerkannter Fachmann für den Bürgerkrieg in der Vendée, salopp als "nicht erheblich" (497) abqualifiziert werden. Und widersprüchlich muss es auch erscheinen, dass die Terrorherrschaft bei der Behandlung des Krieges auf einmal eine ganz andere, nun doch rationale Bewertung erhält: "Damit sich die Revolution in dieser Lage behaupten konnte, musste Zwang angewendet werden, dem die Terreur Nachdruck verschaffte." (672)
Zusammengefasst handelt es sich um eine opulente, informative und gut lesbare Gesamtdarstellung, die sowohl mit ihrer dramatischen Anlage als auch mit ihrer revolutionskritischen Perspektive traditionellen Prätentionen entgegenkommt. Die wissenschaftliche Forschung, systematische Fragestellungen und neue Themenfelder, wie etwa die Entstehung einer neuartigen, demokratischen politischen Kultur, spielen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle.
Wolfgang Kruse