Dario Tessicini / Patrick J. Boner (eds.): Celestial Novelties on the Eve of the Scientific Revolution 1540-1630 (= Biblioteca di Galilæana; III), Florenz: Leo S. Olschki 2013, XVI + 282 S., ISBN 978-88-222-6254-7, EUR 32,00
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Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung, welche die Forschergruppe "Cosmología, teología y antropología en la primera fase de la Revolución Científica (1543-1633)" 2011 im Museo Galileo in Florenz veranstaltete. Er bündelt elf Beiträge ausgewiesener Spezialisten, die sich - wie die konzise Einleitung der Herausgeber deutlich macht - einem höchst attraktiven Bereich der Wissenschafts- und Kulturgeschichte widmen: Sie verhandeln "celestial novelties" in einem Schwellenzeitraum (1540-1630), in dessen Verlauf diverse Weltmodelle zueinander in Konkurrenz treten, die durch auffällige kosmische Erscheinungen (Novae, Kometen) sowie durch neue Beobachtungs- und verbesserte Messmethoden Impulse und Argumente erhalten, sich neu oder weiter entwickeln oder aber in ihren Traditionslinien fortgeschrieben werden.
Im Zentrum des Bandes stehen die "geschwantzten" und "newen" Sterne, insbesondere die imposanten Winterkometen der Jahre 1577/8 und 1618/9 sowie die Supernovae von 1572 und 1604. Anliegen und Fragestellungen der auf sie fokussierten Beiträge sind ganz unterschiedlich, so dass sich dem Leser ein kaleidoskopartiger Blick auf die Phänomene in ihren literarischen Formungen und Funktion(alisierung)en eröffnet.
Einen Überblick über die spanische Druckliteratur, die in Zusammenhang mit den genannten Erscheinungen entstanden ist und durchweg eine historisch-politische Deutungskomponente besitzt, geben Tayra M.C. Lanuza Navarro und Víctor Navarro Brotóns. Durch Inhaltsangaben und Kontextualisierungen ausgewählter Schriften stellen sie das - im Vergleich mit dem deutschen Sprachraum - kleine und bisher nur partiell erforschte Corpus vor und eröffnen so einen Dialog mit diesen Schriften. Komplementär hierzu nimmt sich Dario Tessicini der italienischen Druckwerke zum Komet 1577/8 an, die aufgrund ihrer mit wenigen Ausnahmen traditionellen astrologischen und meteorologischen Prägung ein ähnliches Schattendasein führten. Auf der Basis von 36 Publikationen, die er in einer Appendix verzeichnet, gibt er einen aufschlussreichen Querschnitt durch das Corpus und rekonstruiert unter anderem, wie sich in den diversen Druckerzeugnissen der Weg "from observation to meaning" (65) vollzieht. Erfahrungsgemäß schwierig ist es, die frühneuzeitliche Kometenliteratur mit ihren spezifischen Mischformen bestimmten Gattungen zuzuordnen (60-65; s. auch Nick Jardine 168-174). Einer gut fassbaren Textsorte, den Kometenkatalogen, die sich hinsichtlich der Signifikanz der Kometen auf historia und Empirie als zentrale epistemische Kategorien berufen, widmet sich Adam Mosley. Er kontextualisiert zunächst ihre Genese mit Blick auf die "Wittenberg Connection" (3) und diverse Schriften aus dem Melanchthonkreis. Sodann skizziert er Funktions- und Argumentationsweise, Umfang, Systematik und Quellennutzung sowie Entstehungskontexte selbständiger und unselbständiger, lateinischer und volkssprachiger Kometenkataloge, von Antoine Mizaulds "Cometographia" (1549) bis zu Werken, die anlässlich des Kometen 1618/9 entstanden sind. Im Verhältnis sehr ausführlich (18-30) wird die zeitgenössische Kritik an Astrologie und Kometomantik behandelt. Gelohnt hätten sich eine noch intensivere Auseinandersetzung mit den eng verwandten Prodigiensammlungen und ein Blick auf die - im Band generell eher vernachlässigte - deutschsprachige Forschungsliteratur. [1]
Andere Beiträger nehmen einzelne Autoren in den Blick: Isabelle Pantin untersucht die Rolle von Novae und Kometen im Werk Francesco Giuntinis, analysiert exemplarisch die Schrift zur Supernova 1572 und den lateinischen Kommentar zur "Sphaera" des Johannes de Sacrobosco (1577) und zeigt unter anderem, wie Giuntini seine frühere Interpretation der Nova unter dem Einfluss von Cornelius Gemma revidiert. Elide Casali konzentriert sich zum einen auf einen singulär erhaltenen Einblattdruck zum Komet 1577/8 (Gregorio Giordanos "Misteriosa figura") und arbeitet die Dynamik der Text-Bild-Relationen sowie das astrotheologische, moralisch-spirituelle Programm heraus; zum anderen kontextualisiert sie Giuseppe Rosaccios letzten "Discorso" über den Komet 1618/9, der anders als die Vorgängerwerke auf eine astrologische Auslegung verzichtet und stattdessen einen naturphilosophischen und mathematisch-astronomischen Schwerpunkt setzt (und bei der Sublunarität bleibt). Mit welchen argumentativen und persuasiven Verfahren und mit welchem mix-up von Mathematik, Physik, Geschichte und Theologie die superlunare Position eines Kometen (C/1585 T1) und mit dieser das kopernikanische Modell erwiesen und verteidigt werden, zeigt Nick Jardine erhellend am Beispiel von Christoph Rothmanns "Dialexis" (gedr. 1619) auf. [2]
Zu den Novae und Kometen treten auch "novelties" anderer Art: John Henry widmet sich den medizintheoretischen Reformansätzen Jean Fernels und zeigt anhand der Schrift "De abditis rerum causis" (gedr. 1548), dass dieser - anders als Vertreter traditioneller astrologischer Konzepte - von einer rein okkulten, universalen Wirkung der Gestirne als causae secundae auf den Mikrokosmos ausgeht. Seuchen und Epidemien werden hierbei als siderisch beeinflusste Krankheiten erklärt, welche die gesamte Substanz des Körpers beeinträchtigen und nur durch Heilmittel kuriert werden können, deren wirksame, okkulte proprietates durch Erfahrung und Experiment gefunden werden müssen. Miguel A. Granada zeichnet die Stationen von Brahes "anti-Copernican campaign" beginnend mit dessen Kopenhagener Astronomievorlesungen (1574) bis zu seinen postum von Kepler herausgegebenen "Progymnasmata" (1602) nach. Hier kritisiert Brahe u.a. die Schriften von Michael Mästlin und Thomas Digges zur Supernova 1572, welche die Nova als Beweis für das kopernikanische System beanspruchen. 'Knackpunkt' dieses Modells ist dabei der überdimensioniert weite, leere und somit funktionslose Raum zwischen Saturn und den Fixsternen - eine auch ästhetisch inakzeptable Disproportionalität, der Brahe sein geoheliozentrisches System entgegensetzt.
Wie und warum der rhetorisch geschulte kaiserliche Hofmathematiker Kepler kurze Zeit später (1606) das Ringen um die Planetenbahnen in Analogie mit den Stationen des Langen Türkenkrieges bringt, zeigen Francesco Barreca und Patrick J. Boner in einer Analyse der Dedikationsepistel von "De stella nova" an Rudolf II. Sie demonstrieren zudem, wie die Kriegsallegorie in der ebenfalls Rudolf gewidmeten Dedikation der "Astronomia nova" (1609) als Apologie vor dem Hintergrund der Streitigkeiten mit den Erben Brahes zu lesen ist, die sich an den Neuansätzen Keplers (der Brahes Datenmaterial nutzte) entzündeten. Giorgio Strano wendet sich in seinem Beitrag der wenig erforschten praktischen Seite von Galileis Teleskopbeobachtungen zu: Er erläutert die Unterschiede des Galileo- und des Kepler-Teleskops sowie Genese und Intentionen von Galileos bildlichen Wiedergaben seiner Beobachtungen von Mond und Venus. Die seit 1611 teleskopisch beobachteten Sonnenflecken, eine weitere "novelty", werden in Folge ihrer Entdeckung von einigen Autoren als Ursprung der Kometenmaterie diskutiert. Édouard Mehl versucht, diese in den 1630er Jahren von René Descartes adaptierte These auf einen (letztlich nicht beweisbaren) Kontakt Descartes mit dem Ulmer Rechenmeister Johannes Faulhaber zurückzuführen. Faulhaber deklarierte sie als eigene Errungenschaft, doch dürfte er, so Mehl, die von Kepler bereits 1612 brieflich erwähnte Überlegung einer revolutionären "météorologie astrale" (252) über Simon Marius kennengelernt haben. [3]
Die Lektüre des Bandes ist aufgrund des durchgängig hohen Niveaus der Beiträge, der vielfältigen Erkenntnisinteressen und breiten Kontextualisierung, der Erschließung teils unbekannter Terrains und nicht zuletzt aufgrund der sorgfältigen Redaktion ein großer Gewinn. Einziger formaler Wermutstropfen ist die uneinheitliche Ansetzung frühneuzeitlicher Druckorte und Drucker/Verleger (teilweise mit Ausfällen), die oft in ein und demselben Aufsatz variiert, während mit der bibliographischen Appendix des Herausgebers Tessicini (80-84) doch ein perfektes Modell vorliegt. Das beigegebene Namenregister, die qualitativ guten s/w-Abbildungen und die fast ausnahmslos zuverlässigen Übersetzungen lateinischer Belegstellen sind weitere Pluspunkte. Ein Zusatzbonus wären allenfalls Kurzporträts der am Band beteiligten Autoren gewesen.
Anmerkungen:
[1] Ausführlich zu frühneuzeitlichen Kometenkatalogen etwa Marion Gindhart: Das Kometenjahr 1618. Antikes und zeitgenössisches Wissen in der frühneuzeitlichen Kometenliteratur des deutschsprachigen Raumes, Wiesbaden 2006, 183-213. Zum Prodigiendiskurs auch Marc Laureys: Die Bewertung der Prodigien und die Rezeption des Julius Obsequens im Humanismus des 16. Jahrhunderts, in: Wolfram Hogrebe (Hg.): Mantik. Profile prognostischen Wissens in Wissenschaft und Kultur, Würzburg 2005, 201-221.
[2] Dazu neu aus der Projektgruppe: Miguel A. Granada / Adam Mosley / Nicholas Jardine: Christoph Rothmann's discourse on the comet of 1585: an edition and translation with accompanying essays, Leiden u.a. 2014. Zur Propagierung der Mathematik als Leitwissenschaft und zu einer dichotomischen Lagerbildung auch späterer Superlunaritätsbefürworter vgl. Gindhart (Anm. 1), 252-265.
[3] Der Beitrag lässt in der causa Faulhaberi stellenweise exakte Belege (238-240) vermissen und verzeichnet die relevanten deutschsprachigen Studien von Ivo Schneider nicht (z.B. Johannes Faulhaber [1580-1635]. Rechenmeister in einer Welt des Umbruchs, Basel u.a. 1993 [Ndr. 2012]; Historischer Kontext der Voraussage und Deutung eines Kometen für das Jahr 1618 durch Johannes Faulhaber, in: Franz Pichler / Michael von Renteln (Hgg.): Kosmisches Wissen von Peuerbach bis Laplace - Astronomie, Mathematik, Physik, Linz 2009, 31-44). Zum komplexen Kupferstich der "Fama" und dem ohne Titel erwähnten Flugblatt "Gehaimes Prognosticon vom Gog und Magog" vgl. Gindhart (Anm. 1), 92-96 und Abb. 6. Zur Rezeption der Kepler zugewiesenen Sonnenfleckenthese durch Philipp Müller ebd., 241.
Marion Gindhart