Rezension über:

Niklas Konzen: Aller Welt Feind. Fehdenetzwerke um Hans von Rechberg († 1464) im Kontext der südwestdeutschen Territorienbildung (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; Bd. 194), Stuttgart: W. Kohlhammer 2013, XLII + 545 S., ISBN 978-3-17-023378-2, EUR 47,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Konstantin Moritz Langmaier
München
Redaktionelle Betreuung:
Jessika Nowak
Empfohlene Zitierweise:
Konstantin Moritz Langmaier: Rezension von: Niklas Konzen: Aller Welt Feind. Fehdenetzwerke um Hans von Rechberg († 1464) im Kontext der südwestdeutschen Territorienbildung, Stuttgart: W. Kohlhammer 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 7/8 [15.07.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/07/26412.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Niklas Konzen: Aller Welt Feind

Textgröße: A A A

Hans von Rechberg, aus altem schwäbischen Ministerialengeschlecht stammend, ist kein ganz unbeschriebenes Blatt. [1] Er gilt als Repräsentant spätmittelalterlichen Kriegs- und Fehdeunternehmertums, der im schwäbischen Raum, einem von herrschaftlicher Zersplitterung, starken regionalen Dualismen und mangelnder übergeordneter Autorität geprägten Gebiet, günstige Voraussetzungen für eine Karriere als Condottiere vorfand.

In der 2014 erschienenen Dissertation von Niklas Konzen setzte sich dieser zum Ziel, das landläufige Bild vom wilden Raubritter durch eine konsequente Analyse der Fehdemotive zu entstauben. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei weniger auf biographischer Ebene als auf der Erforschung des Zustandekommens von Fehdenetzwerken und deren Funktion. Damit wird in der Fehdeforschung ein neuer Ansatz beschritten: Fehdeführende benötigten Helfer, welche über ausreichendes Kapital, militärisches know-how und die richtigen Beziehungen verfügten, um den Erfolg einer Fehde sicherstellen zu können. Nicht allein ökonomisches Gewinnstreben und wirtschaftliche Abstiegsängste, sondern der Wunsch, im Fürstendienst oder in Rittervereinigungen "soziales Kapital" zu erlangen, waren Gründe, sich als Fehdehelfer zu engagieren. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor dabei den Rechberg nahestehenden Familien und Rittergruppierungen, die Fehden als probates Mittel betrachteten, um sich der Territorialisierung zu entziehen. Diese ging von den Reichsstädten, von den Habsburgern, aber auch von den Grafen von Württemberg aus, welche die alten Grafen- und Herrengeschlechter im oberen Neckar- und Donauraum stark unter Druck setzten (vor allem über das Rottweiler Hofgericht, dessen Urteiler dem württembergischen Hof sehr nahestanden).

Weniger Armut als die Ächtungspraxis eines überlegenen Gegners führte zur Fehde. Eher war es so, dass dieser häufig die Zwangsverpfändung der Güter im Auge hatte, die den betroffenen, sich zu Fehdegemeinschaften zusammenschließenden Adeligen gehörten. Die Tatsache, dass es der Gruppe um Rechberg und den Grafen von Helfenstein nicht gelang, im Rat der Grafen von Württemberg beziehungsweise der Habsburger dauerhaft Fuß zu fassen, besiegelte ihren Niedergang. Vom Abstieg der Kriegsherren profitierten konkurrierende Adelsnetzwerke und Rivalen, die über einen besseren 'Draht' zu diesen Fürsten verfügten. Rechberg und seine Anhänger gerieten letztlich gegen ihren Willen unter die Räder, da der reichsstädtisch-adelige Dualismus trotz großer ideologischer Aversionen nicht stark genug war, um die fürstliche Expansion von sich selbst wegzulenken.

Fasst man Konzens Ergebnisse zusammen, so ist Rechberg als führender Kopf gräflicher und freiherrlicher Adelsgruppen zu sehen, der es meisterhaft verstand, innerhalb fragiler politischer Machtverhältnisse Fehdenetzwerke aufzubauen, mit deren Hilfe die großen Machtblöcke (Habsburg-Eidgenossen, Württemberg-schwäbische Reichsstädte, Reichsadel-Reichsstädte) gegeneinander ausgespielt werden sollten. Der Verfasser verdeutlicht anschaulich das Streben der Partei des Rechberg, das Reservoir für zukünftige Fehden nicht vertrocknen zu lassen, und ihre Absicht, nicht Opfer eines schleichenden Territorialisierungsprozesses zu werden. Das beharrliche Schüren von Rivalitäten und die beständigen Versuche, lokale Konflikte mit überregionalen Fehden zu verbinden, werden so verständlich, weil auf diese Weise den Fürsten die Unentbehrlichkeit der eigenen Klientel vor Augen geführt werden sollte.

Die Arbeit ist mehr als Regionalgeschichte. Sie schließt insofern Lücken, als sie auf die Frage, was eine Fehde in ihrem Kern ausmache - Willkürgewalt oder rechtliche Selbsthilfe - eine differenzierte Antwort gibt, die sich nicht mit monokausalen Begründungen begnügt. Die Forschungen des Autors zeigen, dass Fehden meist keine isolierten Akte waren, also "Privatkriege", die Außenstehende nichts angingen: Nicht nur Fehdehelfer und Kriegsfachleute, sondern auch Verwandte der Fehdeführenden und übergeordnete Gewalten, wie die Reichsstädte, die Fürsten oder die Adelsgesellschaften, schenkten ihnen Aufmerksamkeit. Stets bestand die Gefahr, dass sie inmitten empfindlicher Machtkonstellationen rasch zum Ausgangspunkt größerer Auseinandersetzungen werden konnten. Fehden sind eben keine einfache Angelegenheit, sondern ein ausgesprochen komplexes Phänomen, da zu einem gewaltsam ausgetragenen Rechtsstreit nicht nur die unmittelbaren Kontrahenten, sondern auch die 'anderen' gehörten, deren direkte oder indirekte Einflussnahme oft von entscheidender Wichtigkeit war. So bedeutungslos sie im Einzelfall aus heutiger Sicht auch erscheinen, so schnell gerieten sie in den Sog harter Machtpolitik.

70 Jahre nach dem Erscheinen von Otto Brunners umstrittenem Hauptwerk "Land und Herrschaft" [2] werden dessen Thesen zur Fehde durch eine weitere quellenorientierte Mikrostudie ergänzt und hinterfragt. Nützlich erweist sich der mehr als hundert Seiten umfassende prosopographische Anhang, in dem Verbündete, Verwandte und Gefolgsleute Rechbergs verzeichnet sind. Inwieweit Konzens Ergebnisse auf andere Teile Oberdeutschlands übertragbar sind, bleibt gleichwohl abzuwarten, da im viduatus ducatus [3] andere Verhältnisse herrschten als in den großen Territorien im Südosten des Reiches, wo sich Landfriedenswahrung, geordnetes Rechtsverfahren und funktionierende Rechtsprechung wegen der Dominanz starker Landesfürsten und der Existenz gut organisierter Stände aufs Ganze gesehen leichter umsetzen ließen.


Anmerkungen:

[1] Erhard Waldemar Kanter: Hans von Rechberg von Hohenrechberg, Zürich 1903; Thomas Marolf: Er was allenthalb im spil. Hans von Rechberg, das Fehdeunternehmertum und der Alte Zürichkrieg, Zürich 2006.

[2] Otto Brunner: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, 5. überarb. Auflage, Wien 1965 [erstmals 1939].

[3] Vgl. Dieter Mertens: Spätmittelalterliches Landesbewusstsein im Gebiet des alten Schwaben, in: Spätmittelalterliches Landesbewusstsein in Deutschland, hg. von Matthias Werner (= Vorträge und Forschungen; Bd. 61), Ostfildern 2005, 106f.

Konstantin Moritz Langmaier