Audra J. Wolfe: Competing with the Soviets. Science, Technology and the State in Cold War America, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2013, VIII + 166 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-1-4214-0771-5, USD 19,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Dwight D. Eisenhowers Warnung vor dem military-industrial complex ist auch heute noch erstaunlich präsent. Zuverlässig findet sie in jede Veröffentlichung zur Wissenschaftsgeschichte des Kalten Kriegs Eingang, mal als Ausdruck eines zeitgenössischen Diskurses, mal als gültige Analyse. Das zeigt, wie schwierig es ist, sich diesem vielschichtigen und häufig diskutierten Phänomen zu nähern. Auf die politischen Debatten über staatlich finanzierte Wissenschaft im Kalten Krieg folgten in den USA bald politikwissenschaftliche und soziologische Deutungen. Und beinahe übergangslos schloss sich die historiografische Auseinandersetzung an. In den letzten Jahren haben sich die Cold War Studies stark diversifiziert - nicht zuletzt wurden sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen aufgegriffen. [1] Die Primär- und Sekundärquellen zum Thema sind kaum mehr zu überblicken.
Es ist also durchaus mutig, wenn Audra J. Wolfe eine knappe "introductory synthesis" ankündigt, die "the story of [...] particularly American science and technology [...] during the Cold War" (2) präsentieren will, zumal sie sich zum Ziel setzt, der amerikanischen Wissenschaftsgeschichte dieser Zeit die "shades of gray" (1) zurückzugeben - eine Forderung, die zuletzt vermehrt vorgebracht, aber nur punktuell eingelöst wurde. [2] Doch dieser schmale Band ist klug aufgebaut; auch sichert sich die Autorin mit Empfehlungen für eine weiterführende Lektüre auf den letzten 17 Seiten gegen Kritik an einer verkürzenden Darstellung ab. Die insgesamt acht Kapitel stehen - wie in der Einleitung angekündigt - tatsächlich für sich selbst, allerdings ginge die eigentliche Stärke des Buchs bei einer solchen punktuellen Lektüre verloren: Denn es zeichnet lange Bögen, knüpft Verbindungen und braucht dafür nur wenig Platz. Die Autorin führt vom "Atomic Age" über "Science and the General Welfare" bis zum "Cold War Redux" auf nur etwas mehr als 150 Seiten durch rund 45 Jahre amerikanischer Wissenschaftsgeschichte.
Nicht unbedingt im Zentrum steht die Konkurrenz mit der Sowjetunion, die prominent im Titel zu finden ist. Die Zündung der ersten sowjetischen Wasserstoffbombe, der Sputnik-Schock und andere Meilensteine der sogenannten Blockkonfrontation strukturieren den Text. Doch Wolfe geht es nicht um eine vergleichende Darstellung, etwa der sowjetischen und der amerikanischen Wissenschaftsprogramme. Sie interessiert sich vor allem für die USA sowie für die dortigen innenpolitischen Deutungen und Folgen der als Schlagabtausch wahrgenommenen Entwicklungen. Die genannten Ereignisse wirkten in diesem Sinne lediglich als Katalysatoren für eine zunehmend enger werdende Zusammenarbeit zwischen Regierung, Militär und Wissenschaft, sie beförderten Investitionen und stießen Forschungsprojekte an.
Die späten 1960er Jahre versteht Wolfe als Umbruchszeit. In den Jahren vom Zweiten Weltkrieg bis zur Nixon-Präsidentschaft hätten sich Staat und Wissenschaft zunehmend miteinander verflochten. Dies belegen zum einen die Forschungsausgaben des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte, zum anderen die Tatsache, dass Pentagon und Weißes Haus zahlreiche Forschungsaufträge vergaben und die Beratung durch Experten institutionalisierten, beispielsweise mittels des Science Advisory Committee, das für die Beratung des Präsidenten in Fragen der Wissenschaftspolitik zuständig war. Dieses durch gegenseitiges Vertrauen ermöglichte Verhältnis habe letztlich der Vietnam-Krieg zerrüttet, auch wenn es von Beginn an nie frei von Spannungen und Widersprüchen gewesen sei: "In a remarkably short time, Vietnam sundered the foundations on which the expansion of postwar American science had been built." (105) Die 1970er und 1980er Jahre charakterisiert Wolfe deshalb als "End of Consensus" - trotz teilweise wiederbelebter Muster im sogenannten Zweiten Kalten Krieg.
Wolfe stellt immer wieder weiterführende Fragen wie die nach Wachstum und Einfluss des Staates und die nach dem Verhältnis von Demokratie und technokratischer Expertise. Die Bedeutung des Militärs setzt sie hoch an, habe der Kalte Krieg doch zu außergewöhnlich hohen Ausgaben in Forschung und Entwicklung geführt. Dennoch fragt Wolfe nicht danach, inwiefern Militär und Politik die Wissenschaft beeinflusst hätten, wie dies bereits viele Autorinnen und Autoren vor ihr getan haben. Dieser veränderte Blickwinkel hat einiges für sich, befreit er doch von der leidigen Frage nach (gegenseitiger) Instrumentalisierung und ist stattdessen sensibel für historische Entwicklungen. Wolfe geht es nicht primär um Schuld. Und wo sie doch moralischen Debatten nachspürt, geschieht das in dem Wissen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Akteure mit multiplen sozialen Rollen sind. So entgeht die Autorin der Falle, finanzielle oder personelle Verbindungen mit staatlichen Institutionen ohne weiteres als Gradmesser für Korrumpierung zu verwenden.
Wolfe gelingt es in ihrem gut lesbaren Lehrbuch, die bekannten und unverzichtbaren Elemente der US-amerikanischen Wissenschaftsgeschichte des Kalten Kriegs zu präsentieren und zugleich spannende, nur scheinbar randständige Erkenntnisse der neuesten Forschung einzubinden. Von anderen Einführungen zum Thema hebt sich ihr Überblick insofern ab, als er Gegenstand und Funktionsweise von Kooperationen auch anhand von Beispielen aus der Wirtschaftswissenschaft und anderen Sozialwissenschaften anschaulich macht. Es ist eine positive Überraschung, dass Wolfe in der Einleitung science breit definiert und so die Forschungen zur Cold War Science der letzten Jahre, die die Sozialwissenschaften für sich entdeckt haben [3], einbeziehen kann. Ebenso erfreulich ist, dass hier keine schematische Geschichte erzählt wird, sondern Kritik und Protest Eingang in die Darstellung finden, und zwar zu jedem Zeitpunkt. Historikerinnen und Historiker können von dem konzisen Überblick und seinen strukturierenden Thesen also selbst dann profitieren, wenn sie mit dem Forschungsfeld bereits vertraut sind. Allen anderen sei das Buch als erster Überblick ans Herz gelegt. Von der Umschlaggestaltung, die anders als der Inhalt sehr an die muffigen Tapetenzimmer der 1960er Jahre erinnert, sollte man sich nicht abschrecken lassen.
Anmerkungen:
[1] Für den deutschsprachigen Raum maßgeblich ist die vom Hamburger Institut für Sozialforschung unter der Leitung von Bernd Greiner herausgegebene Reihe "Studien zum Kalten Krieg".
[2] Ein weithin gelungenes Beispiel bietet Joy Rohde: Armed with Expertise. The Militarization of American Social Research during the Cold War, Ithaca / London 2013.
[3] Vgl. auch Mark Solovey: Shaky Foundations. The Politics-Patronage-Social Science Nexus in Cold War America, New Brunswick 2013; Michael E. Latham: Modernization as Ideology: American Social Science and "Nation Building" in the Kennedy Era, Chapel Hill 2000; Nils Gilman: Mandarins of the Future: Modernization Theory in Cold War America, Baltimore 2003.
Sophia Dafinger