Volker Hunecke: Napoleons Rückkehr. Die letzten hundert Tage - Elba, Waterloo, St. Helena, Stuttgart: Klett-Cotta 2015, 256 S., ISBN 978-3-608-94855-4, EUR 21,95
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Im Zentrum von Volker Huneckes Darstellung der Rückkehr Napoleons 1815 stehen "Krieg und Konstitution", worauf bereits der Titel der Einleitung verweist. Der zweite Punkt steht für den Napoleonbiografen [1] allerdings eindeutig im Vordergrund. Laut Hunecke entschied nicht das Waffenglück, sondern der "bis in die Anfänge der Revolution zurückreichende Kampf" um die "politische Ordnung Frankreichs" Napoleons Schicksal (17).
Die Studie beginnt mit der ersten Restauration 1814, die der Autor höchst positiv sieht: Die Alliierten hätten Frankreich mit "außergewöhnlicher Mäßigung" behandelt, gerade im Vergleich zu Napoleons Verhalten gegenüber geschlagenen Feinden (31). Ludwig XVIII. sei alles andere als ein Reaktionär gewesen: Er habe aus der Revolution gelernt und sei durch die von ihm erlassene und verbürgte, liberale Verfassung gar zur Verkörperung "der Partei der Freiheit" (63) geworden. Fehler der neuen Regierung hätten teilweise für Unzufriedenheit gesorgt, aber nur dem Militär sei das neue (alte) Regime wegen Einsparungen und Entlassungen wirklich verhasst gewesen.
Napoleons Rückkehr von Elba, den legendären "Flug des Adlers", schildert der Autor vergleichsweise nüchtern. Seine Bewunderung gilt weniger der geglückten Ein-Mann-Invasion als dem Entschluss Ludwigs XVIII., Paris kampflos aufzugeben. Der König habe auf diese Weise einen Bürgerkrieg vermieden und ein "Opfer" gebracht, "für das er den Rest seines Lebens büßen sollte" (62), da die bonapartistische Propaganda dieses Verhalten als Feigheit ausgelegt habe. Die Unterschichten auf dem Land und in den Städten hätten Napoleons Rückkehr bejubelt (65). Die für die langfristige Stabilität des Regimes entscheidende Schicht der Notabeln sei hingegen skeptisch gewesen, da der Kaiser die vom König eingeleitete "Rückkehr zur Normalität" und deren "Segnungen - die Freiheit und den Frieden" in Frage gestellt habe (71). Dass Napoleons tollkühne Unternehmung gelingen konnte, habe er der Armee zu verdanken gehabt, weswegen Hunecke eindeutig von einem "militärischen Staatsstreich" spricht (68).
In der Folge habe der Korse jedoch vor dem Problem gestanden, mit der traditionellen Legitimität des gestürzten Königs konkurrieren zu müssen, weshalb er versucht habe, eine der liberalen königlichen Charte constitutionnelle "ebenbürtige Verfassung" zu implementieren - "eine Aufgabe, an der er scheitern sollte" (69). Inhaltlich sei die neue Konstitution - der "acte additionnel aux constitutions de l' Empire" - zumindest in einigen Teilen durchaus ein "Fortschritt in freiheitlich-demokratischem Sinn" gewesen. Allerdings habe sich die politisch interessierte Öffentlichkeit eine von einer Konstituante erarbeitete, "ganz neue Verfassung" erhofft, und keinen "Zusatzakt" zu derjenigen des früheren Kaiserreichs (92). Das hastig gewählte Parlament habe Napoleon kritisch beäugt und an dessen Abwendung vom Despotismus gezweifelt.
Die militärischen Ereignisse von 1815 handelt der Verfasser vergleichsweise knapp ab. Die französische Niederlage bei Waterloo schreibt er in erster Linie Napoleons "Hochmut" und der "überheblichen Geringschätzung sowohl seiner eigenen Untergebenen als auch des Gegners" zu (141f.). Der Korse, der zu Beginn seiner Herrschaft "Überragendes geleistet habe", habe sich eben irgendwann für "allmächtig" gehalten und dadurch seit 1812 immer wieder Schiffbruch erlitten (142). Hier schimmert das schwarz-weiße Napoleonbild (guter Konsul, schlechter Kaiser) aus Huneckes Biografie deutlich durch.
Allerdings behauptet der Autor gestützt auf die Einschätzungen zeitgenössischer Beobachter, dass der Krieg durch Waterloo "längst nicht endgültig entschieden gewesen sei". Eine levée en masse wie 1793 oder gar ein "Freiheitskampf nach dem Vorbild der Spanier" sei durchaus vorstellbar gewesen (137). Der Kaiser habe sich jedoch für eine Fortsetzung des Krieges der Unterstützung des Parlaments versichern wollen und dadurch sein Los "in die Hände der politischen Nation gelegt" (158). Die Folge sei ein "parlamentarischer Staatsstreich" gewesen (165): Die französischen Abgeordneten, nicht Waterloo, stürzten den Korsen.
Die folgende zweite Wiedereinsetzung der Bourbonen sei eine "krasse Abweichung, in vieler Hinsicht gar Verkehrung, von den Antrieben und Zielen der ursprünglichen Restauration" gewesen. Das innenpolitische Klima sei ebenso vergiftet worden, wie die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland (178). Das Verhalten der preußischen Besatzer, "die terreur prussienne" habe tiefe Spuren hinterlassen (183). Die Erfahrung des von Napoleon angezettelten Umsturzes ließ, so Hunecke weiter, die reaktionären Kräften unter den Royalisten in Frankreich enorm erstarken und führte zu einem "terreur blanche" gegen die Anhänger des erneut entthronten Kaisers (192).
Mit den Ausartungen der zweiten Restauration erklärt der Verfasser das Phänomen, dass viele Franzosen Napoleons "totales Desaster" von 1815 schnell vergaßen und dem gescheiterten Korsen mit der Zeit eine "abgöttische Verehrung" entgegenbrachten (198). Dazu trug auch Napoleon selbst durch seine Legendbildung auf Sankt Helena bei, wie Hunecke ausführlich erläutert. Im Exil habe der Exkaiser "nachträglich seine anstößigsten politischen Fehler" korrigieren können und so dem späteren Siegeszug des Bonapartismus unter seinem Neffen Napoleon III. den Weg geebnet (202). Hunecke kontert diese Verklärung entschieden: Während Bonapartes Machtübernahme 1799 "im Einklang mit der geschichtlichen Bewegung" gestanden und dem französischen Bedürfnis nach "Frieden, Ordnung und Sicherheit" gedient habe, sei Napoleons Inthronisierung 1815 dem "Interesse an politischer Freiheit, Ruhe und Ordnung" schädlich gewesen (220). Allerdings sieht Hunecke auch einen gewissen Nutzen für die politische Entwicklung in den "Hundert Tagen" und ihren Folgen: Die daraus resultierende Spaltung der Gesellschaft in konkurrierende Parteien und Ideologien habe auch "die Monopolisierung und damit den Missbrauch von Macht" verhindert, bzw. einen letztlich demokratisierenden Wettbewerb der Ideen und Meinungen angestoßen. So gesehen hätte das kurze Intermezzo von 1815 sogar "dem Fortschreiten der Freiheit Vorschub geleistet" (223).
Ob die "Hundert Tage" im Guten wie im Schlechten ganz so einschneidend wirkten, wie Hunecke es darstellt, ist freilich diskutabel. Die Unterscheidung zwischen der "guten" ersten und der "bösen" zweiten Restauration wirkt arg holzschnittartig. Die Defizite der ersten Restaurationszeit kann man genauso schwerer und die der zweiten geringer gewichten. Besonders fragwürdig ist der Versuch, die Bedeutung der militärischen Niederlage zu Gunsten der innen- bzw. verfassungspolitischen Querelen abzuwerten. Ob nach diesem Desaster eine effektive Landesverteidigung logistisch und vor allem moralisch wirklich noch möglich gewesen wäre, darf bezweifelt werden. Huneckes Studie gibt aber immerhin zu bedenken, ob die Verfassungsfragen von 1815 nicht stärker zu gewichten sind denn als bloße Fußnote der Schlacht von Waterloo.
Anmerkung:
[1] Vgl. Jürgen Müller: Rezension von: Volker Hunecke: Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators, Paderborn 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/05/19406.html
Sebastian Dörfler