Volker Hunecke: Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 419 S., ISBN 978-3-506-76809-4, EUR 29,90
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Philip G. Dwyer / Alan Forrest (eds.): Napoleon and his Empire. Europe, 1804-1814, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007
Über keine andere Person der Weltgeschichte sind so viele Bücher geschrieben worden, wie über Napoleon. Diese Figur und ihre Herrschaft zum Thema einer großen Monographie zu wählen, stellt schon insofern eine Herausforderung dar, als sich jede Leserin und jeder Leser unweigerlich die Frage stellt, was von einem solchen Buch noch an Neuem oder Originellem zu erwarten sein dürfte. Volker Hunecke hat sich davon nicht schrecken lassen und eine ausführliche Studie vorgelegt, deren provozierender Untertitel die gespannte Neugierde des Publikums noch zu verstärken geeignet ist. Und dabei haben wir es nicht mit dem Einfall von Marketingstrategen zu tun, wie es inzwischen zuweilen der Fall auch bei wissenschaftlichen Publikationen ist. Die Formulierung vom guten Diktator, der scheitert, gibt genau die These wieder, die der Autor in seinem Buch breit ausführt und in der er eine bislang nicht hinreichend beachtete Erklärung für die Herrschaft Napoleons sieht.
Hunecke teilt das napoleonische Regime auf in eine gute und eine böse Phase, und entsprechend gliedert er seine Darstellung in "Teil I: Der Zivilist" (41-200) und "Teil II: Der Krieger" (203-339). Die erste Phase dauerte von 1799 bis 1804, in der der Erste Konsul Bonaparte seine "segensreichen Taten" (14) vollbrachte: die innere Befriedung Frankreichs, die Aussöhnung mit der Kirche, die Neuordnung von Recht und Verwaltung. Die negative Folie stellen hier die "zehn Jahre Revolution mit all ihren schrecklichen Verirrungen" (90) dar, wiederholt ist die Rede von den "Exzessen" (174) und dem "Marasmus" (150) der Revolutionsjahre. Vor diesem allzu simplen Elendsgemälde hebt sich dann die Figur Bonapartes, der, so Hunecke, "vom ersten Tag seiner Karriere an auf die Aussöhnung der Franzosen hingearbeitet" habe (95), umso vorteilhafter ab. Als guter Diktator im Sinne der altrömischen Einrichtung, in der einem Einzelnen in einer Notlage des Staates für eine beschränkte Zeit diktatorische Machtbefugnisse übertragen wurden, habe Bonaparte in der Zeit des Konsulats Frankreich aus dem Chaos in die Ordnung geführt.
Die zweite Phase begann dann mit der Erhebung Napoleons zum Kaiser und der Begründung des Empire sowie wenig später des Grand Empire, und sie fand ihr Ende mit der militärischen Niederlage Napoleons und seiner Absetzung 1814/15. In diesem Jahrzehnt präsentiert Hunecke seinen Protagonisten, den er im ersten Teil noch als "überragenden Staatsmann" und "Architekt eines neuen Staates" gepriesen hat (143), als egomanischen Autokraten, größenwahnsinnigen Machtmenschen und pathologischen Politiker, der ziellos, riskant und irrational agierte (188, 198, 205, 234, 257 etc.) und damit Frankreich in den Ruin führte. Der "Krieger" Napoleon stürzte sich von einem sinnlosen militärischen Abenteuer ins nächste und bereitete mit seinen Allmachtsphantasien seinen eigenen Untergang vor. Das Scheitern hatte allerdings - und das ist eine durchaus überzeugende Pointe Huneckes - die positive Folge, das innenpolitische Reformwerk Napoleons ("das Werk des guten Diktators", 14) vor dem Untergang zu bewahren.
An die beiden inkompatiblen Hauptteile schließen sich unter der Überschrift "Was bleibt" in Teil III drei kurze Kapitel an, in denen Hunecke sehr anschaulich die Entwicklung der Napoleon-Legende von den 1820er bis 1840er Jahren schildert, den wichtigen Beitrag Napoleons zur Infrastruktur vor allem in Paris und zu den Künsten und Wissenschaften (besonders der Ägyptologie) hervorhebt und schließlich im letzten Abschnitt die konzise und aufschlussreiche "Bilanz eines guten Diktators" zieht.
Die Ausführungen Huneckes in den einzelnen Kapiteln bewegen sich zumeist auf dem aktuellen Forschungsstand und geben einen guten Einblick in die einzelnen Stadien und Aspekte der napoleonischen Herrschaft. Die militärischen Unternehmungen Napoleons, seine politischen Reformen, sein Verfassungsverständnis, seine Auffassung von Politik, sein Machtbewusstsein, seine Herrschaftstechniken - all das wird sachkundig geschildert. Bei der Bewertung aller dieser Faktoren beruft sich Hunecke häufig auf zeitgenössische Aussagen - von Benjamin Constant, Madame de Staël, Sieyès, Chateaubriand, Talleyrand - und auf einige prominente Interpreten der napoleonischen Politik aus dem 19. Jahrhundert, allen voran Adolphe Thiers. Von Thiers' Traum, dass Napoleon seine Ambitionen hätte zügeln und als weiser Gesetzgeber und siegreicher Feldherr im Jahr 1802 das gerettete Frankreich einem würdigen Nachfolger übergeben können (197-200), leiten sich offenkundig der Ansatz und die Strukturierung der Darstellung von Hunecke her. Doch dieser Traum führt in die Irre und bewirkt, dass bei durchaus zutreffender Schilderung der einzelnen Entwicklungen die Herrschaft Napoleons als Ganzes nicht stichhaltig erklärt wird. Gewiss war Napoleon Revolutionär und Reformer, Feldherr und Staatsmann, Gesetzgeber und Autokrat, Modernisierer und Diktator - aber diese Funktionen lassen sich nicht fein säuberlich aufteilen in ein Wirken als "Zivilist" von 1795/98 bis 1804 und als "Krieger" von 1804 bis 1815. Schon vor der angeblichen Wende vom "guten Diktator" zum "bösen Despoten" war Bonaparte vornehmlich mit militärischen Planungen und Feldzügen beschäftigt: während des Konsulats herrschte nur etwa ein knappes Jahr lang - 1802 - Frieden. Niemals seit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire bis 1804 ließ der Erste Konsul jemals auch nur im Entferntesten die Neigung erkennen, seine Macht wieder aufzugeben, ganz im Gegenteil arbeitete er kontinuierlich und zielstrebig an deren Vermehrung bis hin zur absolutistischen Monarchie, in der der neue Kaiser der Franzosen eine größere innere und äußere Machtfülle erlangte als jemals ein französischer König des Ancien Régime. Dass Hunecke die persönliche Biographie Napoleons ganz bewusst ausblendet (50) und seinem Aufstieg in der Revolutionszeit lediglich vier Seiten widmet (50-54), erweist sich als ein großer Nachteil. Für die Beurteilung Napoleons, seiner Karriere, seiner militärischen Unternehmungen und seiner politischen Herrschaft wäre es nützlicher gewesen, seine Herkunft, seinen Charakter, seinen Aufstieg und die Entwicklung seiner politischen Auffassungen näher zu beleuchten, anstatt seine Figur in das künstliche Schema vom guten und schlechten Diktator zu pressen.
Noch einige Worte zum sprachlichen Duktus: Hunecke schreibt flüssig und bemüht sich um eine lebendige und plastische Ausdrucksweise. Er vermeidet weitgehend fachwissenschaftlichen Jargon und liefert einen verständlichen und lesbaren Text. Es mangelt dieser Prosa jedoch an Eleganz, weil dem Autor allzu oft sprachliche Beinahe-Unfälle und leider auch einige veritable Karambolagen unterlaufen. Immer wieder bedient er sich abgegriffener Floskeln, indem er etwa wiederholt vom "frischgebackenen Kaiser" (89, 101) bzw. "frischgebackenen Ersten Konsul" (98) spricht; häufig tauchen unvermutet altmodische oder umgangssprachliche Redewendungen auf: da geht es dem Papst an den Kragen (61), es lächelt das Kriegsglück den französischen Waffen (78), die Jakobiner wittern Morgenluft (79), Sieyès, der 1789 durch seine Feder die Revolution erst so recht in den Gang gebracht hat, wird nach 1799 nicht mehr die erste Geige in der Politik spielen (80), die Vergangenheit wird dem Orkus überantwortet (105), es ist die Rede von einem "abgehalfterten General" (301), Napoleon liest seinen Getreuen die Leviten (305) und hält den Abgeordneten Gardinenpredigten (314) usw. Manche Metaphern sind schief (Napoleons "belesener, phantasievoller Kopf", 70), andere entbehren nicht einer gewissen Komik ("entpuppte sich Bonaparte als ein mit allen Wassern gewaschenes animal politicum", 88), hier und da entgleist die bildfreudige Sprache völlig (das Haus Braganza sollte "den Briten die Bresche in die Festung Europa öffnen, die sich als die Achillesverse des napoleonischen Empire entpuppen sollte", 271). Wiederholt stößt man auf anachronistische Anglizismen wie "crash course" (89), "Napoleons Staff" (151) oder die Formulierung, die "Emolumente der Senatorerien" seien "kaum mehr als Peanuts" gewesen (147). In der Summe sind das zu viele stilistische Pannen.
Insgesamt ist das Buch nach meiner Auffassung kein großer Wurf. Die Perspektive Huneckes bringt keine neuen, originellen Erkenntnisse, sie erweitert nicht das historische Verständnis Napoleons und seiner Herrschaft - sie ergibt vielmehr ein Bild in weiß und schwarz, in dem wir wichtige Züge des Portraitierten erkennen, ohne allerdings eine schlüssige Deutung der Person Napoleon und seiner Herrschaft zu liefern.
Jürgen Müller