Thomas Lange: Zwischen Reformation und Untergang Alt-Livlands. Der Rigaer Erzbischof Wilhelm von Brandenburg im Beziehungsgeflecht der livländischen Konföderation und ihrer Nachbarländer (= Hamburger Beiträge zur Geschichte des östlichen Europa; Bd. 21), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014, 796, 2 Bd. S., ISBN 978-3-8300-7630-8, EUR 148,80
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Thomas Lange beschäftigt sich in seiner 2012 eingereichten und von Norbert Angermann betreuten Dissertation mit der Politik des Rigaer Erzbischofs Wilhelm von Brandenburg im 16. Jahrhundert. Die Relevanz der Arbeit ergibt sich aus der Person des Erzbischofs, zu dem eine aussagekräftige, moderne Biografie noch fehlte, und der vom Verfasser analytisch einbezogenen Gesamtschau der diplomatisch-politischen Ereignisse des livländischen 16. Jahrhunderts.
Wilhelm stammte aus der Familie der Hohenzollern, war der jüngere Bruder des preußischen Herzogs Albrecht, kam 1530 als Koadjutor des Rigaer Erzbischofs nach Livland und geriet schnell in die inneren Machtkämpfe der Livländischen Konföderation, eines Konglomerats geistlicher Herrschaften auf dem Gebiet der heutigen Staaten Lettland und Estland. 1532 wurde er als Konterpart zu Reinold von Buxhoeveden zum Gegenbischof von Ösel-Wiek gewählt, unterlag aber in dieser Auseinandersetzung genauso wie einige Jahre später in der Koadjutorfehde, in dessen Verlauf der mittlerweile zum Erzbischof aufgestiegene Wilhelm sogar in Gefangenschaft geriet. Diese Fehde war ausgebrochen, nachdem Wilhelm entgegen den Beschlüssen des Landtags von Wolmar 1546 einen auswärtigen Fürsten, Christoph von Mecklenburg, zu seinem Koadjutor annahm. Lange weist der Koadjutorfehde eine Schlüsselrolle in der livländischen Geschichte zu. Hier habe sich eine internationale Dynamik ergeben, welche die livländischen Beteiligten zu überfordern begann und die sie in den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen, die durch den 1558 erfolgten Angriff des Moskauer Großfürsten Ivan IV. ausgelöst wurden, nicht mehr zu kontrollieren vermochten (240).
So stand der Protagonist der Qualifizierungsarbeit vor gleich zwei überragenden Herausforderungen: dem Livländischen Krieg, zu dessen Beginn sich die livländische Konföderation auflöste, und der Reformation. Wie auch den anderen Herrschaftsträgern in Livland gelang es Wilhelm nicht, seine Herrschaft in den ersten Kriegsjahren aus eigener Kraft heraus zu sichern und zu verteidigen. Er wählte den Weg der Unterwerfung unter den König von Polen-Litauen, zu dem bereits in der Koadjutorfehde enge Beziehungen bestanden. Da Wilhelm kurze Zeit später starb, ist nicht ersichtlich, welche Folgen dieser Akt für ihn persönlich oder als Herrschaftsträger gehabt hätte.
Der Reformation stand er aufgeschlossen gegenüber und sympathisierte mit ihr. Lange verweist auf den Spagat, den Wilhelm zwischen seiner persönlichen reformatorischen Gesinnung und der Stellung eines Landesherrn, die durch sein katholisches Amt begründet war, ausführen musste (388). Der Erzbischof dachte zwar über eine Dynastisierung des Erzbistums Riga als protestantische Herrschaft nach, scheute aber vor dem Versuch einer Realisierung zurück. Dies deutet Lange als politische Prinzipientreue, die der Erzbischof über seine fürstliche Eigenwahrnehmung gestellt habe (474).
Thomas Lange legt eine biografische Studie vor, die nicht einfach das Leben des Protagonisten nacherzählt, sondern ihn in den politischen Strukturen seiner Umwelt zeigt, gleichzeitig letztere durch die Person des Erzbischofs von Riga beleuchtet und vice versa. Er vermag somit, Individuum und Struktur in ihrer gegenseitigen Bedingtheit und Wirkung so zu verbinden, wie es die Ansprüche an moderne wissenschaftliche Biografik erfordern. Dabei schildert er vieles, insbesondere die zahlreichen diplomatischen Verhandlungen, in erschöpfendem Detailreichtum, sodass man sich etwas mehr analytische Straffung auf den nicht ganz 800 Druckseiten der Dissertation wünscht. Dass ein nicht geringer Teil der Darstellung in den Fußnoten stattfindet, trägt nicht zu einer Erhöhung des Lesevergnügens bei, zumal sich dem Rezensenten nicht erschließt, nach welchen Kriterien Informationen in die Fußnoten verbannt wurden und teilweise sogar, warum sie überhaupt gegeben werden. Warum wird zum Beispiel in einer biografischen Arbeit zum 16. Jahrhundert auf die Frage verwiesen, ob das bereits im Mittelalter existierende Städtchen Lemsal eine Konkurrenzgründung zum Städtchen Roop gewesen sei (36)? Für eine so umfängliche Arbeit, zumal eine, die biografisch angelegt ist, wäre ein Orts- und vor allem ein Personenregister für eine bessere Erschließbarkeit und für die gezielte Suche nach Informationen wünschenswert.
Die hier vorliegende Qualifikationsschrift scheint zwar zuweilen hinter sich selbst und ihrer Detailfülle zu verschwinden, bleibt aber als moderne biografische Ausarbeitung dennoch für alle diejenigen empfehlenswert, die sich mit livländischer und / oder diplomatischer Geschichte des 16. Jahrhunderts auseinandersetzen möchten.
Dennis Hormuth