Heikki Pihlajamäki: Conquest and the Law in Swedish Livonia (ca.1630-1710). A Case of Legal Pluralism in Early Modern Europe (= The Northern World. North Europe and the Baltic c. 400-1700 AD. Peoples, Economies and Cultures; Vol. 77), Leiden / Boston: Brill 2016, viii + 299 S., ISBN 978-90-04-33152-5, EUR 122,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Friedhelm Tromm: Die Erfurter Chronik des Johannes Wellendorf (um 1590) . Edition - Kommentar - Untersuchung, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013
Thomas Lange: Zwischen Reformation und Untergang Alt-Livlands. Der Rigaer Erzbischof Wilhelm von Brandenburg im Beziehungsgeflecht der livländischen Konföderation und ihrer Nachbarländer, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014
Matthias Müller: Das Entstehen neuer Freiräume. Vergnügen und Geselligkeit in Stralsund und Reval im 18. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019
Das hier zu besprechende Werk des Professors für vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Helsinki, Heikki Pihlajamäki, behandelt das Aufeinandertreffen zweier Rechtssysteme im 17. Jahrhundert. Im Zuge der Expansion Schwedens und der Einverleibung Livlands in das Schwedische Reich wurde auch das Rechtssystem des neuen Teilgebietes des schwedischen composite state einer Revision unterzogen. Wie bereits der Untertitel des Buches andeutet, handelte es sich nicht um eine einfache Über- oder Umformung des bestehenden Rechtssystems in Livland, sondern um eher behutsame Anpassungen, sodass der Verfasser von einem rechtlichen Pluralismus sprechen kann. Wichtigste Neuerung war 1630 die Einrichtung des Livländischen Hofgerichts in Dorpat als oberstes Landesgericht.
Pihlajamäki beginnt seine Darstellung mit einem Vergleich der beiden Rechtssysteme vor der schwedischen Eroberung. Während das livländische politische System keine einheitliche Zentralgewalt gekannt habe, seien in Schweden die mittelalterlichen Stände nur schwach ausgebildet gewesen. Stattdessen habe es eine klar aufstrebende königliche Macht gegeben. So seien auch im rechtlichen Bereich beachtliche Unterschiede "between Livonia, resembling a legal mosaic, and the more monolithic Sweden" (84) zu beobachten gewesen. In der kurzen Zeit der polnischen politischen Oberherrschaft über Livland zwischen Livländischem Krieg und schwedischer Eroberung sei das Rechtssystem Livlands kaum angerührt worden. Die livländische Rechtskultur "was more learned and more professional" (258) als die Schwedens.
Nach den Kriegen in und um Livland hätten die Schweden wenig Struktur im judikativen System vorgefunden und deren Aufbau als eine drängende Aufgabe angesehen. Ziel sei es dabei gewesen, die livländischen Gerichtsstrukturen denen Schwedens möglichst weitgehend anzupassen, wobei die Einrichtung des Dorpater Hofgerichts als drittes hohes Gericht, das im 17. Jahrhundert in Schweden gegründet wurde, die administrative Struktur des livländischen Gerichtssystems abschloss. Nur wenige der Dorpater Richter waren schwedischer Herkunft, die meisten stammten aus der deutschbaltischen Adelsschicht. Die Anpassung ans schwedische Gerichtssystem gelang allerdings nur in Ansätzen, die neuen Herren des Landes mussten der starken Stellung der livländischen Stände Rechnung tragen.
Auch im Bereich der Rechtsprozedur seien wenige Änderungen zu beobachten, die Rückschlüsse auf einen verstärkten schwedischen Einfluss erlauben. Die zunehmende Einsetzung von Anklägern von Amts wegen in Kriminalprozessen und die fortschreitende Bedeutung des Inquisitions- anstatt des Akkusationsverfahrens seien eher als übergreifende europäische Entwicklungen anzusehen. In der Gerichtspraxis sei zudem nur ein geringer Einfluss von schwedischem, gesatztem (positivem) Recht zu beobachten. Namhafte Ausnahmen bildeten Ende des 17. Jahrhunderts das Duellverbot und die Untersagung von Folter in Gerichtsverfahren.
Da die Entstehungsgeschichte der vorliegenden Studie eng mit einem Projekt über die Archivbestände des Livländischen Hofgerichts verbunden ist (VII), klammert Pihlajamäki die Stadt Riga mit ihrem Rechtssystem aus der Untersuchung aus (13). Riga unterstand nicht der Jurisdiktion des Dorpater Hofgerichts, sondern direkt dem Stockholmer Gericht. Es wäre interessant gewesen, den Ergebnissen des Buches auch Erkenntnisse aus einem Appellationsgericht an die Seite zu stellen, an dem schwedisches und livländisches Rechtssystem und die unterschiedlichen Rechtsgebräuche deutlicher und kontinuierlicher aufeinanderstießen als bei dem Obergericht, das in Livland angesiedelt und dessen Richterschaft anders zusammengesetzt war. Hiervon abgesehen liegt mit dem Buch eine gründliche und umsichtige Studie vor, die das Wissen um die schwedisch-livländische Rechts- und Gerichtspraxis erweitert und darüber hinaus auch Erkenntnisse zum Funktionieren von composite states des 17. Jahrhunderts bereithält.
Dennis Hormuth