Karina Urbach: Go-Betweens for Hitler, Oxford: Oxford University Press 2015, XII + 389 S., ISBN 978-0-19-870366-2, GBP 20,00
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Nach Generälen, Ärzten, Hunden und Vollstreckern ist hier ein weiterer Buchtitel mit einer unheilvollen Paarbeziehung zum ersten Mann des 'Dritten Reiches' anzuzeigen: "Go-Betweens for Hitler". Drei gute Nachrichten vorweg: 1. Die behandelte Personengruppe der Go-Betweens ist keine effektheischende Konstruktion, um den Reizbegriff "Hitler" auf ein Buchcover hieven zu können. Es gab sie tatsächlich als relevante Größe im Umfeld Hitlers. 2. Die aus mehr als 30 Archiven ans Tageslicht geholten Go-Betweens sind in der Literatur über den Nationalsozialismus bisher allenfalls kursorisch behandelt worden; das Buch bringt in seiner Systematik also tatsächlich Neues. Und schließlich drittens: Es geht nur in einer Hälfte des Buches, und auch dort nur am Rande um Hitler (165-308), was wohltuend ist.
Worüber schreibt Karina Urbach aber dann? Zunächst führt sie in die Welt der selbsternannten Brückenbauer ein und beschreibt die "Go-Betweens before Hitler". Diese waren: "Members of the aristocracy [who] established useful contacts with the ruling elites of other countries" (2), d.h. "Mittelsmänner" mit parteiischer Präferenz, keinesfalls neutrale Mediatoren zwischen zwei Polen und auch keine Lobbyisten mit einem einzigen Vermittlungsanliegen. "Go-Betweens" haben gegenüber den Vorgenannten den Vorteil, ihre "Zielpersonen" aus anderen Zusammenhängen zu kennen und daher bereits Zugang zu haben (9). Über die notwendigen überlokalen Netzwerke verfügte der europäische Adel als angeborene Eigenschaft. Auch die "threats of 1789, 1848, and 1917" (10) änderten daran nichts; deutsche und österreichische Adlige hatten nach dem Ersten Weltkrieg zwar keinen geburtsständischen politischen Einfluss mehr - die "drawing rooms of power" in anderen Ländern standen ihnen jedoch weiterhin offen. Urbach umschreibt überzeugend die schwer greifbare Aura einer übergenerationellen Dignität, mit der selbst mittelprächtige adlige Naturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nichtadlige Funktionsträger und Amtsinhaber bestrickten. Sie nennt es "aura and 'pull'", man könnte es auch als "Œuvre" oder "Nimbus" bezeichnen, bei Foucault hieße es "symbolisches Kapital", die Klatschpresse apostrophiert die blaublütigen Exklusivitätsversprechen bis in die Gegenwart als "Glanz".
Hätte Hitler sich von solchen luftigen Verheißungen blenden lassen? Ja und nein, muss eine Antwort lauten, die vor dem "Führer und Reichskanzler" auch auf den verkrachten Kleinbürger Hitler schaut. Der verhinderte Künstler musste sich selbst erst so etwas wie ein Œuvre zusammenschreiben und -schreien. Auch noch nach 1933 konnte der polternde Parvenü von den besseren Kaminabenden der überkommenen Führungsschichten Deutschlands zunächst nur träumen. Die Urbachschen "Go-Betweens" standen hingegen noch immer auf den Vorderbühnen, wenn auch nicht mehr als erste Besetzungen. Daher wundert es nicht, dass auch Hitler Nähe und Nutzen der offiziell außer Dienst gestellten Funktionselite suchte, während diese wiederum nach Nähe und Nutzen neuer politischer Potenzen Ausschau hielt.
Karina Urbach setzt noch früher ein, und nimmt adlige "go-between-networks" schon vor 1914 unter die Lupe. Exemplifizierend behandelt sie Figuren eines "Protestant network" und eines "Catholic network". Beide brachten später prominente Unterstützer Hitlers hervor. Umfangreich fallen die Abschnitte über das hochadlige Agieren im Zusammenhang mit zwei Schlagworten auf, die für Umbruch, Verunsicherung und schließlich Annäherung an den Nationalsozialismus sorgten: Der Erste Weltkrieg (58-127) und der Bolschewismus (128-161). Diese Passagen sind durchzogen von Zitaten, die an Deutlichkeit nichts übrig lassen. Die sprichwörtliche Ambivalenz der Moderne findet hier einen Ausdruck in "backchannel-letters", die die Autorin in bisher unberücksichtigten Archivbeständen aufgespürt hat. Verstrickungen in die Feme-Morde (152) zeigen die Abgründigkeiten einiger deutscher Adliger. Die Autorin vermeidet trotz aller Kritik aber einen generell anklagenden Ton, und verweist auf die anständigen Motive Einiger, etwa zur Beendigung des Ersten Weltkriegs (315).
Die professionelle Neutralität fällt jedoch schwer im Falle des "Duke of Coburg", mit dem Karina Urbach ihren Hauptteil "Hitler's Go-Betweens" einleitet (165-308). Die Tatsache, dass Hitler in den ersten Jahren der Diktatur dem Auswärtigen Amt noch misstraute, bot willfährigen "Go-Betweens" wie dem Enkel von Königin Victoria Möglichkeiten, sich als Landesgrenzen und Nationalstaaten spielerisch überwindende inoffizielle Diplomaten des 'Dritten Reiches' zu betätigen. Gerade in den Abschnitten über die ersten Jahre der Diktatur trägt Karina Urbach eine Fülle von informellen Missionen zusammen, und kann zeigen, wie wichtig das adlige Antichambrieren für Hitler, Göring und Goebbels war. Neben dem notorischen Coburger Herzog Carl Eduard tauchen in der auf die englischen Hinterzimmer ausgerichteten Darstellung in scheinbar ungezwungener Erzählung Namen wie Wied, von der Goltz, Mecklenburg-Schwerin, Bismarck, Willamowitz-Moellendorf, Löwenstein, Fürstenberg, Hessen und Hohenzollern auf. Im nächsten Unterkapitel über die Aktivitäten der in der Forschung nicht unbekannten Stephanie zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst sind hier ungarische und englische "approaches" begleitende Namen Habsburg, Rothermere, Mosley, Göring; die Liste ließe sich mühelos verlängern. Nicht darin enthalten waren Ribbentrop und dessen adlige Beamte im offiziellen Auswärtigen Amt. Sie wurden von windigen Standesgenossen mit Immediatrechten bei Hitler einfach umgangen.
Allerdings drehte sich der Wind ab 1939. Mit dem Beginn des Krieges erschienen die inoffiziellen Netzwerke der dienstbaren aristokratischen Geister eher eine Gefahr als ein nützliches Mittel für gelegentliche Nebenaußenpolitik. Die Nationalsozialisten begannen, den schwer zu kontrollierenden diplomatischen Privatiers zu misstrauen, was nicht verwundert, denn in fast allen von Karina Urbach dargestellten Fällen waren die Protagonisten windige Narzissten.
Das Buch ist keine Enzyklopädie adliger Geheimmissionen hinter dem Rücken des Auswärtigen Amtes. Dazu waren und sind die "unofficial channels" zu wenig greifbar. Vieles bleibt notwendigerweise im Dunkeln, da es nicht aktenmäßig nachweisbar ist (321). Karina Urbach zeigt aber auf einer breiten Quellengrundlage Mechanismen und Funktionsweisen adliger Zwischenträgerei. Sie beleuchtet Teile einer Grauzone. Das Buch ist, ohne den Boden der Aktenüberlieferung zu verlassen, ein erfreuliches Beispiel für die Lebendigkeit der versehentlich totgesagten politischen Geschichte; eine Übersetzung ins Deutsche wäre seiner Rezeption zuträglich.
Ulf Morgenstern