Hans Danuser / Bettina Gockel (Hgg.): Neuerfindung der Fotografie. Hans Danuser - Gespräche, Materialien, Analysen (= Studies in the Theory and History of Photography), Berlin: De Gruyter 2014, 290 S., ISBN 978-3-11-037818-4, EUR 79,95
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Die historische Aufarbeitung der künstlerischen Fotografie beschäftigt die Forschung schon seit Längerem. Dabei geht es aktuell nicht mehr so sehr um die Würdigung bedeutender Werke, sondern darum die spezifischen Voraussetzungen dieser Entwicklung hin zur Fotografie als anerkannten Kunstform zu untersuchen. Der vorliegende Sammelband, der gemeinsam von dem Künstler Hans Danuser und der Kunsthistorikerin Bettina Gockel verantwortet wird, leistet genau dazu einen wichtigen Beitrag, vor allem in Hinblick auf die Situation in der Schweiz. Zugrunde liegt ihm die These, dass es in den 1970er- und 1980er-Jahren zu einer "Neuerfindung der Fotografie" im Sinne einer diskursiven Neubestimmung im künstlerischen Kontext gekommen sei, die bis heute nachwirke (5). Argumente dafür liefert der komplex angelegte, dreiteilige Sammelband auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
Der erste und umfangreichste Teil besteht aus der Dokumentation eines Forschungsseminars, das Hans Danuser am Kunsthistorischen Institut Zürich zum selben Thema bereits im Jahr 2009 durchgeführt hat. Damit lieferte der Künstler den eigentlichen Anstoß für die wissenschaftlichen Aufarbeitungen in den anderen beiden Teilen des Bandes. In den vier transkribierten Ateliergesprächen diskutiert der Künstler, ausgehend von seiner eigenen Arbeitsweise, mit den ausgewählten Gästen ein breites Spektrum von Sachverhalten, an denen die Neubestimmung des Mediums greifbar wird.
Dabei geht es im Austausch mit der Kunsthistorikerin Bettina Gockel zunächst sehr nah an den fotografischen Arbeiten um Prozesse der Bildfindung, um das Experimentieren mit fotografischen Materialien und um das Verhältnis von Werk und Autorschaft in der freien Fotografie. Die Diskussionen mit dem Schriftsteller Reto Hänny und dem Architekten Peter Zumthor liefern Einsichten in die intermedialen Bezüge der Fotografie zu anderen Künsten. Anhand der Erfahrungen aus der Zusammenarbeit in konkreten Projekten werden die Wechselbeziehungen zwischen den Medien und der poetische Raum dazwischen thematisiert. Der Dialog mit Philip Ursprung widmet sich der Einordnung des fotografischen Aufbruchs in die allgemeine Kunstentwicklung der Nachkriegszeit. Mehrere Bildstrecken mit Fotografien Danusers sind in diesen Teil eingestreut, sodass auch auf visueller Ebene argumentiert wird. Die Form des Ateliergesprächs unter der Regie des Künstlers bringt es mit sich, dass dieser Teil des Bandes zwar vielfältige Anregungen bietet, aber doch viele Fragen offen lässt.
So erfolgt die eigentliche Unterfütterung der These in den folgenden beiden Teilen des Bandes. Joachim Sieber leistet im zweiten Teil eine diskursgeschichtliche Aufarbeitung in Hinblick auf die Förderung der künstlerischen Fotografie in der Schweiz. Er rekonstruiert unter anderem mehrere Ausstellungen in der Zürcher Städtischen Galerie zum Strauhof anhand von Archivbeständen, Interviews mit Beteiligten und Ausstellungsrezensionen. Dadurch rekapituliert er einerseits die dort ausgestellten künstlerischen Positionen "in ihrer neuartigen Vielfältigkeit an den Schnittpunkten zwischen Reportage, Konzept, Experiment und Kunst" (184), darunter Arbeiten von Olivia Heussler, Felix Stephan Huber oder Hannes Rickli. Und andererseits gelingt ihm eine informative Analyse der institutionellen Rahmenbedingungen für Fotografie in der konstatierten Umbruchszeit, die trotz massiver Vorbehalte von Seiten vieler Journalisten schließlich zu einer Etablierung neuer subjektiver Formen der Fotografie führte.
Der dritte Teil des Bandes besteht aus drei wissenschaftlichen Aufsätzen, in denen die Definition der Fotografie als künstlerisches Medium im genannten Zeitraum noch einmal in größeren Zusammenhängen betrachtet wird. Urs Stahel, der aus der Position des Zeitzeugens und Kurators spricht, gibt einen Überblick über die diversen Gebrauchsformen der Fotografie in der Kunst der Nachkriegszeit. Steffen Siegel dagegen konzentriert sich stärker auf die Entwicklungen des kunstkritischen und wissenschaftlichen Diskurses zur Fotografie. Und Abigail Solomon-Godeau arbeitet in ihrem abschließenden Beitrag pointiert heraus, dass das künstlerische und wissenschaftliche Interesse für die Fotografie gerade darin gründete, dass das Medium nicht mehr als ein einheitliches sondern als ein vielfältiges Phänomen begriffen wurde.
Der Sammelband stellt umfangreiches Studienmaterial bereit und fasst den gegenwärtigen Forschungsstand zur künstlerischen Fotografie bündig zusammen. Nichtsdestotrotz fällt die Disparität der Teile auf, die gewiss auch unabhängig voneinander hätten publiziert werden können und ganz unterschiedliche Leseinteressen bedienen. Die Herausgeberin Bettina Gockel weist im Editorial selbst darauf hin und erklärt diesen Umstand mit der nicht ganz einfachen Entstehungsgeschichte, da sich die Transkriptionen des Forschungsseminars erst allmählich zu einer Publikation auswuchsen, die alle Beteiligten überzeugte. Angesichts der Tatsache, dass ein Lehrkonzept den Anstoß für diese Forschungspublikation lieferte, verwundert es jedoch, dass die Studierenden nicht einbezogen wurden. Dass es sie gegeben haben muss, verrät die Überblicksansicht zu Beginn - man sieht dort ein lächelndes Publikum. Zur Sprache kommt es nicht.
Stefanie Stallschus