Olaf Kistenmacher: Arbeit und »jüdisches Kapital«. Antisemitische Aussagen in der KPD-Tageszeitung Die Rote Fahne während der Weimarer Republik, Bremen: edition lumière 2016, 356 S., ISBN 978-3-943245-39-4, 44,80
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Eine theoretisch anspruchsvolle und ausgesprochen gelungene Untersuchung über linken Antisemitismus, genauer über antisemitische Aussagen im offiziellen KPD-Parteiorgan Die Rote Fahne hat Olaf Kistenmacher vorgelegt. Auf die Vorarbeiten zu dieser Dissertation war der interessierte Leser bereits durch eine Reihe von Aufsätzen aufmerksam geworden.
Kistenmacher untersucht antisemitische Aussagen mittels eines diskursanalytischen Ansatzes. Ihm geht es weniger darum, Autoren der Weimarer Zeit einen intendierten Antisemitismus nachzuweisen, als darum, anhand spezifischer Aussageformen darzulegen, dass der antisemitische Diskurs bis weit in Parteien wirkte, die von sich behaupteten, den Antisemitismus der radikalen Rechten zu bekämpfen.
Kistenmacher verfolgt dieses Ziel in sechs Kapiteln, die sich auf drei Hauptteile aufteilen. In den ersten drei Kapiteln nimmt er zunächst antisemitische Aussagen und Argumentationsweisen in der von ihm auf die Jahre 1918 bis 1923 datierten "nachrevolutionären Phase" unter die Lupe. Anschließend setzt er sich mit dem antisemitischen Diskurs in den Stabilisierungsjahren der Weimarer Republik von 1924 bis 1928 auseinander. Im letzten Kapitel des ersten Hauptteils fasst er die antisemitischen Aussagen der KPD in der direkten Auseinandersetzung mit der NSDAP ins Auge. Kistenmacher gelingt bei seiner akribischen Untersuchung der Nachweis, dass antisemitische Aussagen im Parteiorgan der KPD nicht nur in der kurzen Phase der Zuspitzung von 1923, als die KPD sich mit dem sogenannten Schlageter-Kurs an das völkische Lager annäherte, sondern über den ganzen Zeitraum der Weimarer Republik nachweisbar sind. Die Autorinnen und Autoren der Roten Fahne stellten der nationalen Arbeit nicht nur gelegentlich ein "jüdisches Kapital" gegenüber und versuchten, an die Argumentationen der Rechten anzuknüpfen. Politische Stichworte, die diesen Kurs untermauerten, sind ein spezifisches Verständnis von einem "proletarischen Nationalismus", die Überhöhung des Arbeitsbegriffs, die Entgegensetzung von produktiver Arbeit und "beschnittenen Kapitalisten". Der KPD-interne Diskurs scheute nicht vor widersprüchlichen Positionen zurück. So wurde häufig behauptet, hinter der völkischen Rechten stünde "jüdisches Kapital".
Im knapper gehaltenen zweiten Teil untersucht Kistenmacher den eigentümlichen Zusammenhang zwischen antisemitischen Einstellungen und dem spezifischen Antiintellektualismus der KPD, bevor er sich im abschließenden dritten Teil in zwei Kapiteln mit der Feindschaft gegen den Zionismus in den Jahren 1925 bis 1933 auseinandersetzt. Die KPD denunzierte den Zionismus im Gegensatz zu anderen nationalen Befreiungsbewegungen, die die Komintern im Rahmen ihrer Imperialismuskonzeption als Bündnispartner betrachtete, als politischen Feind. Sie unterstellte dem politischen Zionismus, ein Bündnispartner des englischen oder des allgemein westlichen Imperialismus zu sein und rückte bereits in der Zwischenkriegszeit den Zionismus in die Nähe des "Faschismus". Selbst in der Analyse der pogromartigen Ausschreitungen im britischen Mandatsgebiet 1929 ließ die KPD ihr Feindbild nicht fallen, sondern solidarisierte sich mit der arabischen Seite trotz der Berichte ihrer Genossinnen und Genossen der Kommunistischen Partei Palästinas, die sich zum weit überwiegenden Teil aus der jüdischen Bevölkerung rekrutierte. Sie rechtfertigte die Morde an Juden, die zum großen Teil auf das Konto der palästinensischen Nationalbewegung gingen, als antiimperialistischen nationalen Befreiungskampf. Die Nationalbewegung war maßgeblich vom politischen Islam beeinflusst. Einer ihrer Repräsentanten war der Großmufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini. Im letzten Kapitel schließlich analysiert Kistenmacher seinen Quellenblick auf programmatische Stellungnahmen der KPD zur "Judenfrage".
Kistenmacher gelingt in seiner Studie der überzeugende Nachweis, dass der linke Antisemitismus sich nicht erst in den Konstellationen der Nachkriegszeit entwickelt hat. Er ist nicht allein auf einen Mechanismus der Schuldabwehr nach der Shoah zurückzuführen und noch weitaus weniger auf politische Konflikte im Nahen Osten, wie insbesondere der Ausgang des Sechstagekriegs 1967. Vielmehr reichen seine ideengeschichtlichen Wurzeln mindestens bis in die Weimarer Republik zurück. Er entsteht einerseits im Kontext einer Imperialismusinterpretation, die an Lenin anknüpft und zugleich wesentliche Anregungen Rosa Luxemburgs als fehlgeleitet ausblendet. Er entsteht andererseits in einem verkürzten Verständnis des Kapitalismus, in dem ökonomische Verhältnisse personifiziert wahrgenommen werden. Die Frage des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit wird national aufgeladen, wobei Arbeit als das nationale Element verstanden wird, wohingegen das Kapital als fremd, antinational und jüdisch markiert wird.
An sich spricht man in Rezensionen nicht vom Geld. Bemerkenswert ist jedoch, dass Kistenmachers Arbeit von zwei Stiftungen mit einem Druckkostenzuschuss bedacht wurde, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Die Arbeit wurde sowohl von der Axel Springer Stiftung als auch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der parteinahen Stiftung der LINKEN, gefördert. Wenn sie entsprechend auch in gegensätzlichen politischen Lagern rezipiert würde, wäre viel gewonnen.
Johannes Platz