Jonathan Brown: In the Shadow of Velázquez. A Life in Art History, New Haven / London: Yale University Press 2014, X + 158 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-0-300-20396-7, GBP 25,00
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Die spanische Kunstgeschichte führte nach dem Zweiten Weltkrieg, bedingt vor allem durch die politische Isolation des Franco-Regimes, bis weit in die 1980er-Jahre ein Schattendasein. Dass sich das heute geändert hat, verdankt sich nicht zuletzt den Impulsen aus der amerikanischen Forschung und hier insbesondere Jonathan Brown, dessen 1978 publizierte "Images and Ideas in Seventeenth-Century Spanish Painting" drei Jahre nach Francos Tod daran erinnerte, dass man auch im neuzeitlichen Spanien auf hohem Niveau über Theorie und Praxis der Malerei nachdachte. [1] Mit Überlegungen zur Bedeutung von Velázquez' Meninas, Zurbaráns grandiosen Gemälden für das Hieronymitenkloster in Guadalupe oder Murillos Dekoration der Kirche der Hermandad de la Caridad in Sevilla öffnete Brown außerdem den Blick auf eine vielfältige, reiche und lange zu Unrecht vergessene Kunstlandschaft. Doch nicht nur mit seinem 1991 publizierten Buch "The Golden Age of Painting in Spain" verschaffte er der spanischen Kunstgeschichte neue Popularität [2], sondern es gelang ihm auch, durch geschicktes und effizientes Agieren in Lehre und Wissenschaftspolitik Themenfelder und Stellen mit seinen Schülern zu besetzen. [3]
Im Jahr 2012 wurde Brown auf den 2009 eingerichteten Lehrstuhl des Madrider Prado berufen, auf dem jährlich wechselnd prominente Forscher und Forscherinnen Seminare abhalten und außerdem einem interessierten Publikum Themen nahebringen sollten, die sich mit den Beständen und / oder der Geschichte des Museums befassten. Aus diesen Vorträgen ging das hier vorliegende Buch hervor. Brown entschloss sich zu einem Rückblick auf die eigene Geschichte und versuchte unter dem Motto "Autobiography as Historiography" in sechs Kapiteln "this wide spectrum of personal experience and external events" und " the complex responses that people have invented in their pursuit of the knowledge of the Golden Age of Spanish painting" zu schildern (2).
Das erste Kapitel widmet er seiner Kindheit und Familie. Geboren wurde er 1939 in einer "typical family of the upper middle class" (5), die ein lebhaftes Interesse an zeitgenössischer Kunst besaß. Die Eltern, Leonard und Jean Brown, trugen in den Fünfzigerjahren eine eigene Sammlung abstrakter Expressionisten zusammen und entdeckten ab 1958 Dada und Surrealismus für sich. Nach dem Tod ihres Mannes 1971 konzentrierte sich Jean Brown auf den Ausbau ihrer Sammlung, die sie 1985 dem Getty Research Institute in Los Angeles verkaufte.
Ein Studium der Kunstgeschichte vor diesem Hintergrund lag nahe; ebenso wie ein geschultes Sensorium für das Unkonventionelle. Mit leiser Ironie beschreibt Brown seine Entscheidung für ein Auslandsjahr in Spanien als Flucht aus dem Dartmouth College mit den "long harsh winters and the absence of female students." (13) Das Madrid, in das Brown 1958 kam, war gezeichnet von Armut und den Spuren des Bürgerkriegs. Ebenso anschaulich wie taktvoll schildert Brown den trostlosen baulichen, personellen und finanziellen Zustand des Prado, dessen Schätze für ihn jedoch umso mehr strahlten.
Nach dem Abschluss des College entschied sich Brown für ein Studium in Princeton, wo ihn vor allem Robert Rosenblum beeindruckte, der Browns Interesse für Kunst jenseits des Mainstream teilte. Seine berufliche Wirkungsstätte fand Brown am Institute of Fine Arts, das zwar zur New York University gehört, sich aber aus Stiftungsgeldern finanziert. Als Direktor hatte er mit den Spitzenvertreten der New Yorker Finanzwelt zu tun, ein scharfer Kontrast zum akademischen, auf Diskurs und Konsens ausgerichteten Umgang, aber, wie er betont, gerade deshalb auch eine wertvolle Erfahrung. So beschränkte er sich 1978, nachdem er vom Amt des Direktors zurückgetreten war, keineswegs auf die Erforschung der Geschichte der spanischen Kunst, sondern betrieb erfolgreich eine gezielte Politik, die der Förderung und Positionierung seiner Schüler an Universitäten und Museen in den USA, Kanada und auch in Spanien diente.
Diego Angulo Iñiguez, dem Direktor des Instituto Diego Velázquez, das als Teil des Consejo Superior de Investigaciones científicas besondere staatliche Förderung genoss, widmet Brown einen längeren Exkurs. Wenn man sich ins Gedächtnis ruft, wie Brown am Ende des ersten Kapitels seine Leistung als (Wieder)entdecker und Organisator des Terrains "Spanische Kunst" resümiert, liest man seine Schilderung der Begegnungen mit Angulo Iñiguez einerseits als Geschichte eines Kräftemessens, bei dem der Ältere versuchte, den jungen Prätendenten in die Schranken zu weisen, andererseits aber auch als das Aufeinanderprallen zweier grundsätzlich verschiedener Wissenschaftssysteme.
Angulo Iñiguez war als Zwanzigjähriger nach Berlin gekommen, um dort 1921-22 insbesondere bei Adolph Goldschmidt zu studieren, dessen Forderung nach strengen wissenschaftlichen Standards er übernahm und auf die spanischen Kunstgeschichte übertrug. Ohne zu den aktiven Unterstützern des Franco-Regimes zu gehören, gelang es ihm, sowohl am Prado als auch an der Real Academia de Historia und am Instituto Diego Velázquez einflussreiche Positionen zu besetzen. Seine Forschungsinteressen in ihrer rigiden positivistischen Beschränkung passten gut in das Konzept einer entpolitisierten, patriotischen Wissenschaft.
Die Durchsetzung einer neuen, kulturhistorisch orientierten Kunstgeschichte illustrieren die folgenden vier Kapitel, in denen Brown seine Forschungen zu El Greco und Ribera, zur Kunst am Hof der spanischen Habsburger, zu Velázquez und zur Kunst Lateinamerikas zusammenfasst. Knapp und anschaulich werden die Themen vorgestellt und die jeweilige Problemstellung erläutert. Von einem Forschungsbericht im eigentlichen Sinne kann man jedoch nicht sprechen, da Brown - in diesem Zusammenhang verständlich - vor allem seine eigenen Leistungen referiert.
Natürlich setzt er seinem Freund, dem Historiker John Elliott [4], ein verdientes Denkmal, indem er die Arbeit an der Geschichte des Madrider Palacio del Buen Retiro als Ergebnis einer freundschaftlichen, von gemeinsamem Forschungsinteresse getragenen Kooperation schildert: "We attempted to write a detailed study of patronage in action [...] and to test a full scale collaboration between a political historian and an art historian." (78) Das Ergebnis, der Band "A Palace for a king", gehört zu den Meilensteinen der Kunstgeschichte des Siglo de Oro und hat die nachfolgende Forschung vielfältig geprägt und inspiriert. [5]
Der schmale, schön aufgemachte Band hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Wer das Buch zur Hand nimmt, wird Brown als Doyen der spanischen Kunstgeschichte ebenso kennen wie das von ihm vertretene Fachgebiet. So bieten die kunsthistorischen Passagen wenig Interessantes. Mit Vergnügen liest man jedoch die beiden ersten Kapitel, in denen Brown seinen Werdegang schildert. Hier gelingt Brown unterhaltsam, das eingangs formulierte Vorhaben, die Bedeutung der komplexen Verbindung von persönlicher Erfahrung und äußeren Umständen für die wissenschaftliche Leistung darzustellen.
Anmerkungen:
[1] Jonathan Brown: Images and Ideas in Seventeenth Century Spanish Painting, Princeton 1978.
[2] Jonathan Brown: The Golden Age of Painting in Spain, New Haven u.a. 1991.
[3] Einen guten Eindruck vermittelt die Festschrift für Jonathan Brown: Art in Spain and the Hispanic World. Essays in Honor of Jonathan Brown, hg. v. Sarah Schroth, London 2010.
[4] John H. Elliott: Imperial Spain 1569-1716, London 1963, ist bis heute für die Geschichte Spaniens unter den Habsburgern grundlegend; ebenso die Monografie über den Conde Duque de Olivares: John Elliott: The Count-Duke of Olivares: the Statesman in an Age of Decline, London 1986.
[5] Jonathan Brown / John Elliott: A Palace for a King: the Buen Retiro and the Court of Philipp IV, New Haven u.a. 1980.
Sylvaine Hänsel