Tanya J. Tiffany / Giles Knox (eds.): Velázquez Re-Examined. Theory, History, Poetry, and Theatre, Turnhout: Brepols 2017, 130 S., 47 Farbabb., ISBN 978-2-503-56918-5, EUR 65,00
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Álvaro Pascual Chenel / Ángel Rodríguez Rebollo: Vicente Carducho. Dibujos. Catálogo razonado, Madrid: Centro de Estudios Europa Hispánica 2015
Carsten Dilba: Memoriae Reginae. Das Memorialprogramm für Eleonore von Kastilien, Hildesheim: Olms 2009
Der Titel "Velázquez Re-Examined" versteht sich als Widmung an die 2013 verstorbene Kunsthistorikerin Gridley McKim-Smith, die Velázquez' Maltechnik anhand der im Prado bewahrten Werke untersuchte; ihre Erkenntnisse fanden 1988 Eingang in ihr Buch "Examining Velázquez". [1] McKim-Smith hatte 2008 als "respondent" der Sektion der Renaissance Society of America fungiert, aus der der vorliegende Band hervorging und hätte die Einleitung zu der vorliegenden Aufsatzsammlung verfassen sollen. Allerdings führt der Titel auch in die Irre, denn während McKim-Smith auf der Grundlage technischer Untersuchungen der Gemälde akribische Stilkritik übte, propagieren die fünf Beiträge einen interdisziplinären, ikonografischen Ansatz, den der Untertitel "Theory, History, Poetry, and Theatre" umreißt. Selbstbewusst will das Herausgeberduo Giles Knox, Autor eines Buches über Velázquez Spätwerk, [2] und Tanya J. Tiffany, Spezialistin für das Frühwerk des Künstlers [3] mit der "collection of far-reaching, interdisciplinary essays, each considering different aspects of Velazquez's production during distinct moments of his career" (16) eine Forschungslücke schließen.
Diesem hohen Anspruch werden die fünf Beiträge nicht gerecht, auch wenn sie im Einzelnen eine anregende Lektüre bieten. Für Interdisziplinarität steht vor allem Laura R. Brass, die 2008 aus dem Blick der Literaturwissenschaft eine Arbeit über das Porträt als Motiv in der spanischen Literatur des Siglo de Oro vorgelegt und das Theater als wichtige Quelle für das Verständnis von Repräsentation herausgearbeitet hat. [4] Hier behandelt sie einerseits ein Sonett von Luis de Góngora, der einem "excelente pintor extranjero" vorwirft, dass dieser ihm sein Gesicht gestohlen habe und andererseits Velázquez' Góngora-Porträt. Das Porträt, auf das sich der Dichter bezieht, kennen wir aus dem sogenannten Chacón-Manuskript von 1628, der ersten Zusammenstellung von Góngoras Dichtungen, wo es als Bildnis eines flämischen Malers bezeichnet wird. Bass deutet an, unter Berufung auf Vicente Carduchos Forderung, die Kunst der spanischen Maler solle die ihnen zukommende Wertschätzung in ihrem eigenen Land genießen, dass Góngora hier implizit auf die spanisch-niederländischen Auseinandersetzungen reagiert. Sie verweist auf die Tradition des Bildgedichts und analysiert das Sonett Strophe für Strophe. Velázquez' Góngora-Porträt geht auf eine Bitte seines Schwiegervaters Francisco Pacheco zurück, der es sich als Vorlage für die Illustrationen seines Libro de retratos verdaderos de ilustres y memorables varones erbat. Der Maler zeigte den Dichter nüchtern und realistisch; ganz im Gegensatz zu dem komplex verrätselten Concettismo von dessen Werken. Die Nachwelt jedoch verbindet Góngora fest mit dem von Velázquez gemalten Bildnis, sei es das 'Zwiegespräch' zwischen Dichter und Maler Ruben Darío in seinen Sonetten Trébol (Kleeblatt) oder in Pablo Picassos Künstlerbuch mit zwanzig Gedichten Góngoras.
Giles Knox sucht in seinem Aufsatz nach dem Bindeglied zwischen den Sevillaner Bodegones und den Arbeiten, die nach der Übersiedlung nach Madrid entstanden. In den Bodegones sieht Knox eine Gegenposition zu den Vorstellungen Pachecos, für den die religiösen Historien der italienischen Kunst die Norm bildeten. Doch auch wenn die Küchenstücke oder der Wasserverkäufer 'niedrige' Themen darstellten, nutzte Velázquez die Möglichkeit, malerisch zu brillieren und so den Standpunkt seines Schwiegervaters im Wettstreit zwischen Malerei und Bildhauerei zu bestärken. Knox weist darauf hin, dass Pachecos Werkstatt auch farbige Fassungen für Skulpturen übernahm, so dass die Überlegungen zu diesem Thema direkt aus der Alltagspraxis entstanden. In Madrid war Velázquez vor allem mit Porträtaufträgen beschäftigt. Doch beweist etwa die Schmiede des Vulkan von 1630 nicht nur seine Fähigkeit als Historienmaler, sondern auch sein fortdauerndes Interesse am Paragone. Schon Peter Cherry hatte bemerkt, dass die Figur Apollos den Apoll von Belvedere paraphrasiere, [5] auch könnten, so Knox, Gian Lorenzo Berninis Skulpturen mit ihrer subtilen Wiedergabe unterschiedlicher Materialien den Ehrgeiz des Malers geweckt haben, nun jedoch mit neuer Akzentsetzung. Schon 1961 hatte Charles Tolnay in der Gegenüberstellung von Apoll und Vulkan einen Hinweis auf die Überlegenheit der Poesie über das Handwerk gesehen. [6] Knox verstärkt dieses Argument, indem er nicht nur den Illusionismus der gemalten Werkstücke hervorhebt, sondern auch Apoll als Sonnengott als Ursprung des (Schmiede)feuers sieht und folgert: "Vulcan's control of the fire is a metaphor for Velázquez's own mastery over the materials of his own art" (61). Juan Pérez de Moya [7] bezeichnet zwar den Vulkan als "artífice de Minerva", ohne den diese keine ihrer Künste ausüben könne, doch daraus abzuleiten, dass Velázquez sich mit Vulkan identifiziere, scheint ziemlich weit hergeholt. Knox' Fazit, Velázquez habe seine Fähigkeit "to craft an illusion of reality" vorführen wollen (62), klingt auch ohne diese interpretatorischen Volten plausibel, wenn auch nicht unbedingt originell.
Fernando Marías folgt einem ähnlichen methodischen Muster in seinem Beitrag über Velázquez' Bild Jakob wird Josephs blutiges Gewand überbracht. Nach einem Forschungsbericht kommt er auf eine Passage aus Gian Paolo Lomazzos Trattato dell' arte della pittura, scoltura et architettura (1590), der die Invention mit der überzeugenden Darstellung der Affekte als Qualitätskriterium benennt. Als Beispiel führt er zum einen den Ausdruck von Hass und Neid der Brüder Josephs an, zum anderen die verzweifelte Trauer Jakobs. Lomazzo nennt Josephs Brüder als Überbringer der falschen Todesnachricht, während der Bibeltext nur von Hirten spricht. Das bringt Marías mit der Beschreibung des Gemäldes von Francisco de los Santos zusammen, der 1668 berichtet, er habe gehört, dass Velázquez in seinem Gemälde die Brüder Josephs dargestellt habe und folgert, der Maler habe sich bewusst nicht an den Bibeltext, sondern an den Traktat gehalten. Diese ebenso reizvolle, wie spekulative Idee baut er aus, indem er auf dem Gemälde die Brüder "identifiziert" und ihre ambivalenten Affekte beschreibt. Velázquez' Leistung bestehe, so Marías, darin, dass dieser nicht nur ein bestimmtes Gefühl, sondern auch dessen Vortäuschung darstellen könne. In letzter Konsequenz zeige er so, dass auch seine Malerei nur eine von ihm erzeigt Illusion, in Wahrheit aber Farbe auf einer Leinwand sei.
Mit etwas handfesteren Überlegungen begegnet Aneta Georgievska-Shine dem Aesop und dem Menippus, die Velázquez 1638 für die Torre de la Parada gemalt hatte. Wie schon in ihrer Untersuchung über das Bildprogramm des königlichen Jagdschlosses, [8] folgt sie methodisch einem ikonologischen Ansatz. Unter Einbeziehung von Rubens' Demokrit und Heraklit, die sie als Pendants zu Velázquez' Gemälden im Sinne einer Darstellung der vier Temperamente interpretiert, bietet sie einen beeindruckenden Überblick über philosophische Hintergründe und die Rezeption der Dargestellten in Literatur und Kunst. Aesop als Phlegmatiker und Menippus als Choleriker kommentieren das Gelächter Demokrits und die Verzweiflung Heraklits im Sinne der Skeptiker als Aufforderung zur kritischen Reflektion; eine Haltung die auch Velázquez' ungewöhnliche Darstellung des Mars auszeichnet. Was Georgievska-Shine jedoch fast völlig ausblendet, ist die Frage nach dem Auftraggeber und nach der ursprünglichen Platzierung der Gemälde. Saskia Jogler hatte in ihrer gründlichen, quellengestützten Untersuchung über die Hofnarrenporträts wichtige Informationen geliefert, [10] die jedoch keine Berücksichtigung finden. So haftet den Ausführungen leider etwas unverbindlich Beliebiges an, das den Leser belehrt, aber letztlich doch unzufrieden zurücklässt.
Javier Portús schließlich interpretiert Juan Bautista Mainos Eroberung von Bahía einerseits als Kernstück des Salón de Reinos im ehemaligen Palacio del Buen Retiro und andererseits als eine Verherrlichung des Conde Duque de Olivares. Auf die Bedeutung des Bildes hatte schon Ulrich Pfisterer hingewiesen, der 2002 die ursprüngliche Hängung der zwölf Schlachtenszenen auf Grundlage der schon von Carl Justi ins Spiel gebrachten, 1635 verfassten Beschreibung Bernardo Monannis rekonstruierte und daran eine umfassende Würdigung des Bildprogramms des Salón de Reinos anschloss. [11] Pfisterer referierte ausführlich die für seine Rekonstruktion wichtigen Quellen und wies bei der Interpretation der Eroberung von Bahía auf die immer wieder genannte Beziehung zu Lope de Vegas Theaterstück El Brasil restituido hin; Portus bringt nun mit Pedro Calderón de la Barcas auto sacramental von 1634, El nuevo palacio del Retiro, eine weitere Quelle ins Spiel, die sich explizit gegen die in Madrid lebenden, des Kryptojudaismus verdächtigen Portugiesen richtete und Olivares, der einige dieser Portugiesen zu seinen Bekannten rechnete, von jedem Häresieverdacht freisprach. Mainos Gemälde bezeugt Olivares' Rechtgläubigkeit und seine enge Verbindung zur Inquisition sowie deren erfolgreichen Kampf um die katholische Orthodoxie.
Insgesamt drängt sich nach Lektüre aller fünf Aufsätze der Eindruck auf, dass die Autorinnen und Autoren Ergänzungen ihrer bislang vorgelegten Publikationen präsentieren. Der 'Ertrag' geht allerdings nur wenig über den von Javier Portús herausgegebenen Ausstellungskatalog Fábulas de Velázquez hinaus, der erstmals in dieser Gründlichkeit umfassend Velázquez als Historienmaler in den Blick nahm. [12] In der Konsequenz bedeutet das, dass man zu Velázquez nur wenig Neues erfährt. Nichtsdestotrotz sind die Überlegungen geistreich, verlangen jedoch einen kritischen Blick, erweist sich doch vieles genauerem Hinsehen zwar als möglich, aber letztlich spekulativ.
Anmerkungen:
[1] Gridley McKim-Smith / Greta Anderson-Bergdoll / Richard Newman: Examining Velázquez, New Haven 1988.
[2] Giles Knox: The late paintings of Velázquez, Aldershot 2009.
[3] Tanya J. Tiffany: Diego Velázquez's early paintings, University Park, PA 2012.
[4] Laura R. Bass: The Drama of the Portrait. Theater and Visual Culture in early Modern Spain, University Park, PA 2008.
[5] Peter Cherry: Velázquez and the Nudes, in: Ausst. Kat. Velázquez's fables. Mythology and sacred history in the Golden age, ed. by Javier Portús, Madrid / Prado 2007, 241-277, hier 249.
[6] Charles Tolnay: Las pinturas mitológicas de Velázquez, in: Archivo Español de Arte 34 (1961), 31-45.
[7] Juan Pérez de Moya: Philosophia secreta, Madrid 1585.
[8] Aneta Georgievska-Shine / Larry Silver: Rubens, Velázquez and the King of Spain, Aldershot 2014. Vgl. auch die Rezension von Henrik Karge in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6.
[10] Saskia Jogler: Selbstreflexion im Narrenspiegel. Die Hofnarrenporträts von Diego Velázquez, Frankfurt/Main 2013.
[11] Ulrich Pfisterer: Malerei als Herrschafts-Metapher. Velázquez und das Bildprogramm des Salón de Reinos, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 29 (2002), 199-252. In der spanischen Forschung wird der Aufsatz von José Ávarez Lopera: La reconstitución del Salón de Reinos. Estado y replaneamento de la cuestión, in: Ausst. Kat. El palacio del Rey Planeta. Felipe IV y el Buen Retiro, Marid / Prado 2005, 91-111, rezipiert, der drei Jahre später ebenfalls auf die Bedeutung Monannis Bericht hinwies. Vgl. Alonso Rodríguez Ceballos, in: Ausst. Kat. Juan Bautista Maino 1581-1649, Madrid / Prado 2009, Nr. 34, 180-192.
[12] Vgl. Anm. 5.
Sylvaine Hänsel